Gleich nach dem ersten Klingelzeichen nimmt Obi Jenne den Hörer auf. Zum Zeitpunkt des Telefoninterviews befindet sich der Schlagzeuger gerade auf einer italienischen Autobahn rund um Mailand in Richtung Norden. Als vielseitiger Schlagzeuger ist Jenne weltweit auf Tournee. Eine längere Autofahrt für ein Interview zu nutzen, passt da genau richtig in seinen sonst gut gefüllten Terminkalender.
Herr Jenne, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie hörten, dass das Drumset zum Instrument des Jahres 2022 gewählt wurde?
Jenne: Ich habe mich gefreut, dass das Karussell nun bei meinem Instrument angekommen ist. Allerdings waren ja auch schon so ziemlich alle anderen Instrumente mal an der Reihe. Mich würden da die Reaktionen von Nicht-Schlagzeugern interessieren. Aber klar, natürlich gehört das Schlagzeug auch zu den richtigen Instrumenten. Es gibt ja teilweise noch immer Personen in der Musikwelt, die das anders sehen oder das Drumset ein wenig belächeln. Es ist in jedem Fall ein gutes Signal.
Gibt es tatsächlich noch immer große Vorurteile gegenüber dem Schlagzeug?
Jenne: In der Klassik gibt es schon viele Witze und geflügelte Worte über das Schlagzeug. Etwas wie „Die Künstler und der Schlagzeuger bitte auf die Bühne!“. Um es mal seriös auszudrücken, erlebte das Schlagzeug seine Blüte als letztes von allen Instrumenten. Natürlich wurden die klassischen Orchesterinstrumente deutlich vor dem Drumset erfunden, und auch das klassische Schlagzeug ist da wesentlich später dran gewesen. Beim modernen Drumset beispielsweise wurde erst 1887 die Fußmaschine zur Betätigung der Basstrommel erfunden. Die Hi-Hat auf der linken Seite etwas später. Somit ist das Drumset in seiner heutigen Form noch relativ jung und so bei vielen Leuten nicht als richtiges Instrument anerkannt.
Sie haben klassisches Schlagzeugspiel studiert, sind heute verstärkt im Jazz aktiv. Was macht für Sie die Faszination der Instrumentengruppe Schlagzeug aus?
Jenne: Als Schlagzeuger hat man sehr unterschiedliche Betätigungsfelder. Als klassischer Schlagzeuger haben wir unsere Blüte in der Neuen Musik, wo Komponisten die Flexibilität des Instruments dafür nutzen, instrumentenspezifisch neue Wege zu gehen. Vom modernen Drumset her gedacht, verhält es sich so, dass das Schlagzeug im Laufe der Jahrzehnte in der Entwicklung des Jazz in den 1950er- und vor allem in den 1960er-Jahren durch Musiker wie Tony Williams und Elvin Jones vom Miles Davis Quartet und dem John Coltrane Quartet erstmal zu einem hundertprozentig gleichberechtigten Instrument wurde. Ab dann gab es die Möglichkeit für Schlagzeuger, deutlich mehr gestalten zu können, als nur die Funktion des Rhythmusgebers zu erfüllen, der das Timing der Band vorgibt, was landläufig für viele Menschen immer noch so ist. Heute treten wir in normale Kommunikation mit allen anderen Musikern einer Jazzband. Für mich ist es interessant, einerseits der Taktgeber zu sein, aber andererseits auch derjenige, der die Richtung vorgibt. Ich würde zwar nicht sagen, dass die anderen Musiker nach unserer Pfeife tanzen müssen, aber wenn wir Drummer musikalisch irgendwo anders hingehen, dann haben wenig Mitmusiker die Möglichkeit, uns wieder in eine andere Richtung zu lenken.
Drummer in einer Jazzband zu sein, unterscheidet sich ja alleine schon vom Instrumentarium sehr von dem eines Schlagwerkers im sinfonischen Kontext. Gibt es Parallelen, die vielleicht nur für den Laien nicht erkennbar sind?
Jenne: Als klassischer Schlagzeuger übt man neben Xylofon, Vibrafon, Marimbafon, Glockenspiel und Pauken, Becken und Tamburin vor allem das Spiel auf der kleinen Trommel. Die kleine Trommel ist die Snare Drum, die der Drummer zwischen seinen Füßen hat und die im Grunde das Hauptinstrument darstellt. Im Popmusik-Kontext liegen die Gewichte der Hi-Hat oder Becken, Bass Drum oder Snare etwas schwerer, vor allem bei der Bass Drum und Snare als ostinate Figuren. Beim Jazz sind es die Hi-Hat und das Becken, wobei mit der Snare in erster Linie improvisiert wird. Alles aber, was wir beispielsweise auf der Hi-Hat oder auf den Becken spielen, hat von der technischen Komponente mit dem zu tun, was wir auf der kleinen Trommel im klassischen Kontext gelernt haben. Dort üben wir beispielweise Etüden für die kleine Trommel. Von daher würde ich sagen, dass es gar nicht so unterschiedlich ist. Alle anderen Instrumente sind deutlich unterschiedlicher, was den Einsatz im Jazz und in der Klassik betrifft. Alleine von der Tongebung her. Eine Trompete zum Beispiel hat einen ganz anderen Querschnitt vom Mundstück her und eine deutsche Trompete ist wiederum etwas ganz anderes als eine amerikanische Trompete, mit der der Jazz gespielt wird. Meines Erachtens sollte ein guter Jazzschlagzeuger das klassische Schlagzeugspiel im Sinne der technischen Qualifikationen erlernt haben.
Das Drumset findet sich ja in den unterschiedlichsten Musikstilen, ist quasi durch den Einsatz vieler verschiedener Perkussionsinstrumente klanglich endlos erweiterbar. Wie findet man hier den Weg zum passenden klanglichen Ergebnis?
Jenne: Das Entscheidende dafür sind die Becken. Genauer gesagt die Beschaffenheit der Becken, weil man Becken nicht stimmen kann. Man muss sie so kaufen, wie sie einen später begleiten. Sie sind also entscheidend für die Ausprägung des persönlichen Sounds, was natürlich auch damit zusammenhängt, was für einen Stil man spielt. Bei den Trommeln variiert man in der Größe. Da geht es bei der Bass Drum von 16 Inch bis 22 Inch. Mit den 20er- und der 22er-Modellen spiele ich R ’n’ B und Pop, 16-Inch- oder vor allem 18-Inch-Bass Drums setzte ich hauptsächlich im Jazz ein. Auch die Snare Drums sind ein wenig unterschiedlich von der Größe, unterscheiden sich aber vor allem in ihrer Stimmung. Wenn ich Jazz spiele, stimme ich die ganzen Trommeln viel höher. Auch die Basstrommel hat dann weniger eine Tiefbassfunktion wie in der Popmusik, sondern eher die Funktion, sich in das Set einzufügen, ohne dem Kontrabass im Weg zu sein. Wenn ich auf Tournee bin, bekomme ich meistes Drumsets zur Verfügung gestellt, die nicht zu hundert Prozent zu dem passen, was meinen technischen und Instrumenten-spezifischen Anforderungen entspricht. Über die Stimmung kann man dann aber viel lösen. Meine Becken nehme ich immer mit, einfach um immer den richtigen Sound für die Band zu haben, mit der ich gerade zusammenspiele. Ich habe mir übrigens viele Becken extra anfertigen lassen und besitze mittlerweile eine Sammlung von über siebzig Stück. Das hat nichts mit einer großen Sammelleidenschaft zu tun, sondern damit, dass neue Becken einen immer wieder inspirieren und man immer auf der Suche ist, um neue klangliche Entdeckungen zu machen.
Häufig werden ja die Instrumente zum Instrument des Jahres gewählt, bei denen es durch mangelnde Popularität zu Nachwuchsproblemen gekommen ist. Geht die Faszination für das Instrument an sich zurück?
Jenne: Also den Eindruck habe ich überhaupt nicht. Natürlich ist es bei vielen Leuten, gerade bei denen, die in der Stadt wohnen, ein Problem, Drumset zu üben. Das ist aber kein neues Problem. Grundsätzlich kann ich mir also nicht vorstellen, dass es daran liegt, dass das Drumset nun zum Instrument des Jahres gewählt wurde. Ähnlich verhielt es sich ja bei dem Saxofon. Wenn irgendwo ein Jazzworkshop ist, dann kommen zwei Bassisten, vier Schlagzeuger, sieben Pianisten und achtundzwanzig Saxofonisten (lacht). Ich denke, dass das Drumset jetzt einfach mal dran war.
Was war ihr kuriosester Schlagzeugmoment?
Jenne: Wenn wir von Pleiten, Pech und Pannen sprechen, war es bei mir eindeutig ein Konzert, bei dem mir kurz hintereinander das Bassdrumfell und das Snarefell gerissen sind. Das passierte natürlich an einem Sonntagmorgen, wo man keinen Ersatz bekommen kann und dazu auf einem Schlagzeug, auf dem ich abends zuvor stundenlang problemlos gespielt hatte.
Das Schlagzeugspiel erfordert mitunter vollen Körpereinsatz. Sollte man also eine gewissen Kondition mitbringen?
Jenne: Also ich kann da natürlich nur für mich sprechen, und ich bin absolut unsportlich. Mein einziger Sport ist mein Schlagzeug. Interessant ist dabei, dass es mich überhaupt nicht anstrengt. Mit der richtigen Technik ist es egal, wie lange und heftig man spielt. Auf der Bühne ist es natürlich eine besondere Situation, wenn beispielsweise die Scheinwerfer heiß sind, da schwitzt man dann ein wenig. Im Grund ist es aber eine leichte körperliche Betätigung. Einzig das Schleppen des Instruments ist etwas lästig (lacht).