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Interview Marek Janowsky

„Beethoven ist die Richtschnur“

Marek Janowski, Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchetsers Berlin, über sein Orchester, Beethoven im Zyklus und Wagner konzertant

vonArnt Cobbers,

Im Jahr 2002 übernahm Marek Janowski die künstlerische Leitung des zweitältesten deutschen Rundfunkorchesters. Seitdem hat er das RSB, das zuvor lange im Schatten der anderen großen Berliner Orchester gestanden hatte, wieder auf Augenhöhe gebracht. Davon künden volle Säle, hervorragende Kritiken und zahlreiche Preise für CD-Einspielungen. 2008 trugen ihm die Musiker des RSB sogar das Chefdirigentenamt auf Lebenszeit an.

Janowski ist als Sohn einer Deutschen und eines Polen 1939 in Warschau geboren, aber in Wuppertal aufgewachsen. Er durchlief eine „klassische“ Kapellmeisterlaufbahn und war später Chefdirigent u.a. in Dortmund, Köln (Gürzenich-Orchester) und Paris (Orchestre Philharmonique de Radio France 1984-2000). Bis in die 90er Jahre hat er viel Oper dirigiert, u.a. regelmäßig an der Met und allen großen europäischen Häusern. Janowski gibt sehr selten Interviews, was aber nicht an mangelnder Eloquenz liegt. Er weiß genau, was er kann und will – und bringt das im Gespräch auch präzise auf den Punkt.

Herr Janowski, wie würden Sie das RSB charakterisieren?

Wir haben einen ganz bestimmten Arbeitsstil, und darüber hat sich ein bestimmter Musizierstil entwickelt. In einer bewusst unbewussten Weise formt der Chefdirigent, wenn er länger als zwei, drei Jahre da ist und wenn er von einer gewichtigen Mehrheit des Orchesters künstlerisch respektiert wird, das heißt, wenn sie ihm glaubt, was er von ihnen haben will, das Klangbild eines Orchesters. Wenn das Orchester allerdings aus seiner Tradition heraus eine besondere klangliche Charakteristik hat, wird er es nicht formen, sondern modifizieren. Das RSB ist ein „typisch deutsches“ Orchester – es hat einen Mittelstimmen- und Bass-orientierten Klang. Und worauf ich immer am meisten Wert gelegt habe, ist eine große klangliche Klarheit – nicht in einem anämischen Sinne, dass man quasi hörend mitlesen kann, sondern aus einer gewissen Kraft und Erdverbundenheit heraus, aber eben nicht als massierter dicker Klang. Der allerwichtigste Parameter ist, dass die Dinge im Vertikalen randscharf übereinander stehen müssen.

Sie waren am Anfang mit dem Niveau nicht glücklich. Sehen Sie sich auf gutem Wege oder schon da angelangt, wo Sie hinwollten?

Es stimmt, als ich das RSB übernommen habe, war das keine ermutigende Erfahrung für mich – die Musiker wissen das, daraus habe ich nie einen Hehl gemacht. Nach etwas mehr als einem Jahr habe ich mich wirklich gefragt: Warum tust du dir das noch an? Aber wenn ich hingeschmissen und gesagt hätte: Ich bin nicht der Richtige für diese Aufgabe, wäre die Existenzfrage wieder aufgekommen – nicht das RSB aufzulösen, sondern die Musikerzahl herunterzufahren –, und das wollte ich nicht. Im Zuge der zweiten Saison haben wir langsam Fahrt aufgenommen. Man muss folgendes bedenken: Berlin ist, was die Besucherströme angeht, noch immer geteilt. Wir hatten im Konzerthaus immer eine gute Publikumsresonanz, in die Philharmonie kam viel weniger Publikum. Aber es ist uns über zwei, drei Spielzeiten gelungen, auch da anerkannt zu werden. Seit drei, vier Jahren sind unsere Konzerte in der Philharmonie sehr gut besucht, und das hat innerhalb des Orchesters zu einem großen Motivationsschub geführt. Alle hängen sich rein, wie man so schön sagt, und dieser engagierte Enthusiasmus färbt auch auf die Klangsubstanz ab. Ich bin sehr zufrieden, und aus meinen Vergleichen mit anderen Orchestern weiß ich, dass wir mittlerweile einen ziemlich hohen Standard repräsentieren. Aber jede Entwicklungsstufe macht mir klar, dass nach oben noch immer viel Luft ist.

Daniel Barenboim sagt: Ein Orchester soll seinem Chef nicht nur folgen, sondern verstehen und fühlen, was er will.

Es kommt immer darauf an, wie weit ein Orchester in der Lage ist, den mehr oder weniger stark entwickelten handwerklichen Fähigkeiten eines Dirigenten zu folgen. Und wie weit ein Dirigent manuell in der Lage ist, mit dem Orchester zu erreichen, was er möchte. Man sollte in den Proben lieber weniger reden. Was man mit den Händen machen kann, sollte man nicht mit dem Mund machen. Wenn sich dann über die Jahre hinweg ein bestimmtes Selbstverständnis zwischen Orchester und Dirigent bei bestimmten Komponisten, deren Werke immer wiederkommen, entwickelt, dann geht vieles von allein. In diesem Sinne kann es durchaus sein, dass ein gut auf einen Dirigenten geeichtes Orchester quasi antizipiert, was er gleich machen wird. Und wenn ein Dirigent geschickt ist und die Sensibilität hat, dem Orchester zuzuhören, während er dirigiert, nimmt er das auf und macht vielleicht minimal etwas anders, als er eigentlich vorgehabt hat.

Sie machen viele ungewöhnliche Programme und Raritäten, aber in der Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit gelten Sie als ein Mann, der das traditionelle Repertoire exzellent dirigiert.

Wenn damit gesagt wird, dass ich nicht der Schlechteste bin, was die Flaggschiffe des deutschen Repertoires angeht, soll es mir recht sein. Aber eigentlich ist es eine Unverschämtheit. Wenn Sie sich meine Programme anschauen: Was habe ich nicht alles in meinem Leben an zeitgenössischer Musik gemacht, wissend wie schlecht sie meistens ist! Aber es ist unsere Pflicht als Interpreten, sie vorzustellen, damit die Zuhörer erkennen können, ob diese Musik gut ist oder nicht. Das habe ich mein Leben lang gemacht. Ich habe mich auch in hohem Maße um unbekanntere französische Musik gekümmert. Mein Repertoire ist immer sehr breit gewesen. Ich reduziere es seit einigen Jahren etwas, aber für mein Alter, denke ich, ist es immer noch sehr breit gefächert. Und das soll auch so bleiben, so lange mein Gehirn mich nicht im Stich lässt.

Es wirkt, als hätten Sie großen Spaß daran, Programme zu entwickeln.

Den habe ich immer gehabt. Aber ich versuche stets im Auge zu behalten, dass auch Tante Frieda ins Konzert kommt. Intellektuelle programmatische Pirouetten dürfen nicht dazu führen, dass man den Saal leer spielt. Und zugleich achten wir darauf, unserem Publikum immer mal wieder das eine oder andere zuzumuten.

Sie haben in der vergangenen Spielzeit alle Beethoven-Sinfonien gespielt – brauchte die Welt, brauchte Berlin noch einen Beethoven-Zyklus?

Wir brauchten ihn, das Orchester brauchte ihn. Und wir hofften, dass es auch das Publikum interessiert. Es war ja kein ganz normaler Zyklus, weil wir den Sinfonien Streichquartette gegenüberstellten. Hinzu kommt, dass er sich in einer zeitlich ungeheuer gedrängten Form am Pfingstwochenende abspielte. Beethoven ist für mich der Turning Point in der Entwicklung der orchestralen Komposition. Er ist für mich durch das Antizipieren der Musikentwicklung in den folgenden hundert Jahren und das Aufgreifen dessen, was vor ihm gewesen ist, die kompositorische Richtschnur überhaupt. Womit ich nicht sagen will, dass ich ihn lieber hätte oder dirigieren würde als Mozart oder Haydn oder Alban Berg. Aber ich glaube, dass sich an einem solchen kompakten Zyklus die Musizierqualität eines Orchesters messen lässt.

Wie haben Sie die Konzerte zusammengestellt?

Der Ausgangspunkt war, dass es nicht viel Sinn machen würde, die erste und zweite Sinfonie hintereinander zu spielen. Danach sind verschiedene Kombinationen möglich. Wir haben die Neunte weggelassen, weil wir die sowieso immer spielen. Ich finde die Kombination Erste und Dritte sehr reizvoll: Die Erste ist orchestral angereicherter Haydnscher Klassizismus, die Eroica ist das erste revolutionäre Werk – es hat mal jemand gesagt: Die Eroica ist der Sacre des 19. Jahrhunderts, da ist was dran. Die Zweite ist auch noch klassizistisch, aber sie hat etwas kämpferisch Offensives, und das verbindet sich sehr gut mit der Siebten mit ihren tänzerischen Impulsen. Die Vierte ist für mich das am meisten unterschätzte Beethovensche Meisterwerk, es ist die im klassischen Sinne abgerundetste Sinfonie, die gut mit der Fünften zusammenpasst. Und von den Tonarten her, das spielt auch eine Rolle, harmoniert die lyrische Pastorale gut mit der im Haydnschen Sinne heiteren Achten. Alle vier Programme sind etwas kürzer als das, was man normalerweise in einem Sinfoniekonzert erwartet. Und da haben wir uns gesagt: Wir packen nicht noch Solokonzerte dazwischen, sondern machen etwas ganz anderes: Die Basis der Sinfonie ist, im ersten Satz, die Sonatenhauptsatzform. Bei Beethoven gibt es zwei weitere Sparten, die sich mit dieser Struktur beschäftigen: die Klaviermusik und die Kammermusik. Und deren schönste Form sind die Quartette. Nun machen wir also eine Sinfonie, eine Pause, eine zweite Sinfonie, eine Umbaupause und dann ein Streichquartett, das dem gerade Gehörten stilistisch entgegengesetzt ist. Dazu haben wir vier Ensembles eingeladen, zwei renommierte und zwei aufstrebende Quartette.

Seit etwa 15 Jahren dirigieren Sie keine Opern mehr. Warum haben Sie nun Wagner aufs Programm des RSB gesetzt?

Es hat seit den 70er Jahren in der deutschen Opernlandschaft eine szenische Entwicklung gegeben, die ich für falsch halte und die ich nicht mittragen möchte. Ich hatte eine Reihe von schlimmen Schlüsselerlebnissen und habe dann den Entschluss gefasst, nicht mehr Oper zu dirigieren. Ich bin mit der Entscheidung immer noch im Frieden. Aber was mir fehlt, ist die Beschäftigung mit den musikalischen Meisterwerken, die für die Oper entstanden sind. Der Wagner-Zyklus ist ein spezifisches Berliner Thema. Die Idee ist: In dieser Stadt, wo man jede Wagner-Oper in konservativer oder in avantgardistischer Weise hören und sehen kann, einmal eine Konzentration nur auf die Musik zu schaffen. Wir haben ja beim RSB das Motto: Das Wesentliche ist die Musik. Ich sage nicht: Das Szenische bei Wagner ist Mist – überhaupt nicht! Aber die Hörer sollen sich einmal ausschließlich auf die musikalischen Vorgänge konzentrieren können und dabei vielleicht Dinge entdecken, die sie durch das Absorbiertsein von den szenischen Vorgängen bisher gar nicht mitbekommen haben. Außer dem Holländer und den Meistersingern sind Wagners Werke relativ statisch von der szenischen Aktion her, und die Musik ist so stark, denke ich, dass sie das Szenische im Hören sehr gut illustrieren kann.

Sie waren 16 Jahre lang Chefdirigent in Paris, insofern haben Sie einen guten Vergleich: Wie schätzen Sie die Musikstadt Berlin ein?

Ich finde es phantastisch, dass es hier drei Opernhäuser gibt – wobei die Frage ist, ob man nicht eine klügere Spielplankoordination hinbekommen könnte. Und wenn die vielen Berliner Orchester finanziell einigermaßen ausgestattet wären, dann wäre Berlin sensationell. Paris ist mittlerweile auch eine große Musikmetropole, mit drei Orchestern und der Oper, die einen riesigen Pool von Musikern hat. Die Pariser Orchester können inzwischen jedem deutschen Spitzenorchester das Wasser reichen. Aber das ist dennoch kein Vergleich zu Berlin. Hoffen wir, dass es hier so bleibt. Ich fürchte nur, es wird nicht so bleiben.

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