Mit 24 Jahren berief ihn Claudio Abbado zu seinem persönlichen Assistenten. Mit 27 kam er als Erster Kapellmeister an die Komische Oper. Mit 29 Jahren wurde er, nach dem plötzlichen Rücktritt Carl St. Clairs, im Mai 2010 ihr Chefdirigent. Im Gespräch entpuppt sich der Franke als eloquenter, angenehmer Gesprächspartner.
Herr Lange, mussten Sie lange überlegen, als Andreas Homoki Ihnen die Stelle anbot?
Ich hatte mir schon eine Nacht Bedenkzeit ausgebeten. Es ist eine sehr komplexe Aufgabe und eine große Verantwortung. Aber es war eine tolle Chance. Am längsten hatte ich über die Meistersinger-Produktion nachgedacht, die ich übernahm. Im September 2010 war Premiere, und wir probten schon drei Mal täglich, das heißt, ich hatte nur zwei, drei Wochen Zeit, in das Stück einzusteigen.
Und wie sehen Sie Ihre Entscheidung jetzt?
Die erste Aufregung war natürlich groß, aber inzwischen herrscht eine ganz tolle Stimmung, ich habe viel Unterstützung aus dem ganzen Haus zugesagt bekommen. Und die Proben laufen sehr gut.
Was änderte sich für Sie durch die Beförderung zum Chefdirigenten?
Von der Vorstellungszahl her nicht viel. Ich hätte in der Saison nach Plan 58 Vorstellungen gehabt, 2010/11 waren es 61 – was unglaublich viel ist – und drei Premieren. Aber wichtiger ist: Man ist das Verbindungsglied zwischen der musikalischen Abteilung – Orchester, Chor, Sänger, Repetitoren, Sprachcoaches usw. – und der Theaterleitung. Man ist in sehr viele planungstechnische Dinge involviert. Ich bin für den Konzertbereich verantwortlich, für die Frage etwa, welche Gastdirigenten wir einladen. Für die kommende Saison waren drei Konzerte neu zu besetzen, für 2011/12 bin ich dann voll verantwortlich.
Werden Sie nur zwei Jahre bleiben?
Ja. Ich werde gern weiter Produktionen hier am Haus machen, aber mein Amt ist ganz klar an die Intendanz Homoki geknüpft, die 2012 endet. Die Suche nach einem neuen Generalmusikdirektor läuft, und da bewerbe ich mich nicht. Als GMD muss man visionär planen, wie man ein Haus repertoiretechnisch ausrichten will. Für diese zwei Jahre ist das klar, da kann ich nur als Brückenstück agieren und versuchen, gut mit dem Orchester zu arbeiten. Hinzu kommt: Ich werde 2012 vier Jahre am Haus gewesen sein, dann freue ich mich auf neue Herausforderungen.
Was entgegnen Sie Leuten, die sagen, Sie seien zu jung?
Wir sind ein junges Haus und haben auch ein recht junges Orchester, da passt auch gut ein „junger“ Dirigent. Ich habe mit zwölf Jahren zu dirigieren begonnen. Wenn Sie das in Betracht ziehen, bin ich ein alter Hase. Natürlich gibt es vieles, was man als Dirigent erst mit der Erfahrung lernt. Und auch darauf freue mich.
Wie sind Sie zum Dirigieren gekommen?
Das war ein Kindheitstraum. Mich haben die verschiedenen Farben, die Instrumente im Orchester schon immer fasziniert, und auch mit vielen Menschen zusammenzuarbeiten, mit ihnen gemeinsam etwas zu erarbeiten.
Spielen Sie ein Instrument?
Ich habe Klavier studiert wie alle Dirigenten und auch Klarinette gespielt. Und ich habe eine mehr oder weniger komplette Gesangsausbildung durch meine Zeit bei den Regensburger Domspatzen. Ich habe mir mein ganzes Studium als Chorsänger finanziert. Aber ich stehe lieber auf der anderen Seite. Umso lieber arbeite ich heute mit Sängern. Ich weiß, wie es sich anfühlt. Als Bariton bei den Domspatzen habe ich Heiligabend 1999 das Martyrologium Romanum gesungen. Da steht man im Regensburger Dom vor dreieinhalb Tausend Menschen, alles ist dunkel, und man rezitiert allein sieben Minuten lang. Dann folgt Glockengeläute und die Messe geht los. Das war unglaublich. Ich denke, ich kann ganz gut nachvollziehen, was es für die Sänger bedeutet, rauszugehen und sich vors Publikum zu stellen. Ich weiß, was für einen Respekt man ihnen entgegenbringen muss.
Wann haben Sie zum ersten Mal dirigiert?
Selbst am Musikgymnasium – ich war da im Internat, seit ich acht war – wird man in jungen Jahren als Dirigent ja nicht ernst genommen. Also habe ich mir mit 15 selbst einen Lehrer gesucht, einen Kapellmeister am Theater Regensburg. Mit 16 habe ich meine erste Produktion am Theater dirigiert, eine Musical mit jungen Leuten, für das sie auch einen jungen Dirigenten haben wollten.
Es gibt die traditionelle Kapellmeisterlaufbahn und den Weg als Assistent eines berühmten Dirigenten. Sie haben beides miteinander verbunden.
Und das war perfekt für mich. Ich bin froh über meine klassische Kapellmeisterausbildung, bei der ich viel gelernt habe. Aber als ich fertig war mit dem Studium, war ich 23 und wollte noch nicht als Repetitor an ein Opernhaus, sondern erstmal ins Ausland. Ich bin nach Zürich zu einem tollen Lehrer gegangen und kam da per Zufall an die Assistentenstelle beim Gustav-Mahler-Jugendorchester. Außerdem habe ich weiter die Opernproduktionen der Hochschule gemacht. Dreieinhalb Jahre war ich beim Mahler-Orchester, bis 2009, und habe von Claudio Abbado und den Gastdirigenten sehr sehr viel gelernt. Nach meinem ersten Projekt mit Abbado hat er mich zu allen Orchestern mitgenommen, mit denen er gearbeitet hat. Ich war bei den Berliner Philharmonikern, in Luzern, in Bologna und in Venezuela.
Was macht man als Assistent von Abbado?
Wahnsinnig viele Noten einrichten. (lacht) Beim Mahler-Orchester gibt es tolle Dozenten, von den Berliner oder Wiener Philharmonikern zum Beispiel, die mit den Orchestergruppen arbeiten, und dann baut man als Assistent zusammen, was die Dozenten erarbeitet haben. Ich habe pro Projekt fünf, sechs Tage allein mit dem Orchester gearbeitet, und dann kamen Abbado oder Blomstedt oder Colin Davis und haben noch mal vier, fünf Tage vor den Konzerten geprobt. Es gab vorher Gespräche, was ich vorzubereiten hatte, aber man lernt auch Techniken, so zu probieren, dass trotzdem noch alles möglich ist. Man versucht verschiedene Tempi oder Phrasierungen, und dann kann der Dirigent später selbst entscheiden, was er will. Als Abbados Assistent bei den anderen Orchestern war ich bei allen Proben dabei, habe aber nicht selbst dirigiert. Aber es war sehr spannend zu sehen, wie zum Beispiel die Berliner Philharmoniker arbeiten.
Was macht einen guten Dirigenten aus?
Für mich ist das wichtigste die kommunikative Ebene. Ein Dirigent muss das Orchester dazu bringen, über sich hinauszuwachsen. Und das schafft man heute nur, wenn man die Leute für sich gewinnt. Wie die Dirigiertechnik aussieht, ist mir völlig egal. Es muss funktionieren. Natürlich hat ein Orchester eine Eigendynamik. Wir haben an der Komischen Oper eine unglaubliche Arbeitsmoral, alle wollen wirklich gut spielen. Deshalb ist ein Dirigent von einem Konzert allein schlecht zu beurteilen. Aber man kann schon viel sehen allein aus der Körpersprache – wie der Dirigent die Musiker ansieht, ob er sie überhaupt ansieht, und was als Antwort vom Orchester kommt. Es gibt Dirigenten, die mit ganz wenig Aufwand unglaublich klar die Dinge zeigen können. Mit einer minimalen Geste, hinter der aber eine Kraft, eine Willensstärke steht – das finde ich faszinierend. Das ist das eigentliche Geheimnis des Dirigierens. Aber letztendlich geht es darum, wie es klingt. Ist eine Idee dahinter, hat er oder sie etwas zu sagen?
Ist der Beruf so schön, wie Sie es sich erträumt haben?
Er ist enorm vielfältig, allein ob man Oper oder Konzert macht, man arbeitet mit Sängern, mit Instrumentalisten, man hat ein unglaublich großes Repertoire. Auf der anderen Seite gibt es viel Bürokratisches, für das man zuständig ist, Probenpläne zum Beispiel. Dennoch: Ich gehe jeden Tag mit Freude hin, habe Menschen vor mir, die mit mir arbeiten, und wenn ich es schaffe, diese Leute zu gewinnen und etwas gemeinsam zu erreichen, macht mich das sehr glücklich.
Aber Sie müssen auch viel Zeit allein mit den Noten verbringen.
Die meiste Zeit verbringt man als Dirigent nicht vor dem Orchester, sondern zu Hause am Schreibtisch oder Klavier. Ich brauche Zeit, um ein Stück in den Kopf zu kriegen, ich muss es vor meinem inneren Ohr hören und überlegen, wie es klingen soll. Das finde ich sehr spannend. Und ich finde es wunderbar, dass kein Orchester und keine Besetzung gleich ist – wir haben 112 Musiker, und jeden Abend habe ich eine neue Konstellation.
Viele Ihrer Kollegen fluchen darüber.
Ich habe auch schon darüber geflucht. Aber dadurch wird jeder Abend einzigartig. Ich habe einmal eine Produktion im Ausland gemacht, elf Vorstellungen in immer derselben Besetzung. Die haben es toll gespielt, aber es gab kaum Flexibilität, und da habe ich angefangen, mal etwas anders zu machen, anders zu phrasieren. Das kannten die Musiker gar nicht, aber letztendlich haben sie mit Freude mitgezogen. Etwas einfach nur abzuspulen, finde ich langweilig. Da ist es mir gerade im Repertoirebetrieb lieber, wenn immer wieder neue Energien hereinkommen.
Sie dirigieren ein enorm breites Repertoire – muss und kann man das wirklich?
Wenn Sie ein Orchester haben, das stilistisch selbst so breit aufgestellt ist wie das Orchester der Komischen Oper, dann kann man das sehr wohl. Man musiziert heute einen Mozart ganz anders als einen Strauss, man muss sich als Dirigent einfach mit der historischen Aufführungspraxis auseinandersetzen. Dass ich das alles an einem Haus machen kann, ist für mich ein großes Geschenk.
Die Komische Oper ist eine richtige Talentschmiede. Woran liegt das?
An diesem Haus haben sie immer etwas riskiert. Vor drei Jahren hatte ich noch nicht viel Erfahrung, aber man hat mir hier die Chance gegeben, eine richtige Wiederaufnahme zu leiten, richtig zu probieren, Fehler zu machen, sie selbst zu erkennen und es beim nächsten Mal besser zu machen. In anderen großen Häusern holt man lieber etablierte Dirigenten. Aber es ging die letzten Jahre gut hier. Die Chancen, die man hier erhält, sind schon sensationell.
Worauf freuen Sie sich besonders?
Ich freue mich einfach, Musik machen zu können auf diesem Niveau, Abende zu gestalten und zu erleben. Da kommt schon einiges, vorwiegend Oper, das hat sich so ergeben. Mein Herz schlägt absolut für die Oper. Aber eigentlich mache ich Konzerte genauso gern.