Ein Szenenfoto aus einer seiner Opern nutzt er als Hintergrund für das Interview per Videochat. Damit man die Unordnung in seinem Arbeitszimmer nicht sieht, sagt Moritz Eggert. Im Gespräch wirkt der Komponist jedoch sehr aufgeräumt.
Herr Eggert, seit September letzten Jahres sind sie als Nachfolger von Enjott Schneider Präsident des Deutschen Komponistenverbands. Welche Motivationen hatten Sie, diesen Posten zu übernehmen?
Moritz Eggert: Ich wurde sehr freundlich gedrängt und habe gedacht, in einer Zeit wie dieser wäre es blöd, nein zu sagen. Nun möchte ich mit meiner öffentlichen Stimme auch etwas tun für die Komponistinnen und Komponisten in Deutschland. Es handelt sich allerdings nur um eine Interimspräsidentschaft, weil wir momentan keine Mitgliederversammlung abhalten können.
Sie sind ja bekannt dafür, sich öffentlich zu Wort zu melden. Auf ihrem „Bad Blog Of Musick“ haben Sie sich jüngst mit einem Appell an die Kulturschaffenden gewendet, in der Coronazeit lieber zu schweigen, als die Stimme gegen die Entscheidungen der Politik zu erheben. Warum?
Eggert: Wenn ich als wacher Mensch in die Welt schaue, sehe ich, dass alle Länder dieses Planeten mit der Pandemie zu tun haben und dass Länder, die das nicht ernst nehmen, riesige Probleme bekommen. Dass die Maßnahmen in föderalen Ländern wie dem unseren einen Flickenteppich bilden und um Kompromisse gerungen werden muss, ist klar. Man muss aber begreifen, dass wir alle in einem Boot sitzen. Ich mag es nicht, wenn Künstler sich so darstellen, als seien sie etwas Besonderes, als agierten sie außerhalb der Gesellschaft und alle müssten auf sie Rücksicht nehmen. Das öffentliche Leben ist insgesamt von den Schließungen betroffen. Warum sollte ich als Künstler dabei eine Sonderrolle spielen? Bei der momentanen Regierung sehe ich absolut keine Agenda der Kulturvernichtung.
Sie sagen, dass uns die wahre Krise der Kultur erst noch bevorsteht …
Eggert: Wenn wir Corona hinter uns haben, rechne ich mit zunehmenden Sparmaßnahmen. Wie nach der Finanzkrise 2007 werden sicherlich die Zuschüsse für Kulturstätten gekürzt und Orchester fusioniert. Das wird alle Künstler, alle Musikerinnen und Musiker in Deutschland betreffen. Dann müssen wir selbstverständlich unsere Stimme erheben. Aber wir sollten sie vorher nicht verbrauchen mit wehleidigem Gejammer, das im Moment ohnehin nichts bringt, weil eben alle jammern.
Wie sieht die Lage speziell für Komponisten aus?
Eggert: Wir werden die wirklich schwierige Situation erst in ein, zwei Jahren erleben. Für viele freischaffende Komponisten liefert die GEMA einen extrem wichtigen Bestandteil ihres Einkommens. In diesem Jahr haben wir noch unsere Zahlungen erhalten, die sich ja immer auf die Vorjahre beziehen. Aber im nächsten Jahr werden die Beträge dramatisch einbrechen auf wahrscheinlich ein Drittel dessen, was man normalerweise bekommt.
Wie nehmen Sie die Stimmung unter den Künstlern in Ihrem Bekanntenkreis momentan wahr?
Eggert: Vielen meiner Künstlerfreunde geht es momentan noch gar nicht so schlecht, aber sie leiden trotzdem und sind verzweifelt, weil Künstler sensibel sind. Das müssen sie auch sein. Es gibt auch Künstler meiner Generation die sich einreden, dass Corona gar nicht existiert, und diese posten waghalsige Theorien im Internet. Meine jungen Kompositionsstudentinnen und -studenten sind da viel realistischer, weil sie schon mit der drohenden Klimakatastrohe aufgewachsen sind. Denen sind solche globalen Themen und Probleme viel verständlicher. Insofern setze ich große Hoffnungen in die Jugend.
Verschwörungstheorien bieten ja eine psychische Schutzfunktion. Man kreiert ein Feindbild und unterstellt globale Täuschungsabsichten, um sich nicht selbst mit den unbequemen Fakten befassen zu müssen …
Eggert: Es ist schwierig, damit umzugehen. Wenn man verständnisvoll ist, stärkt man die Verschwörungstheorie. Man muss also auch mal sagen: Das ist einfach Blödsinn, was ihr da sagt! Daran zerbrechen gerade unglaublich viele Freundschaften. Aber plötzlich mit Reichsflaggen herumzumarschieren, das kann ich in meinem Freundeskreis einfach nicht akzeptieren – egal, wie sehr man leidet. Ich kann zwar verstehen, dass man manchmal genervt ist von einer überbordenden liberalen politischen Korrektheit. Aber irgendwo in der Mitte kann man sich doch treffen. Diese selbstbewusste gesunde Mitte der Vernunft, die abwägt und Kompromisse macht, fehlt mir zurzeit in Deutschland.
Es gibt Komponisten, die sagen, der Lockdown gibt ihnen endlich die Zeit, die sie zum Komponieren benötigen. Wie gehen Sie persönlich mit der Krise um?
Eggert: Ich habe in den letzten Monaten nur wenig komponiert, weil ich vorher überproduktiv gewesen bin und eine Uraufführung nach der anderen stattfand. Ich habe die Zeit also genutzt, um über Musik und meine Ästhetik nachzudenken. Trotzdem wache ich manchmal nachts um drei auf und mache mir Sorgen. Weniger um mich oder meine Familie als über die Gesamtsituation.
Lassen Sie auch den Moment der spontanen Eingebung zu? Oder mit anderen Worten: Komponieren Sie auch ohne Auftrag?
Eggert: Es wäre schön, aber heutzutage kommt es als freischaffender Komponist kaum vor, dass man so viel Zeit hat. Die Alltagsrealität besteht darin, Stücke auf Deadline abzuliefern. Das unterscheidet sich aber auch nicht so sehr vom Alltag eines Johann Sebastian Bach, der auch jede Woche seine Kantate abliefern musste. Dieser Umstand ist also nicht unbedingt komponierfeindlich, und man kann trotz Deadlines und bestimmter Rahmenbedingungen kreativ und originell sein.
Wie gehen Sie mit kreativen Blockaden um?
Eggert: Wenn ich frustriert bin und nicht weiterkomme, sage ich mir: Du kannst eigentlich machen, was du willst. Es muss nicht logisch oder erlaubt sein. Es muss auch nicht allen gefallen. Das ist für mich dann der beste Impuls, weiterzumachen, weil ich dann das Spielerische und Experimentierfreudige mitnehmen kann in die Komposition. Diese Freiheiten nahm sich zum Beispiel auch Haydn. Er hatte zwar seine Verpflichtungen am Hof von Esterházy. Aber überall dort, wo er sich die Freiheit nehmen konnte, hat er seine Experimente gemacht und sich um nichts geschert. Dieses Sich-um-nichts-Scheren ist ja das, was wir an der Kunst bewundern. Das Unmögliche, Grenzüberschreitende, Verrückte.
Können Sie sich vorstellen, die Corona-Situation in einer Oper aufzugreifen?
Eggert: Ich hätte keine Lust, ein Stück direkt über Corona zu schreiben. Ich glaube, da braucht es einen gewissen Abstand. Ich habe mich aber die letzten Monate sehr viel mit Sport beschäftigt, was ich ohnehin schon immer getan habe. Aus meinen Marathons und Ultraläufen während der Coronazeit habe ich ganz neue Vorstellungen über Stücklängen entwickelt. Ich könnte mir eine Ultra-Komposition von zwölf Stunden Länge vorstellen, die ich dann auch selber spielen muss. Außerdem ist ein Libretto für die Regisseurin Lotte de Beer entstanden, die 2022 die Wiener Volksoper übernehmen wird: eine Operette über Verschwörungsmythen. Solche Gedanken wären mir in einer Nicht-Corona-Zeit sicher nicht gekommen.