Seit dieser Spielzeit ist Rubén Dubrovsky Chefdirigent am Gärtnerplatztheater. Im April steht für ihn die Premiere von Otto Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“ an, womit seine erste Saison sich auch schon allmählich dem Ende zuneigt.
Herr Dubrovsky, nach Ihrem furiosen Einstand: Wie geht es in Saison Nummer zwei weiter?
Rubén Dubrovsky: Darüber kann ich heute noch nicht viel sagen. Mozart bleibt programmatisch sehr wichtig, das passt zu diesem Haus. Ich bin auch sehr stolz auf unsere Zauberflöten-Produktion. Ich wünsche mir, dass alle hier ihr Potenzial entfalten können, dass auf Augenhöhe musiziert und geprobt wird, damit wir gemeinsam ein wunderbares künstlerisches Leben führen können.
Als Argentinier mit polnischen und italienischen Vorfahren: Wie fühlen Sie sich in Deutschland?
Dubrovsky: Sehr sehr gut! Auch wenn ich mich weiterhin als Argentinier fühle, habe ich in Österreich und in Deutschland meinen Ort in der Welt gefunden. Und dafür bin ich sehr dankbar.
Sie wurden 1968 in Buenos Aires geboren, lebten ein paar Jahre in Budapest, bevor Sie als Achtjähriger mit Ihrer Familie zurückkehrten. Da befand sich Argentinien inmitten einer brutalen Militärdiktatur unter Videla.
Dubrovsky: Aus heutiger Sicht denkt man manchmal: Wow, was für eine Kindheit hatten meine Schwester und ich! Aber für uns war es ganz normal, dass mein Vater im aktiven Widerstand war. Es war auch ganz normal, als Musiker gegen die Militärdiktatur zu protestieren, vor allem in der Volksmusikszene, die dort ein sehr hohes Niveau hatte. Und selbst wenn in Protestliedern der Text nicht mehr gesungen werden durfte, so wurde allein der Rhythmus zum Protest.
Sie wurden ja obendrein noch zum Militärdienst eingezogen.
Dubrovsky: Das war schon zu der Zeit, als die Zivilgesellschaft so langsam die Demokratie zurückeroberte. Ich wollte gerade meinen Dienst in der Luftwaffe antreten, da wurde ich gleich wieder zurückgeschickt, weil dort gerade ein Aufstand stattfand. Damals hieß es noch: Zivil oder Militär. Zivil war ein Schimpfwort für die Militärs. Jetzt beim Tod von Alexei Navalny dachte ich wieder daran, dass es noch zu viele Länder gibt, in denen ein Menschenleben nichts wert ist.
Danach ging es nach Wien.
Dubrovsky: Zunächst war ich in Detmold an der Musikhochschule, um dort mein Studium fortzusetzen. Die Atmosphäre war toll, sehr international. Da dort ja auch Tonmeister ausgebildet werden, haben sie an uns geübt, wir durften alles professionell aufnehmen! Nach meinem Diplom ging ich nach Wien. Auch das war eine sehr gute Entscheidung, ich wurde mit offenen Armen aufgenommen. Wien ist nach wie vor eine Stadt der Musik. Sie verlangt viel von den Musikern, aber sie ermöglicht ja uch sehr viel. Auch nachdem wir 1999 unser Bach Consort gegründet haben.
Es gibt so manche Parallele zwischen Ihnen und Nikolaus Harnoncourt. Auch er war Cellist und hat ein Ensemble gegründet, auch Sie haben wie er eine Geigerin geheiratet.
Dubrovsky: Es gab eine Zeit, in der ich tatsächlich einige wichtige Fragen an ihn hatte. Aber Harnoncourt war damals eine Art Ikone. Viele Leute wollten etwas von ihm und ich wollte ihn eigentlich auch nicht belästigen. Letztlich war das gar nicht schlecht, denn so war ich gezwungen, meinen eigenen Weg zu gehen und meine Antworten zu finden, die ganz anders waren als seine.
Inwiefern?
Dubrovsky: Die Antworten waren generationsbedingt unterschiedlich. Dazu kam bei Harnoncourt die Musik vor allem von der Sprache. Ich aber komme vom Rhythmus. Vor dem Cello und dem Dirigieren war ich sozusagen Rhythmusgitarrist.
Stichwort Charango. Was hat es mit dem Instrument auf sich?
Dubrovsky: In meiner Jugend habe ich Charango gespielt. Das ist ein kleines Zupfinstrument aus der südamerikanischen Andenregion, bei dem ursprünglich der getrocknete Panzer eines Gürteltiers als Resonanzkörper verwendet wurde. Es hat zehn Saiten, also fünf Doppelsaiten, die aber nicht von hoch nach tief angeordnet sind, sondern die tiefste Saite liegt in der Mitte. Man kann in beide Richtungen spielen, nach unten und nach oben, ohne das Gefühl von hoch und tief zu haben, das Tremolo funktioniert wunderbar. In Südamerika gibt es viele solcher Instrumente, die noch aus der Barockzeit stammen und in denen eine große Weisheit steckt. Und ich finde es wichtig, solche Traditionen zu bewahren.
In einem Interview sagten Sie, Sie seien überzeugt, dass eine Sarabanda von Bach eine afrikanische Urgroßmutter hat.
Dubrovsky: Viele Elemente wie etwa die Tänze in der Musik von Bach stammen aus Spanien, aber auch nicht wirklich aus Spanien, sondern aus den Kolonien wie Mexiko, und diese nicht wirklich aus Mexiko, sondern aus Afrika! Auf die Frage, ob denn arabische Elemente in einer Bach-Passion stecken könnten, würde jeder mit dem Kopf schütteln. Aber allein die Laute ist ein Instrument, dessen Ursprünge im Nahen Osten liegen.
Die Tanzformen oder die Instrumente werden für sich alleine ja noch nicht zu Musik. Es braucht die musikalische Vision eines Genies, eines Johann Sebastian Bach, um sie mit Inhalt zu füllen.
Dubrovsky: Da haben Sie natürlich recht, große Komponisten haben unsere Kunst immer eine Dimension weiter gebracht. Mir ist es wichtig, dass man sich der Wurzeln und Zusammenhänge bewusst wird. Dann öffnet sich da eine große Schatzgrube – und der eigene Blick auf diese Werke, die Interpretation wandelt sich grundlegend.
Ihr Album „Vidala“ von 2015, das sich mit Argentinien und den Wurzeln des europäischen Barocks beschäftigt, war für den Preis der deutschen Schallplattenkritik nominiert.
Dubrovsky: In dieser Aufnahme steckt so viel Herzblut drin! Sie ist so etwas wie das Credo von mir. Es geht wirklich um die Wurzeln der Musik, ihrer Formen und der Instrumente, die dann in Europa angewendet wurden. In „Vidala“ dreht sich alles um die Zeit der Kolonialisierung, bei der im 16. Jahrhundert drei Kulturen aufeinandertrafen: die Ureinwohner Südamerikas, spanische Eroberer und afrikanische Sklaven. Von Mexiko bis Argentinien entstanden explosionsartig neue Tänze, die sich in Kompositionen – nicht nur des italienischen Barock – wiederfinden mit Namen wie Sarabanda, Chacona, Pasacalle oder Folia. Hinzu kommt es, dass die Jesuiten aus Spanien Geigen mitbrachten, Orgeln bauen ließen, Komponisten heranbildeten. Und diese Musik, diese Praxis des Musizierens ging ein ins Volk, wurde zu Volksmusik und auf besondere Weise konserviert. Denn als die südamerikanischen Kolonien Anfang des 19. Jahrhunderts der Reihe nach unabhängig wurden, war der weitere Austausch mit Europa für längere Zeit gekappt. So blieb in Südamerika die „Barockmusik“ lebendig, während sich das musikalische Europa auf den Weg zu Klassik und Romantik machte. Mir ist es sehr wichtig, dass die Menschen von den Ursprüngen der Musik erfahren. Aber nochmal zurück zu Harnoncourt.
Ja?
Dubrovsky: Vielleicht bin ich da und dort anderer Meinung als er, sei es bei Mozart oder auch bei anderen Musikstilen. Aber eines habe ich von ihm gelernt: Man muss zu jeder Note eine begründete Meinung haben! Warum steht sie da, was bedeutet sie, und erst dann, wie soll sie klingen? Das verdanke ich auch Professor Eberhard Felz von der Berliner Hanns Eisler-Musikhochschule, der mich eigentlich gelehrt hat, Partituren wie Bücher zu lesen. Damit meine ich nicht die Noten, sondern den Inhalt.