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INTERVIEW MARTIN STADTFELD

Man wächst an der Auseinandersetzung

Der Pianist Martin Stadtfeld über Erfolg, Glück und die Götter der Musik

vonArnt Cobbers,

Mit sechs Jahren begann Martin Stadtfeld mit dem Klavierspiel, mit neun gab er sein Konzertdebüt, mit 14 wurde er Jungstudent an der Musikhochschule Frankfurt/Main. Mit 22 gewann er den Bach-Wettbewerb Leipzig, und mit seiner Einspielung der Goldberg-Variationen 2003 wurde der heute 31-Jährige, der im Westerwald aufwuchs, zum Popstar der deutschen Klassik. 

Herr Stadtfeld, erst wurden Sie von den Kritikern euphorisch gefeiert, dann niedergemacht. Wie gehen Sie damit um?
Wenn man einen Beruf hat, in dem man in der Öffentlichkeit steht und in dem es darum geht, ob man Erfolg hat oder nicht, ist man immer Anfeindungen ausgesetzt, das ist selbstverständlich. Wenn man Erfolg haben will, muss man sich auch in dieser Hinsicht bewähren, das ist ja auch eine menschliche Prüfung, an der man reift und die auch Selbstbewusstsein gibt. Ich nehme das nicht persönlich, solange bestimmte Regeln eingehalten werden. Letztlich geht es beiden Seiten, Musikern wie Kritikern, um dasselbe, wir lieben die Musik. 

Haben Sie manchmal gedacht, die Karriere hätte langsamer gehen können?
Nein, ich sehe das Ganze in einer kontinuierlichen Entwicklung. Ich habe immer schon Konzerte gespielt, die Anzahl ist stetig gewachsen. Und es gibt einen Moment, da muss die Karriere Fahrt aufnehmen, man muss in größeren Konzerthäusern spielen, sonst wächst man nicht weiter. Man wächst an der Auseinandersetzung im Konzert, deshalb ist es für junge Musiker unglaublich wichtig, viel zu spielen. 

Haben Sie einen Plan für die Karriere?
Nein, die CDs spiegeln einfach, was mich gerade interessiert, was ich im Konzert gespielt habe. Am Anfang hatte ich sogar Angst, dass man mich auf Bach festlegen würde. Da war ich ungeduldig. Aber das sollte man nicht sein. Wichtig ist, dass man überhaupt wahrgenommen wird. Es hilft sehr, in Verbindung gesetzt zu werden mit etwas, für das man steht, in meinem Fall Bach. Das zu erweitern hat man dann Jahrzehnte Zeit. Und wenn man Erfolg hat, hat man auch die Chance, Dinge zu tun, mit denen man gar nicht in Verbindung gebracht wird, und das Publikum kommt trotzdem mit. 

Wann war Ihnen klar, dass Sie Musiker werden wollten?
Das war mir immer schon klar. Ich habe schon in diese Alben in der Schule unter Berufswunsch immer Konzertpianist geschrieben. Meine Mutter liebt Musik über alles, sie hat zwar kein Instrument gespielt, aber ich bin mit Mozart, Beethoven und Bach aus dem Lautsprecher aufgewachsen. 

Was ist das Schöne am Musikerberuf?
Zunächst einmal die Beziehung zwischen der Musik und mir – das ist etwas sehr Intimes, und es hat eine gewisse Absurdität, dass man dieses Intime in einen sehr großen Rahmen trägt. Aber beides ist reizvoll, die Auseinandersetzung mit der Musik, das Ergründen und Erfassen und Erfühlen – und dann der Moment, in dem man es im Konzert mit dem Publikum teilt. Man spielt ein Stück ja aus einem bestimmten Grund: weil man eine Notwendigkeit fühlt, es zu spielen, man empfindet da fast einen Auftrag. Und es ist ein schöner Moment, wenn das Publikum mitgeht auf die Reise. 

Warum beschränken Sie diese Reise oft auf das Werk eines Komponisten?
Auf CD, aber nicht im Konzert. Ich finde es sehr spannend, Bezüge herzustellen. Ein Komponist steht ja immer in einer großen Tradition und führt sie auf seine Art weiter, im besten Falle genial. Wenn ich zum Beispiel Chopin-Etüden spiele, dann sehe ich da eine ganz starke Verbindung zu den Präludien von Bach, nämlich die Idee, einen einzigen Gedanken einem Werk zu Grunde zu legen und in aller Stringenz auszuarbeiten. Oder jetzt im Berliner Konzert die Verbindung von Wagner und Rachmaninow. Rachmaninow war in seiner frühen Zeit fasziniert von Wagner. Auch seine Bearbeitung der Bach-Partita ist unglaublich klug, nicht dogmatisch, sondern klangsinnlich – und genau das ist Bach. Solche Kombinationen müssen eine sinnvolle Einheit ergeben, ohne dass man es erklären muss. 

Ist Bach für Sie der Größte?
Ja, Bach und Mozart sind so die Götter. Mozart vor allem wegen der Sinfonien und Opern. Was mich an Bach fasziniert, kann man nicht so leicht definieren. Bachs Musik erreicht sofort die Herzen der Menschen. Wenn ich in eine Hauptschule gehe, um vor Kindern zu spielen, die nie klassische Musik gehört haben, wähle ich immer ein Werk von Bach. Bach ist immer alles: Trauer, Glück, etwas sehr Individuelles, aber auch das Absolute. 

Ihre zweite große Liebe ist Rachmaninow?
Absolut. Ich halte ihn für einen ganz Großen. Ich habe generell eine große Affinität zum russischen Repertoire, Tschaikowsky, Prokofjew, auch Skrjabin finde ich faszinierend, das kommt bestimmt eines Tages als Zyklus. 

Hat Sie da Ihr russischer Lehrer geprägt?
Ich glaube, die Liebe zur russischen Musik war schon da. Aber mein Lehrer hat bei Lev Oborin studiert und bei Oistrach Kammermusikunterricht gehabt. Das ist eine Tradition, die mich sicherlich geprägt hat. Auch der Ansatz, dass man sich einen großen Überblick über die Welt der Musik verschafft, da gibt es kein Spezialistentum. Man begreift Musik nur, wenn man sie aus der Entwicklung heraus versteht. Wir Pianisten haben ja das Glück, dass wir so vieles spielen und erleben dürfen. 

Ist Ihnen das Sangliche wichtig?
Mich interessiert die Betonung des Melodischen, aber nicht der Oberstimme, sondern dessen, was die ganze Partitur durchzieht, der Struktur. Man hat verschiedene Ebenen, die miteinander verwoben sind, und das muss zum Sprechen gebracht werden, das sage ich lieber als Singen, denn das klingt nach Melodie und Begleitung. Es muss in Interaktion miteinander treten, was innerhalb der Partitur passiert. Man darf nicht pauschal von der Melodie ausgehen, was bei Chopin viel zu oft passiert, wie ich finde. Chopin hatte seinen Bach studiert, und das schlägt sich in seinen Werken nieder. Man hört heute, durch die Popmusik geprägt, nur auf die Melodie, die Oberstimme, wir sind so konditioniert, dass wir nur noch in Melodie und Begleitung hören. 

Treibt Sie auch die Lust am Virtuosen?
Unbedingt. Aber nicht aufs Technische reduziert. Diese Spielfreude spüre ich bei Bach wie bei Rachmaninow. Viele großartige Klaviermusik ist ja in der lustvollen Auseinandersetzung mit dem Instrument entstanden. 

Warum spielen Sie so wenig Modernes?
Ich habe ein bisschen Schönberg gespielt, und die Berg-Sonate spiele ich sehr gern. Aber kaum moderne Klassik oder Zeitgenossen. Das hat auch mit der Grundhaltung zu tun, dass Musik intellektuell zu sein hat. Das kann sie sein, das ist Bach auch, aber sie muss auch sinnlich sein und das Herz berühren. Natürlich gibt es tolle Komponisten, Ligeti, Messiaen, und ich liebe Schnittke sehr. Aber der beherzigt auch zwei Dinge: Er respektiert die Form, und seine Musik steht auf dem Boden der Tonalität. Seine Experimente wirken gerade deshalb so spannungsvoll, weil dem Ganzen die Tonalität zu Grunde liegt. Und ich glaube, erst die Begrenzung fordert den Geist heraus. Wenn man von vornherein sagt, ich kann jede Möglichkeiten nutzen, dann entsteht in der Regel nichts Großes. Die Tonalität ist nicht ausgereizt, überhaupt nicht. Man braucht natürlich wahnsinnig viel Phantasie, aber die brauchte auch Beethoven schon. 

Sie gehen bald wieder ins Aufnahmestudio. Freuen Sie sich schon darauf?
Das ist für mich jedes Jahr die intensivste Zeit, die Zeit der höchsten Konzentration. Man hat nur noch die Musik im Kopf, träumt davon, aber das ist notwendig und schon sehr beglückend. In der Vorbereitung versuche ich loszulassen, ich habe die Stücke oft im Konzert gespielt, jetzt kann ich loslassen. Ich blättere in den Noten, stelle mir den Klang vor, gucke, ob ich etwas übersehen habe. Aber wenn man ins Studio geht, betritt man eine andere Welt und kommt fünf Tage nicht heraus, sondern geht immer tiefer hinein. 

Ist es schwieriger, im Studio zu spielen als im Konzert?
Es ist viel schwieriger, weil die Situation eine künstliche ist, man spielt ja nur fürs Mikrophon. Man muss genau auf den Punkt kommen, dass man das Gefühl völliger Überlegenheit hat und doch alles hineinlegt. Diesen Punkt muss man sich erarbeiten, dann beginnt man zu schweben. Man merkt beim Spielen: Jetzt passiert‘s. 

Auch im Konzert?
Wenn alles gut läuft, kommt dieser Punkt irgendwann, dass die Dinge von allein geschehen. Ich muss nur noch die Strippen ein bisschen kontrollieren, aber kann mich eigentlich dem Gefühl der Musik hingeben. Ich bin nicht nur der Gestalter, ich kann mich selber hineinfallen lassen – das ist ein tolles Gefühl. 

Warum wächst eine Interpretation erst im Konzert wirklich?
Sie wächst durch die Intensität des Erlebten. Je intensiver man etwas erlebt, desto tiefer geht es ins Unterbewusstsein – und die Spannung des Konzerts kann man zu Hause nicht simulieren. Man erfährt das Werk vor Publikum anders, weil man auch die Spannung, die Dramaturgie eines großen Werkes anders halten muss. 

Fühlen Sie sich als Glückskind, wenn Sie auf die ersten Jahre Ihrer Karriere zurückblicken?
Jeder Mensch, der Erfolg hat und beruflich etwas tun kann, was er sehr liebt, hat Glück. Wer aus den Augen verliert, dass auch Glück dazu gehört und dass man das als Privileg mit gewisser Dankbarkeit zu sehen hat, der hat Wesentliches verloren. Wenn es gelingt, die Leidenschaft umzusetzen und nicht nur für sich zu erleben, sondern nach außen zu tragen – was sich jeder Künstler wünscht –, dann ist das schon Glück.

Album-Tipp

Album Cover für
Bach: Klavierkonzerte BWV 1054,
1055, 1058, Acht kleine Präludien
und Fugen für Orgel
(Bearb. Stadtfeld)

Martin Stadtfeld (Klavier),
Philhar- monisches Kammerorchester
München, Lorenz Nasturica
-Herschcovici (Ltg.)
Sony Classical

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