Herr Husmann, welches Resümee ziehen Sie aus einem halben Jahrhundert als Musiker?
Mathias Husmann: Meine Generation hatte es leichter als die heutigen Dirigenten. Die Theater blühten auf dem aufsteigenden Ast des Wirtschaftswunders auf und wir konnten sicher sein, eine Stelle als Kapellmeister zu bekommen. Das Niveau ist gegenüber meiner Zeit gestiegen, die Ausbildung komplizierter, differenzierter und vielseitiger. Es wäre gewinnbringend für die Klassik, wenn mehr Frauen diesen Beruf ausübten, denn sie sind nicht weniger intelligent, dafür aber lockerer als wir Männer.
Und wie blicken Sie als Komponist auf die vergangenen fünfzig Jahre zurück?
Husmann: Als Sohn einer Pianistin waren im Hintergrund immer Bach, Chopin und Schumann. Vor ihnen müssen die Dinge bestehen, die ich als Komponist gestalten wollte. Ich bin kein Avantgardist und habe Respekt vor denen, die versuchen, die Musik wie das Pulver neu zu erfinden. Das habe ich nie getan und kann es auch nicht. Meine Werke muteten anfangs zu konservativ an, mittlerweile wirken sie als Neue Musik. Ich habe daher eine gewisse Hoffnung, dass meine Arbeit nicht umsonst gewesen ist.
Auf welche Meilensteine blicken Sie zu Ihrem 75. Geburtstag zurück?
Husmann: Mir fiele im Einzelnen zu viel ein, was man hervorheben müsste. Ich denke gerne an mein erstes Schlüsselerlebnis zurück, 1973 als Korrepetitor in Hamburg. Ich wurde über Nacht gebeten, am nächsten Morgen Mahlers Sechste mit den Philharmonikern zu proben, weil der Dirigent im Londoner Nebel feststeckte. Weder das Orchester noch ich kannten das Stück. Also sagte ich zu den maulenden Philharmonikern: Ich habe den Nebel nicht bestellt und finde es sehr freundlich von Ihnen, dass Sie mich am Kennenlernprozess teilnehmen lassen wollen. Es lief gut, ab dem vierten Satz habe ich einfach geprobt. Das hat mir die Türen in Hamburg geöffnet. Ich habe mit der Zersplitterung in gleichen Teilen als Dirigent, Komponist und Pianist gut gelebt. Mein großes, aber nie erreichtes Vorbild war dabei Leonard Bernstein.
In Ihren Opern haben Sie das Spannungsfeld von Künstlern in der Krise ausgeleuchtet. Was hat Sie daran fasziniert?
Husmann: Wenn man etwa 120 Opern dirigiert hat und einen kompositorischen Drang spürt, möchte man den Moment des eigenen Gestaltens erleben und in ein Werk die eigenen Beobachtungen einfließen lassen. In Hoffnung auf eine Zyklusbildung habe ich früh über ein Thema nachgedacht. Und was kann die Musik besser ausdrücken, als die Seele des Musikers? Ich habe über Vivaldi, Sibelius, Offenbach und Giuseppina Strepponi geschrieben, eine Sängerin, deren Bedeutung für Verdi nicht wirklich erkannt wird. In der Schublade liegt ein noch nicht uraufgeführtes Ballett über die zauberhafte Romanze zwischen dem Dichter Gorch Fock und der Schauspielerin Aline Bußmann. Ich hoffte, John Neumeier würde sich das einmal anschauen.
Spüren Sie noch einen kompositorischen Drang?
Husmann: Als alter Mensch geht es mir wie Thomas Mann und Benjamin Britten: Das Handwerk ist gestählt, man glaubt alles zu können, aber zweifelt an den eigenen Ideen. In zwei Tagen wird mein Streichquartett in Leipzig uraufgeführt. Das gibt vielleicht eine Antwort darauf, ob ich dem Drang zum Komponieren weiter nachgeben sollte.
Für concerti haben Sie mit „Präludien fürs Publikum“ einen kurzweiligen Konzertführer geschrieben.
Husmann: Ich bin dem Verlag bis heute dankbar für diese Idee. Sich hinzusetzen und zu versuchen, einem imaginären Gegenüber in aller Kürze eine Tür zu öffnen zu einem Stück oder einem Genre, das er oder sie nicht kennt, das hat Spaß gemacht! Zwei Bände mit insgesamt 198 erklärten Werken reichen aber.