Martin Grubinger ist der Überraschungsstar des vergangenen Klassikjahrzehnts. Der Salzburger schafft es, viele Menschen für sein Instrument Schlagzeug zu begeistern und mit dem Album „Drums ‘n‘ Chant“ sogar Gregorianische Choräle mit Trommeln zu verbinden.
Herr Grubinger, wie merkt man sich ein Schlagzeugkonzert?
Das ist schwer zu beantworten. Ich bin damit aufgewachsen und habe immer alles auswendig gespielt, weil mich Notenständer hemmen. Sie nehmen mir die Freiheit, mit dem Dirigenten, den Musikern und auch dem Publikum im Saal zu kommunizieren. Deshalb lerne ich alles auswendig, das ist für mich ganz normal. Man kann es vielleicht damit vergleichen, eine Sprache zu lernen. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran, dass die Dinge komplex sind, dass man keine melodische Linie hat, an der man sich orientiert, und man Ton für Ton im Unterbewusstsein verarbeiten muss.
Gibt es eine Art absolutes rhythmisches Gehör?
So eine Art absolutes Timing? Wie bei Stockhausen? Mir fehlt das. Manchmal geht es mit mir durch, wenn ich auf dem Podium stehe, voll mit Adrenalin, und dann ganz komische Tempi wähle, die weit von dem entfernt sind, was der Komponist eigentlich vorgeschrieben hat. Ich habe weder ein absolutes Gehör noch ein absolutes Timing, aber dafür die absolute Liebe zum Instrument. (lacht)
Und irgendwann kommt der Punkt, wo man sich nicht mehr groß um die Struktur kümmern muss.
Das stimmt. Es ist alles im Unterbewusstsein gespeichert. Ich schließe die Augen, stehe an der Marimba und weiß genau, hier kommt das „c“, hier das „f“ und so weiter. Wenn ich dann genau einstudiert habe, in welche Richtung das Stück geht, läuft alles beinahe von allein. Ich habe jede Bewegung eines Konzerts derart verinnerlicht, dass ich mir eigentlich nur beim Spielen zusehe. Die Arbeit macht das Unterbewusstsein. Das ist ein tolles Gefühl.
Wenn Sie live spielen, wirkt es meist, als wäre die Musik eben erst erfunden worden. Wie geht das?
Wir Schlagzeuger haben ja das Problem – oder auch die Chance –, dass wir keine Traditionen haben, die über 300 Jahre oder mehr hinausgehen. Wir haben es mehrheitlich mit aktueller Musik zu tun. Nun sagt man bei zeitgenössischer Musik oft, das Publikum sei nicht bereit oder nicht in der Lage, das anzuhören. Es bekommt die Schuld zugeschoben, dass diese Kompositionen nicht ankommen. Ich glaube aber, es liegt an uns Musikern. Ich höre oft einen Satz wie diesen: „Wir haben im ersten Teil des Konzerts das Stück von Rihm realisiert und dann im zweiten Teil Beethoven interpretiert.“ Diese Haltung ist falsch. Ich glaube, dass man Musik von Rihm, Xenakis oder wem auch immer mit absoluter Passion und Hingabe, mit totaler Überzeugung und klarer Vorstellung von Phrasierung, Struktur, Interpretation spielen muss. Wenn man das lebt, erzeugt es diese Frische im Konzert. Wir haben beispielsweise im vergangenen Sommer ein reines Xenakis-Programm gespielt, und es war immer ausverkauft. Die Leute wissen, dass wir alles für sie geben. Und sie wollen auf neue musikalische Reisen mitgenommen werden.
Ist da eine Nähe zur Improvisation?
Natürlich! Das Schlagzeug hat ja seine Wurzeln in allen Bereichen, im Tango, in Samba und Salsa, in Rock, Fusion, Funk, in der zeitgenössischen Musik, in der afrikanischen Stammesmusik, im Taiko-Drumming. Überall dort ist die Perkussion ein zentraler Bestandteil. Die Leute wissen das längst, nur in den Feuilletons sitzen manchmal noch Traditionalisten, die das nicht wahrhaben wollen.
Sie scheinen ein sehr neugieriger, in Bezug auf Musik sogar gieriger Mensch zu sein.
Absolut! Wir haben beispielsweise vor kurzem gregorianische Choräle mit Drums aufgenommen. Es gibt Leute, die das nicht hören können, aber ich habe es richtig genossen, weil es etwas ganz Neues war. Ich habe mich eingelesen, die lateinischen Texte übersetzt, wir haben die Choräle im Schlagzeugensemble nachgesungen. Außerdem musste ich die Notation lernen, aber schließlich war es faszinierend, sich damit zu beschäftigen.
Wie begeistert man Menschen für ein Percussion-Solo-Konzert?
Ich habe mich lange schwer getan, Konzerte zu bekommen. Viele Veranstalter meinten, dass ihnen für Schlagzeug das Publikum fehle. Ich war dann schon kurz davor, die Idee zu verwerfen und mich anderweitig umzusehen. Doch dann hat sich langsam etwas verändert. Ich habe viele kleine Konzerte gespielt, und durch Mundpropaganda ging es voran. Die Begeisterung des Publikums hat es getragen, es ist nicht künstlich gepusht worden. Das Schlagzeug ist auf die natürlichste Weise populärer geworden: durch Überzeugung.
Ihre Konzerte leben auch von der beeindruckenden Körperlichkeit beim Spielen. Wie halten Sie sich fit?
Krafttraining, Laufen, Radfahren, Schwimmen, Skifahren, Langlaufen. Ich lebe ja im Salzkammergut und da kann man viel machen. Bei mir in der Nähe sind der Mondsee und der Fuschlsee, die Ecke ist prädestiniert, um Sport zu machen.
Spielen Sie noch andere Instrumente?
Lange Zeit Kontrabass, leidenschaftlich gern, außerdem Klavier und Blockflöte, aber beim Schlagzeug wusste ich immer: Das ist das, was ich machen will. Das ist mein Instrument. Da ist die körperliche Action dabei, und der globale Ansatz. Wenn ich mit Freunden aus Südamerika spiele, zeigen die mir Dinge, von denen ich gar keine Ahnung habe. Da lerne ich, auch wenn ich nie so einen Groove hinbekommen werde wie die Jungs aus Kuba.
Hatten Sie überhaupt eine Chance, etwas anderes zu lernen?
(lacht) Ja, natürlich. Eine kurze Zeit dachte ich, ich werde Landwirt. Das fand ich total cool. Ich habe ja meine Kindheit auf dem Bauernhof verbracht. Irgendwann dachte ich auch, ich werde Fußballer. Ich bin immer noch totaler Fußballfan, habe eine Saisonkarte bei Bayern München. Aber irgendwie war es dann doch klar, dass das Schlagzeug mein Ding ist.