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Interview Mahan Esfahani

„Das Buch von Paul Klee! Wie hieß es nochmal?”

Der Cembalist Mahan Esfahani über den Genuss von Klassik im Iran und in Deutschland, über Altersstarrsinn – und über die Vorteile der Mittelmäßigkeit

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Halb zeitgenössisches und modernes, halb „klassisches“ Repertoire – in dieser Mischung bestreitet Mahan Esfahani gerne seine Konzertprogramme. Das sorgt für Begeisterungsstürme von Köln über New York und Auckland bis hin nach Peking. So sah nämlich sein Tourneeplan im März aus.

„Reden Sie doch gefälligst Deutsch!”, rief man Ihnen vor einem Jahr in Köln auf der Bühne zu, als Sie auf Englisch „Piano Phase”, ein Werk von Steve Reich erklärten.

Mahan Esfahani: Dabei kann ich doch Deutsch! Nicht brillant, aber doch einigermaßen. Mir ist allerdings Englisch lieber. Was in Köln passiert ist, hatte gar nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun. Das wurde teilweise von den Medien, auch von den britischen Medien, falsch dargestellt. Ich denke, es hatte mit einem europäischen gesellschaftlichen Problem zu tun. Die Meinung älterer Leute ist hier wichtiger als die der jungen Menschen.

Finden Sie wirklich?

Esfahani: Ja. Das Publikum, vor dem ich in Köln auftrat, war ein älteres Nachmittags-Abo-Publikum, das gerne Mozart und Chopin hört. Es wollte sich einfach nicht ein Stück von Steve Reich antun, das im Übrigen 1967 komponiert wurde, also 50 Jahre alt ist. Und sie nahmen sich das Recht heraus, sich schlecht zu benehmen. Ich glaube, es gibt einen Missmut der Älteren, vielleicht einen Neid auf die Jugend, oder eine Angst vor Veränderung. Als ich in Italien lebte, habe ich auf der Metrostation erlebt, wie ältere Menschen die Jüngeren beiseite schubsten.

Na ja, unsere Gesellschaft ist doch im Schönheits- und Jugendwahn! Dabei sind die Älteren in unseren Breitengraden in der Mehrheit.

Esfahani: Ja. Aber Alter muss nicht unbedingt mit Weisheit einhergehen. Es gibt progressive Menschen in jedem Alter. Jung oder alt. Ich höre sehr gerne Hip-Hop. Kennen Sie Missy Elliott?

Vom Namen her …

Esfahani: Missy Elliott hat sich in ihrer ganzen Karriere immer wieder neu erfunden und entwickelt, viel mehr, als man das von manchen altgedienten und mit Ehren-Medaillen behängten Pianisten sagen kann. Nur bekommt Missy Elliott nicht so viele Medaillen, und wenn, dann hätten die Älteren wieder etwas dagegen. Ach, was soll’s. Die wirklich gute Musik wird all dies überleben.

Und Sie auch?

Esfahani: Ja. Ich auch.

Noch gehören Sie zu den Jungen …

Esfahani: Mit 33 Jahren, ja. Ich wurde in Teheran geboren, aber ich kam bereits als kleines Kind in die USA. Ich wuchs am Rande von Washington auf, in einem mittelmäßigen Vorort einer mittelmäßigen Stadt. Zwei Dinge haben mich gerettet: die öffentliche Bibliothek – für mich ein Grundpfeiler der Demokratie. Und zweitens: In der Schule hatten wir großartige Musiklehrer. Insofern war es nicht so mittelmäßig, und ich bekam eine gute Erziehung. Mein Vater war ein Staatsbeamter. Ein Arzt oder ein Jurist sollte ich werden. Sie wollten Sicherheit für mich. Und so fing ich in Stanford an, ein paar Kurse in Medizin zu belegen. Aber das war nichts für mich.

Wie haben Sie das Cembalo entdeckt?

Mahan Esfahani
Mahan Esfahani © Bernhard Musil/DG

Esfahani: Eigentlich als Kind auf den Aufnahmen von Karl Richter und dem Bachorchester in München. Er spielte Bachs „d-Moll-Konzert”. Und ich wusste sofort: Das will ich im Leben machen! Er war ja eine Legende. Ich war ein wirklicher Fan von Karl Richter und der ganzen Leipziger Schule der Bach-Interpretation. Ich bin heute stilistisch zwar anderer Meinung und will gar nicht wie Karl Richter spielen, aber jede Interpreten-Generation entwickelt eben ihren eigenen Bach-Stil. Doch mit Bachs Musik muss man sich immer wieder neu auseinandersetzen! Es gibt keinen endgültigen Weg, man muss ihn immer mit offenem Geist betrachten.

Ein – sorry – älterer gestrenger Herr, der lange die Bach-Interpretation prägte, war der Cembalist Gustav Leonhard.

Esfahani: Gustav Leonhard stellt für mich genau das Gegenteil von dem dar, was ich will. Gustav Leonhard tat immer so, als habe er den endgültigen Weg zur Bach-Interpretation gefunden. Und er änderte seine Meinung nicht, war immer umgeben von dieser Aura des großen unantastbaren Meisters! Nein, damit kann ich absolut nichts anfangen, auch nicht mit dieser Verehrung. Das finde ich zynisch.

Haben Sie denn ein Vorbild?

Esfahani: Ich mag jeden anderen mehr als Gustav Leonhard. Ich will aber nicht nur negativ über Gustav Leonhard sprechen. Ich liebe die Geschichte von Josef Suk, dem Geiger. Jeden Tag änderte er seine Phrasierungen und seine Bogentechnik. Genauso will ich es halten und jeden Tag neue Interpretationsideen entwickeln. Josef Suk war sehr mutig, er war nicht feige. Nur ein feiger Künstler bleibt stehen.

Und wie sieht das bei Ihnen aus?

Esfahani: Ich las das Buch von Paul Klee. Wie heißt nochmal der Titel?

Meinen Sie den Aufsatz: „Die Farbe als Wissenschaft?”

Esfahani: Ja, ja, genau. Die Farbe! Die Art, wie Paul Klee darüber spricht, so kann man auch über das Phrasieren, das Gestalten der Töne sprechen. Und dann ist es egal, ob sie auf einer Geige oder auf einem Cembalo produziert werden. Auf Wettbewerben wird noch immer so kleinlich und pedantisch über die Artikulation diskutiert.

Mahan Esfahani
Mahan Esfahani © Bernhard Musil/DG

Esfahani: Sie hätten vielleicht als Interpret das Zeug, den Ruf des Cembalos, das oft mit einem leblosen und starren Klang assoziiert wird, zu verbessern.

Esfahani: Es geht gar nicht darum, ein Image oder den Ruf des Instrumentes zu ändern. Wir müssen auf höherer, philosophischer Ebene denken und handeln. Auf der Ebene von René Descartes etwa und seiner Affektenlehre in …

… dem Aufsatz über Die Leidenschaften der Seele?

Esfahani: Genau! Cembalisten sind meistens nur mit sich selbst beschäftigt. Sie sollten sich mehr mit der Musik beschäftigen, mit der Zeit, den Theorien, den Gedanken der Zeit, in der die Musik entstand.

Themenwechsel: Wieso tut sich im Gegensatz zu manchem asiatischen Land die islamische und arabische Welt so schwer mit klassischer Musik?

Esfahani: Ich bin kein Araber! Türken und Perser sind keine Araber! Um auf Ihre Frage zu antworten: In der islamischen Welt gibt es keine klassische Musik, wegen der Religion und ihrer politischen Instrumentalisierung. Religion sollte eine Philosophie bleiben und eine private Angelegenheit. Der Iran hatte eine so bedeutende Tradition und Kultur. Doch mit zunehmender Islamisierung wurde diese sozusagen unterbrochen und zum Teil zerstört. Und die Freiheit eingeschränkt, die es braucht, um sich künstlerisch auszudrücken.

Gut, dann sprechen wir darüber, wie Sie Ihre Konzertprogramme gestalten.

Esfahani: Mein Programm beinhaltet oft Werke, die ich wirklich spielen will. Oft eine Kombination von Werken von Bach und modernem Repertoire. Beim „Heidelberger Frühling“ zum Beispiel werde ich unter anderem „Set of Four” für Cembalo von Henry Cowell (1897–1965, d. Red.) spielen. Das Werk eines amerikanischen, sehr experimentellen Komponisten, der mit Arnold Schönberg befreundet war und der in den dreißiger Jahren wegen seiner Homosexualität einige Jahre in dem berüchtigten Gefängnis San Quentin einsaß und dort komponierte. Musik sei seine Waffe, sagte er, der sein Land trotz aller Schwierigkeiten und Vorurteile nie aufhörte zu lieben.

Außerdem werden Sie dort wieder Steve Reichs „Piano Phase” zum Besten geben.

Esfahani: Mal sehen, wie die Leute diesmal reagieren!

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