Der amerikanische Regisseur Yuval Sharon gab 2018 mit „Lohengrin“ sein Bayreuth-Debüt. Seitdem ist es aber keineswegs ruhiger um ihn geworden, weshalb man lange auf einen Termin warten muss, wenn man ihn sprechen will. Als wir ihn in einem Hotel in Karlsruhe sprechen, ist er aber gar nicht geizig mit seiner Zeit. Am Badischen Staatstheater inszeniert er Janáčeks „Das schlaue Füchslein“. Danach geht es weiter zu seinem Debüt an der Berliner Staatsoper.
Herr Sharon, in Europa inszenieren Sie zum ersten Mal Mozart und gleich „Die Zauberflöte“, die wahrscheinlich am häufigsten gespielte Oper überhaupt. Dafür gehen Sie an die Staatsoper Unter den Linden, eines der wichtigsten Opernhäuser Deutschlands. Ihre Arbeit wird künftig neben die von August Everding gestellt, mit der er 1994 Unter den Linden Premiere feierte und die auf dem Spielplan bleiben soll. Everding setzte Rekonstruktionen der legendären Dekorationen Friedrich Schinkels aus dem 1816 ein. Dessen Sternhimmel der Königin der Nacht ist eines der berühmtesten Motive der bildenden Kunst. Ein ziemlich großer Kontext.
Yuval Sharon: Da gibt es viele Schichten. Das stimmt wohl. Außerdem ist da noch diese ganz tolle „Zauberflöte“ von Barrie Kosky, die in derselben Stadt gespielt wird. Das war mir nicht nur bewusst, sondern hat bei der Entwicklung des Stücks eine Rolle gespielt. Zum Beispiel, dass ich ohne Videos arbeite, weil Barrie das so gut gelöst hat.
Nach Ihrem Bayreuth-Debüt sind Sie aber vermutlich sowieso nur noch schwer aus der Ruhe zu bringen?
Sharon: Naja, das waren alles Rahmenbedingungen, die ich zu einem eigenen Ergebnis führen wollte. Ich weiß, dass die Erwartungen extrem hoch sind, glaube aber, einen guten Weg gefunden zu haben. Die Staatsoper Unter den Linden ist für mich eine sehr wichtige Station, weil ich von 2001 bis 2002 in Berlin gelebt, deutsch gelernt und studiert habe. An der Deutschen Oper Berlin habe ich meine ersten Erfahrungen gemacht und die Oper als lebendige Gattung kennengelernt. Vor allem an der Staatsoper habe ich viele Aufführungen besucht, auch die Wagner-Festtage, an denen sie die zehn großen Wagner-Opern spielten, bei denen Barenboim dirigiert und Kupfer inszeniert hat.
Bisher haben Sie viel zeitgenössische Oper und mehrfach Wagner auf die Bühne gebracht. Welches Verhältnis haben Sie eigentlich zur Mozart?
Sharon: Er ist die Basis. So wie das auch für Monteverdi gilt. Man kann nicht Oper machen, ohne sich mit Mozart zu beschäftigen. In San Francisco habe ich eine „Zauberflöte“ für Familien gemacht, „Don Giovanni“ und „Così“ oft gesehen. „Die Zauberflöte“ war immer eine meiner Lieblingsopern, weil sie so rätselhaft ist. Ein Stück, das man nicht eindeutig erklären kann und soll. Es fordert eine sehr schwierige Balance zwischen der kindlichen Naivität einerseits und der nicht so leicht erklärbaren philosophischen Tiefe andererseits. Das macht sie ewig jugendlich und zeitlos. Ich hoffe „Die Zauberflöte“ nicht zum letzten mal zu inszenieren.
Können Sie die Einzigartigkeit von Mozarts „Zauberflöte“ noch etwas konkretisieren?
Sharon: Das Collagenartige sticht besonders hervor. Es ist fast postmodern, wie man von einem Stück zum nächsten in eine völlig andere Welt eintaucht. Eine Arie ist kindlich, die nächste wie aus einer Opera seria, dann kommt ein komisches Duett. Auf Skurriles folgt tief Berührendes. Diese Instabilität ist sehr besonders und vergleichbar mit dem Dramma gioccoso „Don Giovanni“. Etwas zwischen Komödie und Tragödie. Die Gattungsgrenzen sind gesprengt, aber nicht mit dem Holzhammer. Letztlich fügt sich doch alles zur harmonischen Einheit. Eine unglaubliche Vielfalt an Farben, Charakteren und Situationen. Wie bei Shakespeare und Mahler ist das ganze Universum in einem Stück abgebildet. Das beizubehalten und in einem Guss zu gestalten, darin besteht die eigentliche Aufgabe.
Ihre europäische Karriere ist eng mit dem Badischen Staatstheater Karlsruhe verbunden. Wollen Sie in der Händelmetropole auch mal Barockopern machen?
Sharon: Ich würde das nicht ausschlagen, doch komischerweise habe ich meine Liebe zu Händel noch nicht gefunden. Ich schaue mir seine Opern gerne an, bin aber, glaube ich, nicht der richtige Regisseur für Händel. Irgendwie komme ich mit der Länge und der vorhersehbaren musikalischen Form nicht zurecht. Ich bin eher ein Fan der Moderne, die sehr von Wagner geprägt ist. Das geht viel stärker in Richtung des griechischen Theaters und als Zuschauer macht man immer ein Abenteuer mit. Das gilt aber auch für Mozart und Monteverdi.
Vielleicht wäre Händels „Serse“ interessant für Sie, den Franco Fagioli gerade neu eingespielt hat. Denn das ist ja eine Opera seria und gleichzeitig eine Parodie der Gattung.
Sharon: Vielleicht, ja. Gerade habe ich in Los Angeles „Europeras“ von John Cage gemacht. Da sind einzelne Arien von Händel dabei und das hat mit Spaß gemacht. Über eine vollständige Oper von ihm müsste ich aber noch viel nachdenken.
Dafür ist tatsächlich noch reichlich Zeit. Nachdem Sie im Juli 2018, im Alter von 39 Jahren, mit „Lohengrin“ Ihr Bayreuth-Debüt gaben, war die Mehrheit der Kritiken nicht besonders positiv. Die Figurenarbeit wurde als statisch beschrieben und man fokussierte sich eher auf Neo Rauchs Bühnenbild. Wie haben Sie diese Kritiken wahrgenommen?
Sharon: Eigentlich habe ich gar nicht viele davon gelesen. Die Inszenierung ist schließlich nicht für die Kritiker gemacht, die oft ihre ganz eigenen Vorstellungen haben. Deshalb kann ich deren Artikel, egal ob sie positiv oder negativ sind, mit einem gewissen Abstand betrachten.
Im Vorfeld der Premiere hatten Sie betont, dass Sie die Arbeit mit Rauch, seiner Frau Rosa Loy und Christian Thielemann als Teamprojekt verstehen. In den Kritiken schien jedoch die Meinung vorzuherrschen, Sie hätten in Rauchs Schatten gestanden. Ein Missverständnis, weil wir in Deutschland noch zu sehr vom gottgleichen Regisseur ausgehen, der alles alleine entscheidet?
Sharon: Das ist auf jeden Fall nicht meine Sache. So ein Regisseur bin ich einfach nicht. Ansonsten sollte ich wohl besser malen oder Romane schreiben. In der Oper steht man nie alleine und sollte mit Bescheidenheit arbeiten. Es hilft, sich einzugestehen, dass man für das Gelingen nicht wichtiger ist als andere. Wenn ich an Bayreuth zurückdenke, erinnere ich mich vor allem daran, wie harmonisch alles gelaufen ist. Es gab keine Machtspiele.
Was erwartet uns nach der Berliner „Zauberflöte“?
Sharon: Im Anschluss mache ich im Juni Meredith Monks „Atlas“ in Los Angeles. Das Werk wurde seit 1992 nicht mehr aufgeführt und ist eine meiner Lieblingsopern. Monks Musik ist einfach großartig. Und im November erarbeite ich mit meiner Truppe „The Industry“ eine Uraufführung. Das wird sehr intensiv, weil ich da auch Produzent bin und die Finanzierung organisiere. 2020 mache ich dann ein Jahr Pause und gehe nach Japan.
Wovon träumt man als Regisseur nach Bayreuth? Was ist ihr nächstes Wunschziel? Wie wäre es mit einer Yuval Sharon-Inszenierung in Salzburg?
Yuval Sharon: Genau das muss ich in Japan überlegen, denn man braucht neue Träume. Viele Ideen, die ich habe, sind für meine Heimat Amerika, weil ich möchte, dass die Oper dort eine gute Zukunft hat. Europa und Deutschland möchte ich aber nicht ausschließen. Für ein spannendes Projekt gehe ich auch unheimlich gerne nach Salzburg. Aber ich muss für meine Aufträge wirklich brennen, sonst lasse ich lieber jemand anderem Vortritt.
Sehen Sie hier den Trailer zur Inszenierung von Wagners „Die Walküre“ von Yuval Sharon: