Seit Ende der 50er Jahre haben Menahem Pressler und das Beaux Arts Trio weltweit zahllose Konzerte gegeben. Auch nach dem Ende des legendären Klaviertrios bleibt der gebürtige Magdeburger, der 1939 nach Israel floh und 1946 in die USA ging, der Konzertbühne treu. Das Alter scheint dem freundlichen, hellwachen Mann, der die 80 schon weit überschritten hat, nichts anzuhaben, wie sich nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Gespräch zeigte.
Herr Pressler, im August 2009 hatte das Beaux Arts Trio sein letztes Konzert. Aber Sie reisen immer noch unermüdlich um die Welt. Warum?
Ich dachte, es würde weniger werden mit dem Reisen – aber es hat zugenommen. Und was es schwieriger macht, ist, dass viel Repertoire dazukommt, das ich nicht so oft gespielt habe. In Warschau hatte ich mit Antonio Meneses die Chopin-Sonate gespielt, ein furchtbar schweres Stück fürs Klavier. Dann war ich sechs Tage in Beijing, unterrichtete dort, war Vorsitzender einer Wettbewerbsjury und habe zwei Klavierkonzerte von Mozart und Beethoven vor 2000 Leuten gespielt. Danach hatte ich Konzerte in Minneapolis und St. Paul, war zu Hause, um mich um meine Schüler zu kümmern – ich bin ja immer noch, seit 53 Jahren, Professor in Bloomington, Indiana, an einer der besten Schulen der Welt, da habe ich 15 Studenten. Zwischendurch hatte ich in Washington ein Konzert mit dem American String Quartet, und acht Tag später habe ich in New York mit Richard Stoltzman Bernsteins Klarinetten-Sonate gespielt. Die habe ich in den acht Tagen gelernt – darauf bin ich besonders stolz. Dass ich das in meinem Alter immer noch kann!
Macht Ihnen das Reisen so viel Spaß?
Enormen Spaß. Man will, dass das Leben einen Sinn hat. Ich kann sagen: Das Musizieren gibt meinem Leben einen Sinn. Mein ganzes Leben lang hatte ich Hunger zu musizieren, und der Hunger hat nicht nachgelassen. Zu reisen, Freunde zu treffen, das Land zu fühlen, in das ich komme, das macht mir immer noch wahnsinnig viel Spaß.
Empfinden Sie Ihre Gesundheit als ein Gottesgeschenk?
Es ist ein Gottesgeschenk. Aber ich helfe ihm. Ich bin sehr fleißig. Wenn wir uns nachher verabschieden, gehe ich üben. Ich bin immer vor meinen Kollegen da. Ich versuche jeden Tag drei bis vier Stunden zu spielen.
Auf wessen Rat vertrauen Sie, der Ihnen sagen könnte: Hör lieber auf, es geht nicht mehr so gut?
Man merkt das selbst sofort, wenn man ehrlich ist. Von jeder Aufführung bekomme ich einen Mitschnitt, da habe ich immer den Spiegel vor mir. Es stimmt, es gibt viele Musiker, die sich nicht hören oder die sich Schwächen sofort verzeihen. Das berühmteste Beispiel ist Yehudi Menuhin, der früh die Kraft verloren hat. Aber das Publikum hat ihn so geliebt, dass es ihm alles verziehen hat. Der Grund war: Es gab immer Momente, die auf der höchsten Höhe waren. Darauf kommt es eigentlich auch an. Es sind die besonderen Momente, die einen Abend unvergesslich machen.
Was ist so faszinierend daran, bestimmte Werke immer wieder zu spielen?
Wenn man Musiker ist und es ernst nimmt, kann man nie sagen, ich kenne den Schubert so gut, da entdecke ich nichts mehr. Das ist so reich, so tief. Das Ravel-Trio habe ich vielleicht 600 Mal gespielt, und es ist mir immer kalt den Rücken hinuntergelaufen, wenn ich den Anfang gespielt habe. Ich freue mich jetzt schon auf das Schumann-Quintett heute Abend, ich liebe dieses Werk.
Fühlen Sie auch eine neue Freiheit, seit Sie das Trio nicht mehr haben?
Ja und nein. Wenn Sie glücklich verheiratet sind und die Frau stirbt und Sie haben dann Freundinnen – das ist auch nett. Das ist das, was ich jetzt tue – ich habe viele Freunde und Freundinnen, mit denen ich spiele. Aber wenn man eine glückliche Ehe hatte, und die hatten wir im Trio, das ist etwas ganz Besonderes.
Sie sind ja per Zufall zur Kammermusik gekommen. Warum sind Sie dabei geblieben?
Weil es so schön war. Ich wollte die Mozart-Trios aufnehmen, und mein Plattenproduzent sagte: Such dir zwei Leute und tu es. Über eine Empfehlung kam ich an Toscaninis Konzertmeister Guilet und den Cellisten Greenhouse. Wir machten einige Konzerte und die Platte, aber es lief so gut, dass wir immer weiter gemacht haben. Damals war das Klaviertrio noch gar nicht richtig anerkannt. Ich hatte viel Erfolg als Solist, aber mit dem Trio haben wir etwas wirklich Neues in die Welt gebracht.
Müssen Sie sich als Pianist in der Kammermusik nicht immer zurücknehmen?
Man muss die Balance halten. Man hält sich zurück an der Muskelstärke, aber nicht an den Gefühlen. Was ist Musik, wenn nicht klingende Gefühle? Natürlich, wenn man sich beweisen will auf dem Klavier, dann ist man im Trio verkehrt. Aber ich habe mich immer als Diener der Musik verstanden.