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Interview Philippe Jordan

„Verdis Requiem ist die Vergeistigung einer Oper“

Der Dirigent Philippe Jordan über sein Eindringen in Wagners Gehirn, einen mediterranen Wagner-Klang und die Verwandtschaft der Titanen Verdi und Wagner

vonPeter Krause,

Die Pariser Opernfreunde lieben ihn, sein Orchestre de l’Opéra National de Paris verehrt ihn: Philippe Jordan zählt zu den wichtigsten Dirigenten der jüngeren Generation. Auf Einladung seines einstigen Mentors Jeffrey Tate kommt der 37-jährige Maestro, der im Sommer mit riesigem Erfolg in Bayreuth debütierte, von der Seine an die Elbe und steht am Pult der Hamburger Symphoniker, um Verdis opernhaft gefühlspralle „Messa da Requiem“ zu leiten.

Ihrem Debüt in Bayreuth mit Wagners „Parsifal“ ging in Paris Ihr Dirigat von Debussys „Pelléas et Mélisande“ voraus. Haben Sie so den Impressionismus im späten Wagner entdeckt?

Der Pelléas ist für mich das Schwester- oder besser: das Tochterstück des Parsifal. Bei Debussy empfand ich, dass man diese Musik nicht fassen kann, sie bleibt ähnlich und ist doch nie gleich, man muss ganz ihrem Fluss vertrauen, was für einen Dirigenten zunächst sehr verunsichernd sein kann. Wie das Wasser, die Luft und das Licht muss alles fließen und in der Schwebe sein. Nachdem ich das bei Debussy verstanden und akzeptiert hatte, wurde es ein wichtiges Element für den Parsifal. Gleich das Vorspiel ist enorm impressionistisch.

Was haben Sie als Wagnerdirigent im mystischen Abgrund von Bayreuth gelernt?

Man hat das Gefühl, dort in das Gehirn des Komponisten hineinzugehen. Das Zentrum dieses Gehirns ist der verdeckte Orchestergraben, verbunden mit der Akustik des Festspielhauses. Man kann geradezu physisch verstehen, was dem Komponisten wichtig war und wie genau er das in Architektur und Akustik umgesetzt hat. Da lernt man dann, wie man sein Dirigieren anpassen muss an Wagners Vorstellung fließender zügiger Tempi, die niemals stehenbleiben. Und im Umgang mit dem Orchester lernt man, auf Äußerliches ganz zu verzichten, möglichst klein und ökonomisch zu schlagen, um einen möglichst großen Effekt zu erzielen. Man lernt auch dirigentische Demut.

Ihr Vater war ein großer Dirigent des Parsifal, dazu Darsteller des Amfortas. Bedeutet Ihnen diese eigene Familiengeschichte noch etwas?

Natürlich, ich empfinde es als etwas wirklich Schönes. Die Einstellung, mit der mein Vater Wagner gemacht hat, habe ich von klein auf verinnerlicht, weil es eine Art ist, die mir sehr entspricht, obwohl ich natürlich eigene Facetten einbringe. Aber dieser ganz wesentliche Einfluss schwingt mit, auch in Paris.

Dort haben Sie einen neuen Ring mit einem geradezu mediterranen Klang erarbeitet. Kommt Ihr Orchester Ihren eigenen Vorstellungen sehr nahe?

Als Schweizer stehe ich genau zwischen der nördlichen und südeuropäischen Klangtradition. In der Arbeit am Ring in Paris wurde dann schnell deutlich, dass ich gar nicht die Tugenden des französischen Orchesters pflegen, sondern eher versuchen musste, eine deutsche Klangvorstellung hervorzurufen. Die Art und Weise hier zu spielen, ist von vornherein so klar, leuchtend und transparent, dass ich eher am spezifischen Stil Wagners ar-

beiten musste, ohne dass mein Orchester dabei freilich seinen eigenen Klang verlieren durfte. Es ist das beste Orchester in Frankreich, was man hier auch so sieht, aber im Ausland gar nicht weiß oder wahrnimmt, weil es sehr an das Opernhaus und seinen Auftrag gebunden ist, 180 Vorstellungen Oper und 160 Abende Ballett zu spielen.

Wie stehen Sie zu Wagners Anspruch, im Parsifal eine Kunstreligion zu begründen?

Neben dem Christlichen schwingt schon das Buddhistische im Parsifal mit. Es geht um die Entwicklung und Erlösung zu etwas Höherem. Und es ereignet sich die Verselbstständigung des Klanges gegenüber der Handlung, die sich entmaterialisiert. Die Musik selbst wird zu etwas Spirituellem und Metaphysischem, denn sie transzendiert durch ihre Schwingungen, die zwar körperlich erzeugt werden, das Materielle. Darin liegt für mich das eigentlich Spirituelle des Parsifal.

In Hamburg wenden Sie sich dem anderen Titan des 19. Jahrhunderts zu und dirigieren Verdis Requiem. Sehen Sie eine Verbindung zwischen den Jubilaren des Jahres 2013?

Die beiden bilden für mich zwei Seiten derselben Medaille. Da wurden zwei Genies im selben Jahr geboren, die beide die Geschichte der Oper fundamental beeinflusst haben, aus unterschiedlichen Kulturen kommend, aber doch mit dem unglaublichen Talent, Wahrhaftigkeit auf die Bühne zu bringen, die Konvention zu sprengen und zu etwas völlig Neuartigem zu führen.

Sehen Sie in Verdis Requiem eine heimliche Oper? 

Man weiß es eben nicht: Ist es eine Oper oder ein Kirchenwerk? Genau in dieser Hinsicht ist es dem Mysterium des Parsifal gar nicht unähnlich. Es ist die Vergeistigung einer Oper. Wiederum geht es vom Christentum aus, ist vollkommen in der katholischen Liturgie verwurzelt und schlägt dann doch hoch menschliche Wege ein: Denn es besteht ja hauptsächlich aus grandiosen Opernszenen, die darüber reflektieren, wie ein Mensch auf den alten Kirchentext reagiert. Das ist für mich das Faszinierende und Spannende. Verdis Requiem spendet in keiner Weise Trost, wie etwa Brahms in seinem Deutschen Requiem, es gibt auch keine Antworten, vielmehr ist es ein Werk, das Fragen stellt. Fragen einer menschlichen Seele, die in Todesängsten bangt.

War es Mr Tate, der Sie bewogen hat, zu den Hamburger Symphonikern zurückzukehren? 

An erster Stelle sind es die Symphoniker selbst, zu denen ich seit dieser wunderbaren Neunten von Beethoven einen sehr sympathischen Kontakt habe. Ich fühle mich immer sehr wohl, wenn ich zu ihnen komme, mag ihr sehr spontanes und ehrliches Musizieren ohne Eigenbefindlichkeiten oder Kapriolen. Und natürlich ist die Arbeit von Jeffrey Tate, der das Orchester über die Jahre geprägt hat, ein starker Faktor. Was mich an ihm immer wieder fasziniert, ist diese unglaubliche Intelligenz, die er ausstrahlt, und dieses enorme Wissen.

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