Berlin, ein warmer Frühsommernachmittag, im Hinterhof toben Kinder. Simone Kermes hat auf den mit üppig blühenden Pflanzen bestückten Balkon ihrer stilvollen und geschmackssicher eingerichteten Altbauwohnung gebeten. Schwärmt von ihrem aktuellen „Love“-Programm, für das die gefeierte Koloratursopranistin Madrigale, Songs und Arien rund um die Liebe aus Renaissance und Frühbarock zusammengetragen und mit Tänzern, Kostümen und Perücken verknüpft hat. Auch für das Gespräch hat sie Ring und Ohrgehänge auf ihr azurfarbenes Kleid abgestimmt und ihre blauen Augen leuchten, wenn sie gestenreich von dieser Produktion über das größte aller Gefühle erzählt. Schwer, sich in diese Künstlerin und Frau nicht zu verlieben …
Darf ich Ihnen sagen, dass ich Ihrer feuerroten Haarpracht eine kleine Träne nachweine?
Ja, da gibt es noch ein paar andere, aber das ist schon okay. Ich selbst bin froh, denn ich konnte die Haare nicht mehr sehen – und eigentlich war ich ja schon als Kind blond. Das ist wirklich meine Haarfarbe, ich bin zurückgekommen zu meinen Wurzeln, fühle mich wohler und kann jetzt auch viel mehr Sachen anziehen, da ich nicht mehr so definiert bin auf dieses Rot.
Und vermutlich hatten Sie auch genug von Bezeichnungen wie „Lady Gaga der Klassik“ oder „Crazy Queen of Barock“ …
… damit habe ich keine Probleme, das sagen sie ja auch immer noch alle. Nein, ich hatte die Königin der Nacht zu spielen und Regisseur Robert Carsen wollte, dass ich mir die Haare dunkel färbe, damit das so aussähe wie die Dita Von Teese! Ich habe das gemacht – und als ich dann in den Spiegel guckte, habe ich mich überhaupt nicht wiedererkennen können und nur noch gehofft, dass die Produktion bald vorbei ist. Dann bin ich zum Frisör und habe gesagt: Bitte diese Farbe rausziehen – und plötzlich kam die helle Farbe wieder hervor. Und da habe ich gedacht: Super, das lassen wir und machen es noch etwas heller.
Und nun sind Sie nicht mehr die Crazy Queen, sondern der blonde Engel …
… auf jeden Fall bin ich froh, auch wenn immer wieder Leute wie jetzt Sie kommen und mich fragen: Wann haben Sie wieder Ihre roten Haare? Meistens sind das übrigens Frauen wie jüngst jene, die gerade ein Buch über die Bedeutung der Haarfarben geschrieben hatte. Sie erzählte mir, blonde Frauen, das seien die Engel, die von den Männern beschützt werden wollten – während rot eher für Power und Gefahr stünde und bei den Männern oft Angst auslöse…
… Sie wollen also jetzt eher beschützt werden …
… ja, ich möchte auch mal beschützt werden: Das habe ich noch nie erlebt – allerdings weiß ich auch nicht, ob jemals diese Zeit kommen wird, dass jemand mir all meine Verantwortung abnimmt. Aber vielleicht würde das auch gar nicht funktionieren und mich langweilen, wenn ich nur meinen Kaffee oder mein Sektchen trinke und gar nichts mehr machen muss, weil jemand die Kohle bringt und mich versorgt und ich nur noch sage: Ich möchte jetzt diese Tasche und jene Schuhe …
… ist das nicht eine fürchterliche Vorstellung?
Ja, denn als Künstler ist es immer wichtig, dass du nicht mit allem zufrieden bist. In dem Moment, wo du das volle Glück erfährst – etwa in Bezug auf die Liebe – entfernst du dich von der Kunst: Warum sollst du dann noch singen? Was ist dann dein Antrieb? Vor einem großen Konzert habe ich mal gemerkt, wie ich krank werde und da hatte in der Nacht vor meinem Auftritt einen Traum: Wenn jetzt jemand käme und sagte, „Komm’ mit auf die Insel und lass’ alles hinter dir, du musst nie mehr singen“ – wie schöne wäre das …
… einmal aus allen Zwängen flieh’n …
Ich habe das Konzert dann gesungen, es war ein Riesen-Erfolg und mein Körper hat trotz Erkältung mitgemacht. Aber manchmal denke ich mir schon: Die jetzt auf der anderen Seite sind, die haben nicht diesen Stress und ahnen auch nicht, was du gerade Furchtbares durchmachst. Denn ich bin immer in dieser Position, wo das Publikum von mir auch Entertainment erwartet – ob das nun meine Schuhe sind …
… wo mancher denkt: Wie kann sie nur in solchen High Heels laufen …
… und dann singe ich Olympia und die Leute toben – aber sie wissen nicht, was in mir vorgeht. Natürlich bin ich danach glücklich, sie als Künstlerin begeistert und berührt oder auch amüsiert zu haben: Das ist schön und gibt mir Energien, denn natürlich muss auch ich mich auftanken. Doch mal sehen, wie lange das noch geht …
Das klingt, als dächten Sie ernsthaft über einen Rückzug von der Bühne nach.
Manchmal sage ich, jetzt singe ich keinen Mozart mehr, das war jetzt meine letzte Così – und dann sagen alle: Oh nein … aber warum denn nicht? Es muss doch auch mal Schluss sein mit Mozart. Andererseits geht es mir zur Zeit eigentlich sehr gut, weil ich doch relativ frei bin – eine Freiheit, die andere Künstler überhaupt nicht haben.
Inwiefern Freiheit?
Sei es, dass ich alles ohne Manager mache, dass ich keine Oper machen muss, dass ich meine Programme alle selbst gestalte und bestimme, was ich in den großen Konzerten singe – und zwar auch hinsichtlich der Musiker und Dirigenten. Das ist schon ein ganz großer Luxus und mir wichtig – und da habe ich trotz all dieser Unbilden sehr viel Freiheit und die möchte ich mir natürlich auch bewahren.
Vielleicht ist jetzt Ihre nächste Frage, warum ich nicht häufiger auf der Opernbühne stehe …
… ja, warum eigentlich nicht?
Natürlich gäbe es in der Oper viele Herausforderungen, aber sie kosten eben auch Zeit – und da ziehe ich dann jene Kreativität vor, wo ich selbst nach neuen Herausforderungen suche, auch nach neuer Musik und neuen CD-Konzepten: Das ist für mich künstlerischer, als wenn ich sechs Wochen in der Oper herumhänge – und es dann womöglich noch nicht mal gut oder interessant wird. Das habe ich schon oft genug erlebt!
Dabei dünkt die Oper als Ihre Bühne, legen Sie doch sehr viel Wert aufs Outfit. Sie suchen sich die Stoffe für Ihre Kleider selbst aus und lassen sich diese schneidern – woher rührt dieses Faible für das äußere Erscheinungsbild?
Das habe ich schon ewig – wahrscheinlich hängt es mit der Barockmusik zusammen, denn in dieser Musik steckt so viel an Leben und Gefühlen, dass ich immer fand, das müsse auch ein bisschen spektakulär sein. Natürlich muss das Outfit dann auch zu einem passen – weshalb ich nach meiner Zeit mit den roten Haaren jetzt auch einiges aussortieren musste, das mir einfach nicht mehr steht.
Wer berät Sie dabei?
Ich habe hier in Berlin eine ganz tolle Designerin und Schneiderin, die jetzt auch die Kostüme für unsere „Love“-Produktion gemacht hat – ein Traum! Sie berät mich und ich kann ihr voll vertrauen – was übrigens auch andere Sänger gelegentlich gut gebrauchen könnten, jemanden, der sie berät: Da gibt es einige, da geht das Outfit gar nicht. Übrigens auch in der Oper, wo sie manche Kollegen in irgendwelche Klamotten reinstecken und dann siehst du das und denkst: Warum sagt denn da niemand etwas?!
Wen sehen wir denn in diesen vielen verschiedenen Kleidern – ist das Simone Kermes oder doch eher eine Kunstfigur?
Wenn ich das „Love“-Programm betrachte, dann ist das schon eine Figur. Sicher bin ich das auch, weil die Musik sehr intim ist und es schon meine Erfahrungen und Gefühle sind, die ich zum Ausdruck bringe. Aber natürlich würde ich im Leben nie mit einer Perücke herumlaufen.
Und wie ist das bei einem „normalen“ Konzert?
Im Liederabend ist das wieder anders, da ist das tiefer – und all diese Musik, die ruhig, langsam und tief ist, das bin vielleicht mehr ich. Natürlich ist es auch in so einem Konzert wichtig, die Leute zu unterhalten, aber am Ende möchte ich dann doch eine Tiefe erleben.
Gedanken, die so völlig im Kontrast stehen zu jenem Öffentlichkeitsbild, das Sie sonst verkörpern.
Ja, das stimmt – doch in meinem Inneren bin ich sehr melancholisch. Natürlich habe ich Temperament, brauche Feuer und Emotionen, aber ich brauche auch echte Gefühle. Und so brauche ich in einem Konzert auch immer die Tiefe, muss es immer eine solche Arie geben – und ich weiß, dass ich damit letztendlich eigentlich mehr punkte als mit dem anderen.
Und trotzdem setzen Sie auf das Entertainment?
Um den Kontrast zu haben, damit man das andere noch tiefer erleben kann. Das ist wichtig, auch für die Menschen – selbst wenn diese eine bestimmte Erwartung von mir haben, immer diese schnellen Töne wollen. Doch gerade das „Love“-Programm jetzt zeigt mir: Wenn du das gut gestaltest, bedarf es gar nicht dieser schnellen Töne und des Entertainments. Und das ist viel schwieriger, solch einen Spannungsbogen zu gestalten, wenn da ansonsten rein gar nichts ist, denn da musst du echt sein, rein und pur. Doch genau das bringt eben auch solch eine zerbrechliche und interessante Schönheit mit sich: Und das bin ich eigentlich eher.