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Interview Raphaela Gromes

„Nicht enden wollende Energie“

Raphaela Gromes hat mit dem Ukrainischen Nationalorchester Antonín Dvořáks Cellokonzert eingespielt – für die Cellistin in vielerlei Hinsicht ein bewegendes Projekt.

vonJan-Hendrik Maier,

Trotz vieler Staus auf diversen Fernstraßen schafft es Raphaela Gromes noch pünktlich zum Interview. Ohne den sonst bei diesem Anlass gern getrunkenen Tee, dafür mit umso besserer Laune, schaltet sich die Cellistin aus dem heimischen Oberbayern zu.

„Ein Stück Holz, das oben kreischt und unten brummt …“

Raphaela Gromes: … hat Dvořák über das Cello gesagt …

… und schrieb dann eines der berühmtesten Konzerte dafür überhaupt. Welche Beziehung haben Sie zu diesem Werk?

Gromes: Es ist ein absolutes Herzensstück unseres Repertoires, das mir persönlich sehr wichtig ist. Lange Zeit war es für mich mit meinem verstorbenen Vater verbunden. Ich habe noch im Ohr, wie er das in meiner Kindheit oft zu Hause geübt hat. Es war für ihn ein so essentielles Stück, dass wir das Seitenthema auf seinen Grabstein haben schreiben lassen. Es ist das Konzert, mit dem ich mich am intensivsten beschäftigt und das ich am häufigsten live gehört habe. Doch erst seitdem ich auf dem Bergonzi-Cello spiele, habe ich das Gefühl, meine eigene Stimme für dieses Konzert gefunden zu haben.

Worauf legen Sie in Ihrer Interpretation wert?

Gromes: Ich habe versucht, Dvořáks Notentext so treu wie möglich zu bleiben. Vor einem Jahr habe ich mir extra ein Autograf besorgt, in dem man schön sieht, wie er selbst darin herumgekritzelt hat. Man weiß, dass der Widmungsträger Hanuš Wihan viele Passagen gern virtuoser gehabt hätte, doch Dvořák wollte kein oberflächliches Showstück. So gibt es statt einer Kadenz diese wahnsinnig schöne lange Coda, die so voller Schmerz, aber auch voller Erlösung und Trans­zendenz ist. Dvořák hat mit der Komposition in Amerika begonnen, getragen von der Sehnsucht nach der böhmischen Heimat und wohl auch nach seiner Schwägerin, die zugleich seine große Jugendliebe war und die nun im Sterben lag. In diesem Konzert ist wirklich die gesamte emotionale Bandbreite vorhanden: jugendlich-heroische Strahlkraft, nicht enden wollende Energie, und immer wieder diese sehnsuchtsvollen Liebesmelodien.

Der Impuls für das Album war ein Konzert, das Sie 2023 in Kiew gegeben haben. Wie kam es dazu?

Gromes: Ich habe das Ukrainische Natio­nalorchester hier in Deutschland gehört und war sofort von seiner Qualität begeistert, so dass ich mit ihnen spielen wollte. Infolge unserer vollen Kalender fiel das Konzertdatum auf den 6. Dezember. Eigentlich war meine Hoffnung, dass der Krieg dann schon vorbei wäre. Dennoch wollte ich mein Wort halten und bin als Zeichen der Solidarität nach Kiew gereist. Vor Ort haben mir die Menschen erzählt, wie wichtig es ist, dass sie nicht dem russischen Terror in dem Sinne unterliegen, dass sie bei jedem Luftangriff ihren Alltag anhalten. Die Abwehr sei so gut, dass es wahrscheinlicher wäre, an einer Lungenentzündung zu sterben. Das ist wirklich phänomenal! Beim ersten Luftalarm dachte ich aber, wo ist der nächste Bunker, wo rennen wir hin, doch das Leben ging weiter, die Probe ging weiter. Nach dem Konzert sind die Menschen mit Tränen in den Augen zu mir gekommen, haben mir gesagt, wie wertvoll für sie diese gemeinsamen Momente waren. Das Konzert habe sie an die schönen Dinge im Leben erinnert, ihnen Freude, Trost und Hoffnung gegeben. Ich hatte anfangs eine unglaubliche Wut ob des Leids, das die Menschen dort erleben müssen. Meine Gedanken sind seitdem sehr intensiv, ich fühle mich der Ukraine und den Menschen dort sehr verbunden. All diese Emotionen haben wir auf der Aufnahme musikalisch verarbeitet.

„Ich fühle mich der Ukraine und den Menschen dort sehr verbunden“, sagt Raphaela Gromes
„Ich fühle mich der Ukraine und den Menschen dort sehr verbunden“, sagt Raphaela Gromes

Neben Dvořák haben Sie Musik von vier ukrainischen Komponisten eingespielt. Valentin Silvestrov ist auch hierzulande bekannt, bei Hanna Havrylets, Yuri Shevchenko und Stepan Charnetsky müssen viele erst mal nachschlagen. Wen entdecken wir hier?

Gromes: Fantastische Komponisten! Ich wollte natürlich unbedingt, dass auch eine Komponistin auf dem Album vertreten ist. Das Archiv Frau und Musik hat mir eine lange Liste mit Namen geschickt, Havrylets’ Musik hat mich sofort berührt. Ihr „Tropar“, ein Gebet, fügt sich wunderbar zu Silvestrovs „Prayer for Ukraine“ hinzu. Yuri Shevchenkos „We Are“ ist eine wunderschöne Bearbeitung der ukrainischen Nationalhymne, die mir Dirigent Volodymyr Sirenko einfach in die Hand gedrückt hat. Shevchenko hat sie schon 2014 auf dem Maidan geschrieben. Er wollte, dass die Hymne als ein leises Gebet für die Ukraine erklingt. Ich finde es bezeichnend, wie zurückhaltend, zart und unpathetisch diese Bearbeitung ist. An Silvester haben sich die Menschen in Kiew ans offene Fenster gestellt und Stepan Charnetskys „Chervona Kalyna“ gesungen, eigentlich ein Militärmarsch, jetzt ein Zeichen der Hoffnung auf ein friedliches Ende des Krieges, auf Freiheit und Demokratie. Deswegen habe ich mir das als hoffnungsvollen und auch etwas mitreißenden Schluss gewünscht.

Vor welchen Herausforderungen standen Sie bei dieser Produktion?

Gromes: Wir konnten nicht in Kiew aufnehmen, weil das Bergonzi-Cello von 1740 im Kriegsgebiet nicht versichert ist, gleichwohl wollte ich den Dvořák auf dem für mich absolut bestmöglichen Instrument spielen. Wir haben die Produktion ins polnische Lublin verlegt, da dort das Orchester auf der Rückreise von seiner USA-Tournee ohnehin vorbeikam. Deren Celli sind jedoch in Amerika hängengeblieben. Zu unserem großen Glück konnten die polnischen Kollegen innerhalb nur einer Stunde für sie Instrumente organisieren.

Und in emotionaler Hinsicht?

Gromes: Ich hatte großen Respekt vor dieser Aufnahme, denn das Dvořák-Konzert ist mental und auch physisch sehr anspruchsvoll. Dennoch wollte ich mich während des Spiels ganz auf den Moment konzentrieren, ohne reflektieren zu müssen, ob jeder Ton perfekt klang, alles schön verbunden war und so weiter. Ich bin froh, dass zusätzlich zu der wunderbaren Tonmeisterin Marie Josefin Melchior auch meine beste Freundin, die Cellistin Angela Chang, mitgekommen ist. Sie hat mich nach den besonders anspruchsvollen Aufnahmesessions massiert, so dass ich danach wieder mit voller Energie weiterspielen konnte, so eine Aufnahme mit Orchester verlangt ja auch körperlich viel ab. Nach den gemeinsamen Abendessen in einem ukrainischen Lokal um die Ecke – was die Orchestermusiker natürlich immer sehr gefreut hat – haben wir trotz der Erschöpfung je ein ukrainisches Stück aufgenommen. Bei ihrer Herzensmusik haben sie mich nicht nur inspiriert, sondern an die Hand genommen und teilweise auch klar gesagt, wie das zu spielen sei. Das war eine wirklich schöne und harmonische Zusammenarbeit.

Wie jonglieren Sie eigentlich zwischen all ihren verschiedenen Programmen?

Gromes: Die Abwechslung und das Recherchieren nach Stücken jenseits des Standardrepertoires macht mir Spaß und regt meine Kreativität an. Gleichzeitig erfordert es viel Disziplin, nicht immer nur das zu üben, was als Nächstes ansteht, sondern auch vorauszudenken. Sehr viel passiert auch mental, wenn ich unterwegs die Partituren aufschlage und die Musik im Kopf durchgehe. Ein gut strukturierter Zeitplan ist essentiell.

Spüren Sie noch Aufregung, wenn Sie auf die Bühne kommen?

Gromes: Bei den meisten Konzerten nicht, vor allem wenn ich weiß, dass die Proben gut gelaufen sind. Aber wenn ich große Stücke zum ersten Mal auswendig spiele oder wenn live mitgeschnitten wird, da schwingt schon Aufregung mit.

Aktuelles Album

Album Cover für Dvořák: Cellokonzert u. a.

Dvořák: Cellokonzert u. a.

Raphaela Gromes (Violoncello), National Symphony Orchestra of Ukraine, Volodymyr Sirenko (Leitung) Sony

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