Einst galten sie als die glorreichen Drei. Doch während Luciano Pavarotti 2007 verstarb und Kollege José Carreras nach seiner schweren Leukämie-Erkrankung nie wieder an den sängerischen Ruhm vergangener Tage anknüpfen konnte, wird Plácido Domingo auf den Bühnen dieser Welt noch immer gefeiert. Dabei rührt auch sein Tenor-Ruhm mittlerweile aus vergangenen Tagen, widmet sich der Sänger nun verstärkt dem Bariton-Repertoire – dabei verblüfft der Spanier noch immer mit einer Energie und Dramatik, die andere in seinem Umfeld fast vergessen lässt.
Herr Domingo, das Publikum kennt Sie aus vielen berühmten Opern. Gibt es Partien, die Sie heute nicht mehr singen?
Selbstverständlich – praktisch mein gesamtes Tenor-Repertoire singe ich nicht mehr. In diesen Rollen hatte ich große Erfolge, doch kann ich diese Partien heute nicht mehr so singen, wie ich das einmal getan habe. Nachdem ich früher vor allem französische und italienische Opern gesungen habe, mich anschließend deutschen und russischen Werken gewidmet und dann die Barockopern für mich entdeckt habe, widme ich mich nun dem Bariton-Repertoire. So habe ich auch meinem Publikum immer etwas Neues zu bieten.
Daneben singen Sie aber auch immer mal wieder ein Open-Air mit Häppchenprogramm: Künstlerisch zweifellos eine andere Klasse als ein Opernabend – stört Sie das nicht?
Ich habe in meinem Leben so viel für die klassische Musik getan. Natürlich ist es beglückend, einen ganzen Abend einen Operncharakter formen zu können – aber es kann auch sehr packend sein, wenn das Publikum alle fünf Minuten begeistert applaudiert, weil man eine bekannte Opern- oder Operettennummer gesungen hat, eine Zarzuela oder einen Musical-Hit. Das ist einfach eine andere Form des Glücks.
Für die Sie früher vor Ihren Auftritten gebetet haben – bitten Sie die Heiligen auch heute noch um Unterstützung?
Viele Künstler haben ihre kleinen Rituale und Aberglauben, die sie vor ihren Auftritten pflegen. Ich bete zur Heiligen Cäcilia, der Patronin der Kirchenmusik, und zum Heiligen Blasius, dem Schutzpatron der Halskranken – und ich halte nach einem verbogenen Nagel auf der Bühne Ausschau, bevor ich zum Singen hinausgehe. Aber das sind schon sehr private Angelegenheiten…
… die das Publikum heute oft ähnlich stark interessieren wie die Musik. Stört es Sie, wenn Besucher in erster Linie Plácido Domingo erleben wollen?
Ich bin sehr glücklich, wenn die Menschen zu Konzerten oder auch in die Oper kommen, um mich zu hören. Doch zugleich hoffe ich natürlich, dadurch Menschen anzuregen, sich künftig auch weitere Konzerte oder Opernaufführungen mit anderen Künstlern anzuhören. Denn Künstler kommen und gehen, doch großartige Musik bleibt.
Aber lässt sich durch Galas und Events wirklich neues Publikum für die Oper gewinnen?
Aber ja doch – es gibt ein neues Publikum, das aufgrund solcher Konzerte die Oper für sich entdeckt.
Sie sehen also für die Zukunft der Oper nicht so schwarz wie mancher Kritiker, der im klassischen Musiktheater ein aussterbendes Genre sieht?
Ich weiß nicht, wer behauptet, die Oper würde sterben – die Oper lebt! Jeden Tag werden mehr neue Talente entdeckt – und das Publikum stört es auch nicht, wenn solch ein junger, unbekannter Sänger plötzlich einspringt, denn es möchte einfach die Oper hören. Überall auf der Welt kommt das Publikum mehr und mehr wegen der Werke selbst: Da gibt es eine Veränderung im Denken.
Und doch denkt heute fast jeder bei Tenören sofort an Sie, Carreras und den verstorbenen Pavarotti. Von den jungen Sängern ist kaum die Rede – geht mit Ihnen das Zeitalter der großen Tenöre vorbei?
Natürlich nicht! Es wird immer wieder neue, talentierte Sänger geben, und jeder von ihnen besticht durch andere Fähigkeiten. Beethoven hat immer gern den alten lateinischen Aphorismus „Vita brevis, ars longa“ zitiert: Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang – Menschen kommen und gehen, doch die Kunst lebt weiter.
Aber vielleicht in anderer Form: Denn wo früher Konzerte und Opernbesuche als etwas Besonderes galten, dient die Klassik heute oft nur noch als pure Unterhaltung. Stört Sie dieser Imagewandel?
Ich halte nichts von diesem Ansatz, früher sei alles besser gewesen. Es hat immer Menschen gegeben, die Musik allein zur Unterhaltung gehört und andere, die ihr voller Leidenschaft und tiefer Hingabe gelauscht haben – heute wie vor 50, 100 oder 200 Jahren. Zudem gibt es heute weit mehr Menschen, die voller Ernst und Aufmerksamkeit Klassik hören als etwa zu Mozarts oder Verdis Zeiten – auch wenn die elektronischen Medien zweifellos dazu geführt haben, dass Musik heute auch einfach nur als Beschallung im Hintergrund läuft, ohne dass dieser wirklich zugehört wird.
Hören Sie selbst gelegentlich auch einmal klassische Musik nur zur Entspannung?
Möchte ich mich entspannen, dann setze ich mich in die Sonne (lacht). Doch ich besuche oft Konzerte und Opernaufführungen oder lausche auch Musikaufnahmen, zur Erbauung ebenso wie zum Lernen – und zwar verschiedensten Werken von verschiedensten Künstlern.
Hören Sie sich dabei auch noch einmal Ihre eigenen Aufnahmen an?
Manchmal höre ich mir meine alten Aufnahmen an – etwa wenn ich Rollen wieder einstudiere, denn so kann ich in der Interpretation hören, was mir gefällt und auch, was ich anders gestalten möchte. Aber das passiert nicht oft: Dafür liebe ich es viel zu sehr, neue Projekte zu erarbeiten!
Zu den meistverkauften unter diesen alten Aufnahmen zählen die Mitschnitte Ihrer Konzerte mit Ihren Kollegen Carreras und Pavarotti – „Die Drei Tenöre“. Haben diese Konzerte Sie zu einem Popstar der Klassik gemacht?
Ich würde nicht sagen zu einem Popstar, aber ganz sicher haben wir dadurch viele Menschen für die Klassik interessieren können und auch ein neues Publikum geschaffen. Ja, es gibt heute eine neue Generation, die in die Oper kommt, sogar zu Abonnenten geworden sind, weil sie „Die Drei Tenöre“ gehört haben – und das gibt einem eine große innere Zufriedenheit.
Mit den Auftritten der „Drei Tenöre“ sind auch die Gagen im Klassikbereich nach oben geschnellt – kann ein zweistündiger Auftritt tatsächlich mehr als 100.000 € wert sein?
Ich glaube nicht, dass sich Talent in Zahlen messen lässt. Können Fußballspieler wirklich Millionen wert sein? Offenbar ja, denn entsprechende Gehälter und Ablösesummen werden gezahlt. Wäre es gerecht, wenn die Besitzer von Fußballmannschaften Millionen verdienten und diese nicht mit den Spielern teilten, die ihnen das Geld erwirtschaften? Diese Fragen lassen sich auch auf das Feld der Künste übertragen: Künstler sind ja nicht mit einem bestimmten Preisschild versehen, sondern es hängt von der Größe der Aufführung, davon, wie viele Besucher erwartet werden und vielen anderen Faktoren ab, wie viel die Veranstalter verdienen.