Ruhig, besonnen, gelassen. Spricht man mit dem Dirigenten Manfred Honeck, stellt sich augenblicklich die heimelige Atmosphäre eines Vorarlberger Häuschens ein, dort, wo er geboren wurde und mit seinen acht Geschwistern und seinem Vater musizierte. Fernsehen gab es keines im Hause Honeck, dafür zahlreiche Instrumente und eine grandiose Natur drumherum. Seit 2008 leitet der Österreicher das Pittsburgh Symphony Orchestra. Demütig, aber fordernd mit Deutungssicherheit: So könnte man seinen Stil beschreiben.
Können Sie mit dem Begriff „Maestro“ etwas anfangen?
Manfred Honeck: Mit diesem Wort habe ich mich immer schwer getan. Es ist ja eigentlich die Bezeichnung für einen Lehrer. In Italien oder Südamerika ist das ganz normal. Wenn es allerdings um die Überhöhung eines Menschen geht, finde ich das schwierig. Als Interpretierender bin ich im Grunde ein Diener. Ohne Mozart, ohne Beethoven wäre ich ein Nichts! Dann würde es meinen Beruf gar nicht geben. Wir sollten nicht so tun, als ob wir die allerwichtigsten Typen der Welt wären. Wir sind ein Teil dessen, was zur Aufführung kommt.
Die Zeit der Dirigenten-Diktatoren ist also endgültig vorbei?
Honeck: Ja, würde ich schon sagen. Wir sind alle demokratisch geprägt, wir arbeiten zusammen. Es gibt Jugendorchester, die eine Gemeinschaft auf Vertrauensbasis gebildet haben. Die Zeit der Zuchtmeister am Pult, die ihre Musiker angebrüllt haben oder ganz bewusst entlassen haben, um ihre Macht zu demonstrieren, ist zum Glück vorbei. Da ging es nicht um die Musik, sondern um die Alleinherrschaft. Das heißt aber nicht, dass man als Dirigent nicht die Anforderungen stellen sollte, die nötig sind. Wir müssen eine Interpretation einfordern, und darin können wir schon knallhart sein.
Und wie überwinden Sie den Spagat zwischen Vertrauen und Fordern, ohne zum Zuchtmeister zu werden?
Honeck: Ein Dirigent muss authentisch sein. Er muss so sein, wie er im eigentlichen Leben auch ist. Wenn er sich verstellt, merken das die Musiker sofort, und dann ergibt sich schnell eine Kluft. Das beziehe ich übrigens auf jeden, der in einer Führungsposition steht. Wenn man nicht authentisch ist, dann wird es problematisch. Eine der schwierigsten Aufgaben ist es, sich selber kennenzulernen. Wer bin ich? Bin ich wirklich der, als den ich mich nach außen gebe? Was kann ich? Wer etwas fordert, muss auch wissen, ob er selbst solche Forderungen erfüllen kann.
Man gibt sich auch gelegentlich die Blöße, wenn man authentisch ist.
Honeck: Absolut! Das ist aber eigentlich das Schöne daran. Wenn jemand von sich behaupten kann, dass er perfekt sei, liegt er wahrscheinlich falsch. Mir beispielsweise ist es einmal passiert, dass ich mich in einer Probe ziemlich verschlagen habe. Ich habe sofort gesagt: Entschuldigung, das war jetzt mein Fehler. Hätte ich es vertuscht oder sogar den Musikern vorgeworfen, dass sie mit ihrem Einsatz zu früh dran gewesen seien, wäre es offensichtlich gewesen, dass das nicht stimmt. Nicht nur, dass so etwas nicht gut ankommt – es ist auch unanständig! Man merkt schnell, dass der Mensch, der sich so gibt, mit sich noch nicht im Reinen ist. Oder noch schlimmer: dass es ihm in jedem Fall um etwas anderes geht als die Musik. Ein Wort, das man heutzutage nicht mehr so gerne hören möchte, ist Demut – ein Begriff, der völlig aus der Mode gekommen ist. Der Ursprung von „Demut“ leitet sich jedoch aus dem Mut zum Dienen her. Das hat nichts mit Zurückhaltung zu tun. Wenn es um musikalische Dinge geht, gibt es keine Zurückhaltung. Weil es um ein Ergebnis geht, das man erreichen möchte.
In den USA wird gerne von den „Big Five“ gesprochen. Was halten Sie von solch einem Ranking?
Honeck: Für den künstlerischen Bereich, finde ich, ist so ein Ranking Schwachsinn. Im Sport funktioniert das, da gibt es aufgrund klar quantifizierbarer Mess- oder Spielergebnisse einen Ersten. Das ist einfach so. Bei uns geht es aber eben nicht um Sport, nicht darum, ob wir ganz vorne mitspielen. Sonst müsste man ja auch Komponisten bewerten. Es geht darum, dass wir in einem gewissen Moment fantastische Musik machen. Diese Wettbewerbshaltung tut unserem Beruf nicht so gut, und es geht einfach an der Sache vorbei.
Sie gehen gut vorbereitet in ein Konzert. Das tun Sie aber auch mit einem Gebet – oft nicht alleine, sondern gerne auch gemeinsam mit Ihren Musikern.
Honeck: Ja, ich habe es mir angewöhnt, jeden Tag zu beten. Ich pflege die Beziehung zu einem guten Freund, eben Gott. So wie man das mit anderen Freunden auch tut, die man täglich anruft, so gibt es auch eine Telefonnummer, die ich zu Gott habe. Die Idee, vor den Konzerten gemeinsam zu beten, kam eigentlich von den Musikern. Sie haben mich gefragt, ob sie das gemeinsam mit mir machen könnten, und es war immer erhebend. Erst waren es drei oder vier, dann standen plötzlich fünfzig Musiker und auch Gäste in meiner Künstlergarderobe, um Worte des Dankes und persönlichen Bittens auszusprechen. Das Wunderbare dabei ist, dass sich immer verschiedene Konfessionen treffen. Ich habe muslimische Freunde, Musiker jüdischen Glaubens, christliche Glaubensbrüder, Buddhisten. Eine große Familie.
„Familie“ ist auch das nächste Stichwort: Hatten Sie eine glückliche Kindheit?
Honeck: Auf jeden Fall! Ich bin in Vorarlberg aufgewachsen, in einer Familie mit neun Kindern. Ich bin Nummer sieben. Die Mutter ist sehr früh gestorben. Wir haben sehr viel entbehren müssen. Es gab keinen Fernseher, Schokolade nur zum Geburtstag. Aber wir waren sehr viel in der Natur unterwegs, da habe ich ein tiefes Heimatgefühl entwickelt. Ich liebe dieses Land, ich liebe die Berge! Natürlich fahre ich auch Ski, aber nicht wegen des Sports, sondern wegen der Landschaft, gerade wenn sie so schön gezuckert ist. Der Ausblick ist einfach grandios, wenn man da oben steht!
Kein Fernsehen? Aber es gab Musik.
Honeck: Mein Vater hat jedem ein Instrument in die Hand gedrückt. Das ist mir auch passiert – ob ich wollte oder nicht. Er war kein ausgebildeter Musiker, er arbeitete bei der Post. Aber er war musikbegeistert. Alle Geschwister spielten zusammen. Ich liebte das und brauchte auch gar keinen Fernseher. Obwohl ich gerne zu den Nachbarn gegangen bin, um am Sonntagnachmittag Serien zu schauen. An Fury kann ich mich erinnern … Das Spielen hat den Zusammenhalt der Familie gefördert. Heute ist das anders, ich merke das bei meinen erwachsenen Kindern. Nicht nur das Fernsehen, auch die Handys bringen eine völlig andere Lebensweise mit sich.
Neue Medien bieten aber auch die Chance, ein neues Publikum anzusprechen. In Pittsburgh setzen Sie zum Beispiel Videos vor den Konzerten ein.
Honeck: Das Wunderbare daran ist, dass hier eine direkte Beziehung zwischen dem Publikum und den Musikern hergestellt wird. Genau darum geht es immer wieder. Dass ein Musiker oben auf dem Podium ganz abgehoben spielt und dann wieder den Saal verlässt, das kann es ja nicht sein. Wir wollen, dass das Orchester dem Publikum näher kommt und umgekehrt. In Pittsburgh hat das total eingeschlagen, auch die Musiker haben großen Spaß dabei. Ich wünsche mir, dass wir diesbezüglich noch viel innovativer werden! Das, was die Berliner Philharmoniker mit der Digital Concert Hall begonnen haben, das kann für viele Orchester ein Beispiel sein, um weiterzudenken. Livestream wird über kurz oder lang ein Muss für jedes Orchester werden.