Erst war er der dirigierende Jurist, dann der dirigierende Manager. Rolf Beck gehört seit über drei Jahrzehnten zu den erfolgreichsten Orchester- und Festivalmanagern Deutschlands. Doch zukünftig will er sich ganz aufs Dirigieren konzentrieren. In dieser Rolle debütiert der Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals in diesem Jahr mit dem Deutschen Requiem von Brahms im Hamburger Michel. Er dirigiert die Sängerinnen und Sänger der von ihm gegründeten Chorakademie – eine weltweit einmalige Einrichtung für den sängerischen Spitzennachwuchs.
Was bedeuten Ihnen das SHMF persönlich, das Sie zunächst gemeinsam mit Christoph Eschenbach, dann in alleiniger Intendantenverantwortung geleitet haben und 2013 abgeben werden?
Es bedeutet mir sehr viel. Ich bin jetzt im 14. Jahr hier, werde das Festival im nächsten Jahr 15 lang geleitet haben. Das Festival ist wie ein Kind, das man herangezogen hat und das sich immer weiterentwickelt hat. Ich bin ja von Beginn an allen Versuchungen nicht erlegen, eine völlige Revolution zu machen. Warum sollte ich Bewährtes abschaffen, das nach wie vor großes Interesse des Publikums findet? Gemeinsam mit meinem sehr effektiven und solidarischen Team habe ich das SHMF im Sinne der behutsamen Erneuerung gemanagt: Wir haben die zeitgenössische Musik nicht vergessen, und wir haben mit den Länderschwerpunkten jedes Jahr einen dramaturgischen Schwerpunkt gesetzt, der uns alle jung und wach gehalten hat. Schließlich haben wir uns in jedem Jahr einer völlig neuen Herausforderung gestellt. Das SHMF ist also ein wesentlicher Teil meines Lebens geworden. Wichtig war, es nicht nur zu verwalten und keine Defizite zu machen, sondern künstlerische Entscheidungen zu treffen. Die Inhalte standen im Vordergrund. Wenn ich 2013 das letzte Festival mache, wird das ein großer Einschnitt sein. Aber alles hat seine Zeit im Leben. Ich werde dann nach 33 Jahren als Orchestermanager auch diesen Job abgeben, die Zeit beim Festival und beim NDR geht zu Ende. Das reicht auch. Ich werde mich dann auf die rein künstlerische, die dirigentische Seite schlagen.
Sie haben als Festivalintendant auch mit der Gründung der Chorakademie eigene künstlerisch-pädagogische Zeichen gesetzt. Ist diese Arbeit zukünftig gesetzt?
Das kann man nur hoffen. Wir haben damit etwas Einzigartiges erreicht – es gibt meines Wissens kein Festival der Welt, das Orchesterakademie, Chorakademie und Meisterkurse unter einem Dach vereint. Die Chorakademie hat wiederum einen international singulären Status. Es gibt einige sehr gute internationale Jugendorchester, unter denen das unsere, von Leonard Bernstein gegründet und jetzt durch Christoph Eschenbach zu ganz hohem Renommee gekommen, zu den weltweit besten gehört. Aber es gibt keinen vergleichbaren Chor. Wir hatten über 600 Bewerbungen, wir haben Auditions gemacht von Kapstadt bis Novosibirsk, von Peking bis nach São Paulo. Nun haben wir 70 Leute ausgesucht, alle sind ausgebildete Sängerinnen und Sänger oder Studierende. Das gesangstechnische Niveau ist sehr hoch, interpretatorisch ist hingegen viel zu tun. Eben deshalb kommen die jungen Menschen zu uns und lernen vom A-cappella-Repertoire, über eine große Choroper wie Puccinis Turandot bis zum Requiem von Brahms eine riesige Bandbreite kennen. Die besten Mitglieder kommen dann in den Festivalchor, der das Jahr über alle Tourneen macht. Und die profiliertesten Sänger daraus treten auch solistisch auf. Bei den Göttinger Händelfestspielen habe ich jetzt Solomon gemacht und konnte zwei der vier Solopartien mit Mitgliedern des Chores besetzen. Das sind echte Anreize. Deshalb wäre es mehr als schade, wenn man diese Institution und damit die Unverwechselbarkeit des Festivals in Frage stellen würde. Längst werden wir in die ganze Welt eingeladen, der Name des Schleswig-Holstein Festival Chors ist eingeführt.
Diesen Festivalsommer treten Sie an exponierter Stelle als Dirigent auf und leiten Ein Deutsches Requiem von Brahms im Hamburger Michel. Dort treten Sie in die Fußstapfen einiger Ihrer Vorbilder. Was bedeutet dieser Schritt für Sie?
Das bedeutet für mich zunächst, ein Zeichen zu setzen, mit dem ich meinen nächsten Lebensabschnitt einleite. Mit der Abgabe meiner bisherigen Aufgaben werde ich ja im besten Dirigentenalter sein. Dann will ich mich ganz der Kunst zuwenden. Am Anfang, nach meinem Jurastudium, war ich der dirigierende Jurist, machte dann meine Kapellmeisterausbildung, um dieses Image abzulegen, doch dann wurde ich auf einmal der dirigierende Manager, weil ich wahrgenommen wurde als ein Manager, der diesen exotischen Hang zum Dirigieren hatte. Im nächsten Lebensabschnitt möchte ich den Blick darauf richten, was ich als Dirigent wert bin. Das Konzert im Michel wird mein erstes in Hamburg sein, das Requiem von Brahms habe ich aber schon oft geleitet.
Was wird das Besondere an Ihrer Interpretation sein?
Schon die Besetzung mit dem Kammerorchester Basel legt nahe, dass wir unseren Brahms weniger aus der deutschen romantischen Tradition heraus interpretieren werden, sondern mit eng mensurierten Posaunen und Naturhörnern, etwas schlanker als gewohnt also. Die Arbeit mit dem Chor wird eine besondere Herausforderung, da ich ihn als Ensemble ja noch gar nicht kenne. Wir wissen nur, dass der Chor aus sehr guten Sängerinnen und Sängern besteht. Die deutsche Sprache aber ist für viele fremd. Deshalb hab ich habe eigens einen Sprach-Coach engagiert. Ich möchte einen schlanken, intonatorisch mühelosen und beweglichen Chorklang, auf den ich schon in der Carmina Burana beim letzten Festival gesetzt habe. Ich bin ja ein begeisterter Anhänger von John Eliot Gardiner, klanglich wird das durchaus in seine Richtung gehen.
Wenn Sie den Intendantenanzug durch den Dirigentenfrack ersetzen, vollziehen Sie einen Rollenwechsel, der zumal in Deutschland mit Argwohn beäugt wird. Erfolg zu haben auf verschiedenen Bühnen, gilt als suspekt, so mancher glaubt sogar: „Das kann der Beck nicht auch noch können.“ Was entgegnen Sie?
Sie treffen mit Ihrer Beobachtung ins Schwarze. Ich werde von manchen Kollegen aufgrund dieses Phänomens zum Teil gar nicht eingeladen. Andere kennen mich besser und erkennen, dass ich eben beides mache. Gerecht beurteilt wird man oft aber tatsächlich nicht. Vorteile dadurch, dass ich so viele Leute in der Musikbranche kenne, ergeben sich für mich als Dirigent nicht, eher Nachteile. Und trete ich dann am Pult auf, sucht man gleich nach dem Gegengeschäft. Solche Befindlichkeiten gibt es in erster Linie in Deutschland, damit lebe ich seit sehr vielen Jahren. Jetzt möchte ich mich davon befreien. Wenn es klappt, ist das gut, wenn nicht, habe ich Pech gehabt und mir bleibt bis zum meinem Tod ein Stempel auf der Stirn, auf dem steht: „Eigentlich ist er ein Manager.“ Es gibt aber Erfahrungen, die mich hoffnungsvoll stimmen. In der riesigen Basilika von Ottenbeuren habe ich mit der Sinfonia Varsovia Schönbergs Verklärte Nacht zusammen mit der C-Moll-Messe von Mozart aufgeführt. Diese spannende Kombination hat so manchen aufhorchen lassen und erstaunt, auch darüber, dass ich nicht nur der Chordirigent bin. Als Orchesterdirigent habe ich ja einen großen Vorteil: In Bamberg war der Weg vom Büro in den Saal so kurz. Da waren die Begegnungen und Gespräche mit den großen Meistern sehr prägend. Wie, was und warum proben sie? Zumal Sie die Probenpsychologie ja nicht an einer Hochschule lernen. Ich habe es durch Beobachtung gelernt, habe in Bamberg in jeder Probe mit Günter Wand gesessen, habe Sinopoli erlebt, Eugen Jochum und Horst Stein. All diese Erfahrungen schlagen sich nieder in dem, was ich als Dirigent anbieten kann.
Haben in Ihnen immer zwei Seelen gewohnt?
Früher war ich meinem Vater sehr böse, als er mir zu verstehen gab, dass es für die Musikausbildung kein Geld von ihm geben würde. Ich sollte etwas Ordentliches lernen. Das war wie im Film. Ich fragte also meinen besten Schulfreund, was er denn studieren werde. Das war Jura. Dem habe ich mich einfach angeschlossen und das auch durchgezogen bis zum zweiten Staatsexamen. Das Schicksal hat mir aber immer sehr geholfen. Ich fand den Weg zur Musik, zunächst in die Musikverwaltung beim Deutschen Musikrat, damals noch in Bonn. Dort ergab sich die Möglichkeit, in Frankfurt ein Kapellmeisterstudium aufzunehmen. Nach beiden Examina bewarb ich mich in Bamberg, wo ich Orchestermanager wurde und auch gleich einen Chor gegründet habe. Rückblickend empfinde ich, dass mein Leben in beiden Funktionen ausgefüllt war, ich musste nie Klinken putzen und antichambrieren, war als Künstler immer unabhängig, da ich eben einen anderen Beruf hatte. Jetzt ist die Zeit gekommen, mich zu fragen, was im Managersein überhaupt noch kommen könnte. Es war nie mein Ding, nur den Grußonkel zu spielen oder abzunicken, was irgendwelche Gremien vorgegeben haben. Ich wollte inhaltlich gestalten. Hier habe ich das erreicht, was ich erreichen wollte, konnte vieles bewegen. Jetzt aber kommt das Dirigieren. Ich werde auf keinen Fall Rentner werden.
Sie verstehen künstlerisches Management als eine Kunst des inhaltlichen Gestaltens. In den letzten Jahren hat es sich immer mehr auf die Sicherung finanzieller Spielräume eingeengt. Wie sehen Sie die Entwicklung?
Lassen Sie es mich positiv formulieren. Ich bin ganz froh, dass ich aufhören kann. Das gilt für beide Institutionen. Das Festival ist in der Tat sehr abhängig davon, dass die Zahlen stimmen. Wie soll es angesichts der Verminderung des öffentlichen Zuschusses – wir sind jetzt bei 15% gelandet, wobei allein die Akademien über 20% des Budgets ausmachen – möglich sein, den gegenwärtigen Stand zu halten? Wenn Sie nicht gerade unter so paradiesischen Umständen wie in Luzern arbeiten, dann ist die Gefahr sehr groß, dass man nur noch nach Quote schaut. Sich eine echte Dramaturgie und zumal ein Programm namens „Anbruch“ mit aktueller Musik zu leisten, funktioniert durch Kooperationen sehr gut, in unserem Fall gemeinsam mit dem NDR. Aber ob das in Zukunft so gehen wird? Es wird nicht einfacher. Das Festival bedarf besonderer Pflege. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Essentials des Festivals nicht mehr gehalten werden könnten, wenn man die Förderung weiter absenkt.
Sind Sie für Ihren künstlerischen und ökonomischen Erfolg bestraft worden?
Wir mussten 1,2 Millionen Rücklagen abgeben und müssen 500.000 Euro einsparen. Die zweite Einsparrate im kommenden Jahr wird nicht ohne Abstriche umsetzbar sein. Wenn man das Festival so erhalten will, wie es ist, muss man erkennen: Wir können nicht die Preise verdoppeln, wir können nicht die Flächenbespielung aufgeben, weil wir unser Image aufgeben würden, und wir können auf keinen Fall die Akademien einstellen, weil wir dann beliebig würden.
Alles andere als beliebig verspricht der China-Schwerpunkt in diesem Sommer zu werden. Welchen Zugang haben Sie selbst gefunden zu einer faszinierend fremden Musik?
Ich hatte eine hervorragende chinesische Referentin, die mich sicher durch alle Untiefen geführt hat. Anders findet man keinen Zugang. Bei den Chinesen hat sich durch die immer stärkere Berührung mit westlicher Musik ein Stolz auf ihre eigene traditionelle Musik entwickelt. Sie haben sich nicht amerikanisiert. Sehr gespannt bin ich, wie die Peking-Oper hier aufgenommen wird, wie die Schattenspiele mit Musik oder hochklassige Pop-Musik mit der Sängerin Dadawa in der Neuen Flora ankommt. Das Shanghai Symphony Orchestra wird zum Auftakt des China-Schwerpunkts bewusst Debussy mit zeitgenössischer chinesischer Musik konfrontieren. Gerade die gegenseitigen Einflüsse wollen wir vermitteln. Unser Japan-Schwerpunkt war übrigens auch ein großer Erfolg, obwohl die Festivalfreunde nicht wussten, was sie da genau erwarten würde. Wer aber die reine Lehre hören will, bekommt sie selbstverständlich auch – ob bei Murray Perahia oder Radu Lupu.