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Blind gehört Rolando Villazón

„Koloraturen wie Liegestütze“

Der Tenor Rolando Villazón hört und kommentiert CDs von Kollegen, ohne dass er erfährt, wer singt

vonEcki Ramón Weber,

Prächtig gelaunt erscheint Rolando Villazón an diesem sonnigen Herbsttag zu unserem „Blind gehört“-Termin in Berlin. Tags zuvor hat der Tenor noch eine weitere Folge seiner Sendereihe „Stars von morgen“ aufgezeichnet, doch an diesem Vormittag stehen die Top-Stimmen von heute im Mittelpunkt – und von gestern. Was den 43-Jährigen indes nicht weiter irritiert: Ihm geht es seit jeher um die ganz besondere Klangfarbe. 

 

 Puccini: La Bohème, „Che gelida manina“

 Joseph Calleja, L’Orchestre de la Suisse  Romande, Marco Armiliato

 2011. Decca

  

„Che gelida manina“ mit …? Joseph Calleja! Joseph und ich haben beide beim Wettbewerb Operalia von Plácido Domingo teilgenommen, 1999 in Puerto Rico war das. Und Joseph hat diese Arie im Finale gesungen. Er ist hinreißend, er hat eine Stimme mit einem wunderbaren Glanz, rund, und diese Spitzentöne sind üppig und präsent. Seine Stimme fließt, heute noch mehr als früher. Er ist ein Sänger, der in seiner Gesangstechnik alle richtigen Entscheidungen getroffen hat.

Vives: Doña Franscisquita, „Por el humo se sabo dónde está el fuego“

Plácido Domingo, Orquesta Sinfónica de Sevilla

1994. Sony Classical

  

Plácido, „Por el humo“, Zarzuela-Repertoire. Jedes Mal, wenn ich diese Stimme höre, bekomme ich Gänsehaut. Ich bin in Mexiko mit dieser Stimme aufgewachsen, ich bin Opernsänger geworden wegen dieser Stimme dieses großen Künstlers. … Also, diese Stimm­färbung finde ich die schönste, die es gibt, die Art, wie Plácido Domingo Gefühle transportiert … für Plácido war es nie leicht zu singen, für keinen ist es das. Aber Plácido hat als Bariton angefangen, und er musste dafür kämpfen, diese Spitzentöne zu erreichen. Deshalb sind sie so emotionsgeladen, weil sie wie unerreichbar erscheinen, mit einer Magie und einer außerordentlichen Technik.

Monteverdi: Il combattimento di Tancredi e Colorinda

Philippe Huttenlocher, Ensemble Baroque de Drottningholm, Michel Crboz

1980. Erato

  

Combattimento di Tancredi e Clorinda … Es ist ein deutscher Sänger, Bariton, … Wer das ist, weiß ich nicht … Ich liebe dieses Stück! Ich habe das 2005 gesungen. Als ich erfuhr, dass die Alte-Musik-Spezialistin Emmanuelle Haïm gerne mit mir Monteverdi machen wollte, war ich erst skeptisch. Ich war mitten in Produktionen mit Puccini und Verdi, ganz anderem Repertoire. Schließlich haben Emmanuelle und ich uns dann in Paris getroffen. Sie sprach eine halbe Stunde lang leidenschaftlich über die Musik Monteverdis, und am Ende sagte ich: „Schon nach fünf Minuten wäre ich dazu bereit gewesen, selbst wenn du mir Heavy Metal vorgeschlagen hättest!“ Sie hat mich überzeugt mit ihrer Musikalität, ihrer Intelligenz, ihrer Energie. In die Welt von Monteverdi einzutreten, in diese spezifische Herangehensweise der historischen Aufführungspraxis, das habe ich sehr genossen. Diese Erfahrung hat mich dazu geführt, auch Händel und Mozart zu machen.

  

Legrand: Yentl, „A Piece of Sky“

Barbara Streisand, Yentl-Orchester, Michael Legrand

1983. Columbia

   

Barbara Streisand in Yentl, das begeistert mich, dieser Film, diese Stimme. Diese Künstlerin habe ich seit meiner Kindheit ständig gehört, habe ihre Filme gesehen. Meine CD „La Strada. Songs from the Movies“ mit Filmmusik habe ich wahrscheinlich nur aufgenommen, damit ich endlich dieses Lied singen konnte. … Diese Gefühle, die Seele, die diese Frau in ihre Lieder gibt … Ich glaube, es gibt keinen Opernsänger, der Barbara Streisand nicht verehrt. Sie hat ein außergewöhnlich flexibles Instrument in ihrer Kehle.

Manoury: Fragments pour un portrait, 1. Satz

Ensembke Intercontemporain, Susanna Malkki (Leitung)

2009. Kairos

  

Jonas, La Rondine. Es ist beeindruckend, wie man sofort die Stimme von Jonas wiedererkennt. Es ist die Farbe, und er hat eine ganz eigene, besondere Art zu singen. Jonas verfügt über eine verblüffende Beherrschung seines Instruments. Es ist eine dunkel getönte Stimme … und hier… er hat natürlich spektakuläre Spitzentöne, er bereitet sie piano vor und hat manchmal diese Art, sehr ausdrucksvoll mit einem Schluchzen die Spitzentöne zu erreichen. Ich habe La Rondine ja in der letzten Spielzeit an der Deutschen Oper Berlin inszeniert: Die Geschichte ähnelt La Traviata – mich interessierte aber, Magda als starke, unabhängige Frau zu zeigen.

Händel: Serse, „Crude furie degl‘ orridi abissi”

Judith Malafronte, The Hannover Band & Chorus, Nicholas McGegan

1998. BMG

 

Barock, Händel, „Crude furie“, Serse, wunderschön … das geht unter die Haut, aber ich weiß nicht, wer es ist … Wie wundervoll, beeindruckend! Händel hat eine Mo­dernität, einen rhythmischen Puls – und diese Energie: Ich habe mich auf dieses Repertoire mit großer Lust eingelassen. Meine Händel-CD, die ich vor einigen Jahren aufgenommen habe, liebe ich sehr. Aber man muss sehr viel arbeiten für Händel, es hat Monate gebraucht, die Koloraturen wirklich zu beherrschen. Es ist wie ins Sportstudio gehen – wie Liegestütze!

 Verdi: Rigoletto, „La donna è mobile“

 Enrico Caruso (Tenor)

 1908/1999 (Remake).ORF/RCA

   

Wohl das Stück mit dem größten Wiedererkennungswert im Repertoire … (lacht) Das ist Caruso. Ich habe diese CD auch. Deshalb habe ich erst gezögert, weil das Orchester hier ja neu eingespielt wurde. Caruso hatte eine beeindruckend dunkel gefärbte Stimme: Vor einigen Jahren habe ich in London für eine Fernsehsendung der BBC in einen ähnlichen Aufnahmetrichter gesungen wie einst Caruso. Daraus entstand auf einer Walze eine Aufnahme. Ich habe bewusst mit einer dunklen Stimme gesungen, doch – es ist sehr beeindruckend – das aufgenommene Ergebnis war viel heller gefärbt, nicht so dunkel, wie ich es mir vorgestellt habe. Das bedeutet meiner Ansicht nach, dass Caruso wohl eine Stimme wie Schokolade hatte. Phänomenal!

Chucho Monge: „México lindo“

 Juan Diego Flórez, Fort Worth Symphony Orchestra,  Miguel Harth-Beyoda

 2006.Decca

   

Puccini ist das nicht … mexikanisch! Das ist Juan Diego, mit „Mexico lindo“, wie schön. … Mir gefällt die Stimme von Juan Diego Flórez sehr. Er ist ein großer Musiker, er kompo­niert auch, spielt Gitarre. Wir haben vor einigen Jahren ein Konzert in Paris gegeben, einen Arienabend, in dem es auch ein Potpourri mit solchen mexikanischen Liedern gab, das hat sehr viel Spaß gemacht. Wir haben es einfach genossen zusammen zu singen und den anderen singen zu hören, es war ein magischer Abend. Ich glaube, es ist eine Art Samt in den Stimmen lateinamerikanischer Sänger.

 Mozart: Così fan tutte, „Un‘ aura amorosa“

 Werner Güra, Concerto Köln, René Jacobs

 1999.harmonia mundi

   

Klar, Così fan tutte … es ist eine hohe Stimme mit einer Leichtigkeit in den Höhen, die sehr gut auch zarte Töne gestalten kann … aber ich weiß nicht, wer es ist. Werner Güra? Ach ja, ja! Ich kenne ihn. Mal hören … wie schön, das ist typisch für Mozart-Sänger, wie er die Stimme in der Höhe schweben lässt … daran muss man lange arbeiten. Aber das ist Mozart, alles muss mit einer Ruhe und mit Leichtigkeit gesungen werden. Man darf die Anstrengungen nicht merken. Bei Puccini spürt man die Anstrengung und oft verstärkt dies die Dramatik. Bei Mozart nicht, hier stört das den musikalischen Fluss

Bizet: Les pêcheurs de perles, „De mon amie“

 Rolando Villazón, Anna Netrebko, Staatskapelle  Dresden, Nicola Luisotti

 2007. Deutsche Grammophon

   

Les pêcheurs de perles … Das bin ich, glaube ich … ich habe mich nicht gleich wiedererkannt. Aus der Oper haben wir auch gesungen, als Anna, Plácido Domingo und

ich 2006 in einem Konzert in der Waldbühne hier in Berlin aufgetreten sind, 2006, kurz vor dem Finale der Fußball-WM damals. Wegen schwerer Gewitter waren schon einige Konzerte abgesagt worden. Wir hörten also den Wetterbericht, der wieder ein Gewitter ankündigte. Also haben wir uns entschlossen, die Pause unseres Konzerts zu streichen, und wir sind mit dem Programm durchgekommen. Als wir fertig waren, rumms, begann das Gewitter.

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