Entfernter können zwei Arbeitsplätze kaum liegen: Der Dirigent und Organist Martin Haselböck leitet das von ihm gegründete Orchester Wiener Akademie und seit 2005 das Barockorchester Musica Angelica in Los Angeles. Dort entstanden auch der Kontakt zum Schauspieler John Malkovich und die Idee zum Stück The Infernal Comedy über den österreichischen Serienmörder Jack Unterweger. 2009 feierte das Stück in Los Angeles Premiere. Seitdem wurde es weltweit in über 20 Ländern gegeben und kommt nun im Rahmen einer
Europatournee auch nach Berlin.
Herr Haselböck, Ihrem Projekt The Infernal Comedy liegt die Geschichte des österreichischen Frauenmassenmörders Jack Unterweger zugrunde – braucht man ein mörderisches Sujet, um Aufmerksamkeit für die Klassik zu gewinnen?
Zuallererst geht es um die Verbindung zweier bislang kaum verbundener Welten, nämlich der klassischen Orchestermusik und des Schauspiels auf Hollywood-Niveau. Die Story selbst ist einem Zufall entsprungen: Bei einem Abendessen saß ich neben John Malkovich, und irgendwann im Laufe des Abends haben wir beschlossen, ein gemeinsames Projekt zu machen. Einige Monate später war John bei der Präsentation eines Buches über Jack Unterweger, und danach rief er mich an und sagte: Wir sollten dieses Stück spielen.
Woraufhin der österreichische Regisseur Michael Sturminger das Libretto verfasste.
Er schrieb es John Malkovich praktisch auf den Leib. Es ist die Begründung der Idee: Wozu brauche ich Melodram, wozu brauche ich Musik? Im 18. Jahrhundert war es fast eine Mode, Frauen als gequälte Figuren solistisch auf die Bühne zu stellen. Da konnten wir uns aus einer Überfülle an Literatur so punktgenau unsere Stücke aussuchen, dass es wirkt, als wäre es ein zusammenhängendes Stück.
Angesichts des Themas erstaunt das Wort Comedy im Titel.
Es sei an das Dramma giocoso erinnert. Mag es sich auch um ein fürchterliches Sujet handeln, so ist es doch kein völlig finsteres Stück, sondern wird durch den spielerischen Umgang immer wieder gebrochen. Es ist ein Stück über Fiktion und Wahrheit, denn Unterweger hat sich sein Leben lang eine doppelte Identität aufgebaut. Am Schluss kommt er selbst darauf: Er ist nicht in der Lage, die Wahrheit über sein Leben zu erzählen.
Was fasziniert Sie an diesem Frauenmörder, der ja im Stück losgelöst von seinen Morden betrachtet wird?
Die Person tritt in den Hintergrund, es geht nicht um Biografisches. Malkovich hatte zwar im Vorwege gesagt: „I want to play an evil guy“, aber im Libretto steht nicht der Böse im Mittelpunkt, sondern der Lügner. Es geht um Wahrheit und Lüge: Wie kann ich mir meine eigene Identität zurecht lügen? Es werden verschiedene Themen berührt bis hin zur Frage: Was ist Wahrheit? Das scheint mir das zentrale Thema. Und das ist vielleicht die Kunst des Stücks, dass am Schluss der Eindruck bleibt: Die Frauen sind hier die Stärkeren.
Wie haben Sie die Musik ausgewählt?
Die reicht von den Seria-Arien aus Opern Händels und Vivaldis über Gluck bis zu den großen Szenen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. All diese Frauen befinden sich meist in einer speziellen Situation: Verlassen oder auf einer Insel zurückgelassen, betrogen oder gequält. Meist sind diese Arien Mini-Opern, die die gesamte Bandbreite der Affekte in zehn, zwölf Minuten liefern.
Was ist für Sie das Besondere an der Zusammenarbeit mit Malkovich?
Ich habe ihn als einen wirklichen Intellektuellen erfahren, der im Gegensatz zu anderen Hollywood-Leuten extrem belesen ist. Er hat großen Respekt gegenüber den Sängerinnen und Musikern, die alle mehr oder weniger eingebunden sind ins Spiel, und ich war ganz gerührt, als er im Interview sagte: Ich habe 20 Jahre gebraucht, um herauszufinden, was die wirklich erfüllenden Projekte sind. Vor allem aber ist es sein unfassbar hohes Niveau, das jedes Mal wieder aufs Neue inspiriert: Fast wie ein Musiker, der die Kadenzen improvisiert und immer wieder den richtigen Ton trifft.