Der amerikanische Opernsänger Morris Robinson singt und spielt in Florian Sigls „The Magic Flute – Das Vermächtnis der Zauberflöte“ den Sarastro. Eine Rolle, die er seit Jahren auch regelmäßig an der New Yorker Metropolitan Opera verkörpert. Jetzt läuft der Film in den deutschen Kinos an. concerti hat den Sänger bei einer Vorpremiere in Hamburg getroffen.
Sie haben den Film gerade zum ersten Mal komplett gesehen. Wie hat er Ihnen gefallen?
Morris Robinson: Ich liebe, wie kohärent der Film die reale Welt mit der Fantasiewelt verbindet. Nur in letzterer erklingt Mozarts Musik und auch nur so viel, um den Kontext zu verstehen. Als Sarastro gegen Ende die Zeit anhielt und zu Pamina und Tamino sagte, er wisse alles über ihre Welt, habe ich mich selbst auf der Leinwand nicht wiedererkannt. Erst nach einem Moment ist mir bewusst geworden, dass ich diese Rolle spiele! Das war seltsam. Ich bin gesegnet, ein Teil dieses Films zu sein.
Worin unterscheidet sich der Sarastro im Film von dem auf der Opernbühne?
Robinson: Sarastro ist ein geradliniger Charakter, der aber einen starken Subtext hat. Im Film konnte ich diesen nutzen, um seine Persönlichkeit auf einer intimeren Ebene darzustellen, etwa wenn er Monastatos unverblümt die Wahrheit über dessen nicht gerade freundliches Verhalten sagt. In der Oper ist alles grandios und formal gehalten, man ist ein Priester im Tempel. Sarastro wohnt aber ein väterlicher Ansatz inne, den ich erst seit der Geburt meines eigenen Kindes auf der Bühne wirklich umsetzen kann.
„Die Zauberflöte“ wird häufig als kindgerechte Oper betrachtet. Wird man damit Mozart gerecht?
Robinson: Man kann Papageno als fantastische Gestalt hervorheben, als jemanden, der Flöte spielend durch die Welt wandert und einen Drachen tötet. Aber es gibt eine sehr ernste Seite der Geschichte mit einem Bezug zum echten Leben: die Suche nach wahrer Liebe und der beschwerliche Weg dorthin. Wir Erwachsenen verstehen, was psychologisch dahintersteckt. Dieses Singspiel ist also nicht nur eine Sache für Kinder. Im Film wurde das übrigens kunstvoll umgesetzt.
Inwiefern unterscheidet sich die Spielkultur in den USA von der in Europa?
Robinson: Klassische Musik ist tief in der europäischen Kultur verankert. In Amerika wissen wir sie zu schätzen. Ein Teil der Gesellschaft genießt sie auch richtig, aber es ist nicht dasselbe. Mit der Oper in Europa ist es wie mit der Rockmusik in den USA. Als klassischer Sänger aus Amerika sage ich also: Akzeptiert mich mit meinem bescheidenen Wissen, ich nähere mich eurer Kultur so gut an, wie es geht. Bisher ist mir das immer gelungen.
Mit dem gewaltsamen Tod George Floyds erhielt die „Black Lives Matter“-Bewegung zeitweilig auch in Europa Beachtung. Haben Sie in Ihrer Karriere systemischen Rassismus erlebt?
Robinson: Gestern hat der NDR für mich ein Taxi zur Probe in der Elbphilharmonie gerufen. Der bestellte Taxifahrer wollte mich nicht einsteigen lassen. Ich habe ihn durchs Fenster angesprochen, er ließ das Fenster hoch. Schließlich sagte er, ich sei zu schwer und zu groß. Das ist mir nicht in Amerika, sondern hier in Europa passiert. Ich habe mich oft gefragt, wieso ich diese oder jene Rolle an diesem oder jenem Haus nicht bekommen habe. Ich kann nicht mit absoluter Gewissheit sagen, ob ich systemischen Rassismus erlebt habe, aber ich gehe davon aus. Mir ist viel Rassismus im Alltag widerfahren: Ich wurde gebeten, mich auf der Toilette umzuziehen, oder gefragt, wo ich den Bus geparkt hätte. Der Sicherheitsdienst an einem Bühnengang wollte nur von mir, der einzigen schwarzen Person, den Ausweis sehen, obwohl mein Konterfei auf den Plakaten am Haus hing. Sich ständig aufs Neue beweisen zu müssen ist ein Makel, den ich mit mir herumtrage und mich zugleich zu Höchstleistungen motiviert.
Sie haben American Football an einem Militär-College gespielt, später im Marketing und im Vertrieb gearbeitet. Wie sind Sie zur Oper gekommen?
Robinson: In meiner Heimat singen die coolen Jungs R’n’B, aber meine Stimme ist dafür nicht gemacht. Ich war stattdessen im Knabenchor. Mit sechzehn haben wir „Amadeus“ in der Schule gesehen, danach habe ich alle Bass-Soli im Mozart-Requiem gesungen. Das war meine Einführung in klassische Musik. Aber ich war auch Kapitän der Football-Mannschaft. Nach dem College habe ich neben meinem Job das „Vater unser“ auf Hochzeiten und die Nationalhymne bei Veranstaltungen gesungen. 1995 meldete mich eine Freundin ohne mein Wissen für ein Vorsingen bei der Choral Arts Society of Washington an. Ich hatte nur zwei Tage Zeit zur Vorbereitung, als entschied ich mich wieder für die Mozart-Soli. Die Jury war richtig begeistert, warum, habe ich nicht verstanden. Später habe ich an einem Wochenendprogramm am New England Conservatory of Music teilgenommen. Dort hörte mich die Rektorin des Opera Institute an der Boston University und überzeugte mich, bei ihnen zu studieren. Ich musste hart dafür arbeiten, aber schließlich hat die Oper mich gefunden!
Inwieweit hilft Ihnen die Football-Vergangenheit auf der Bühne?
Robinson: Darüber könnten wir ein eigenes Interview machen! Ich will Ihnen drei Punkte nennen. Disziplin: Als Sportler muss man stets achtsam sein, denn der Körper ist dein Werkzeug – als Opernsänger ist mein Körper mein Instrument. Coachability: Als Athlet muss man die technischen Anweisungen seines Trainers schnell umsetzen. Von einem Opernsänger erwartet der Dirigent, dass seine klangliche Vorstellung korrekt umgesetzt wird. Mut: Als Footballer stehst du deinem Gegner auf dem Spielfeld eins zu eins gegenüber. Als Opernsänger gehe ich vor vielen Menschen auf die Bühne, die eine Menge Geld dafür bezahlen, dass ich genau in diesem Moment meine Rolle auf hohem Niveau fehlerfrei interpretiere.
Was bedeuten Oper und Musik für Sie?
Robinson: Musik ist mein Leben. Egal was ich tue, ich trommle, singe, spreche oder spiele Musik in meinem Kopf oder habe meine Kopfhörer auf. Oper ist mein Job, den ich sehr liebe, aber ich gehe in klassische Konzerte nur, wenn Freunde mitwirken oder ich eine neue Rolle einstudiere. Doch wenn Snarky Puppy im Club um die Ecke spielt, bin ich sofort dabei!
Ihr Opernrepertoire reicht von Mozart über Verdi und Wagner bis hin zu Gershwin. Welche Partie liegt Ihnen am Herzen?
Robinson: Ich liebe „Aida“, weil das meine erste Oper gewesen ist. Ich singe sie immer noch regelmäßig. Meine erste Hauptrolle hatte ich in „Porgy & Bess“, an der Mailänder Scala! Das bedeutet mir sehr viel. Meine Lieblingsrolle ist die des Zaccaria in „Nabucco“, weil ich in ihr mein gesamtes Können als Opernbass zeigen kann.
Gibt es eine Rolle, die Sie unbedingt singen wollen, aber bisher nicht konnten?
Robinson: Ich gebe mich keinen Fantasien hin, sondern schaue mir die Verträge an. Darin steht meine neue Lieblingsrolle. Ich brauche das so. Ich muss eine Rolle so oft singen, bis sie mir zur zweiten Natur geworden ist. Im Moment freue ich mich auf König Marke im „Tristan“.
Ihre Aufnahme der achten Sinfonie von Gustav Mahler mit Gustavo Dudamel wurde mit einem Grammy ausgezeichnet. Was machen Sie lieber: Oper oder Konzert?
Robinson: Ich schätze beides gleichermaßen. In der Oper spiele ich Charaktere und muss interagieren. In sinfonischen Werken habe ich nur meine Stimme, um eine Geschichte zu erzählen. Und dann ist da noch etwas Praktisches: Wenn ich Orchesterarbeit mache, bin ich vier Tage in der Woche von zu Hause weg, bei einer Opernproduktion sind es sechs Wochen. Dieses Jahr singe ich nur zwei Opern und einige Konzerte. Damit nehme ich enorme Gehaltseinbußen hin, um mehr Zeit mit meiner Familie zu haben.
Lesen Sie hier unseren Kino-Tipp zu „The Magic Flute – Das Vermächtnis der Zauberflöte“.