Wieso ist es Ihrer Meinung nach wichtig, Werke von Komponistinnen auf die Spielpläne zu setzen?
Ulrike Keil: Nach wie vor werden in den Spielplänen unserer Konzerte und an den Opernhäusern kaum Werke von Frauen gespielt. Dabei gibt es und gab es Komponistinnen, deren Stücke ebenso auf die Spielpläne gehören wie die ihrer männlichen Kollegen. Wenn die Musik gut interpretiert wird, wäre es eine Bereicherung, auch Musik von Komponistinnen aufzuführen. Mir ist es unverständlich, dass wir heute noch ihre Werke ignorieren. Die Tradition der Missachtung setzt sich damit fort.
Warum werden Werke von Komponistinnen nicht so häufig aufgeführt?
Keil: Seit Anfang des 20. Jahrhunderts konzentriert sich der Kanon der Musik im klassischen Konzert und in der Oper auf die sogenannten Meisterwerke. Das hat zur Folge, dass zeitgenössische Musik eigentlich nur noch in eigens dafür etablierten Reihen oder Festivals zur Aufführung kommt. Auch Werke sogenannter „Kleinmeister“ werden kaum rezipiert.
Woran liegt es, dass die meisten Komponistinnen in Vergessenheit geraten sind?
Keil: In erster Linie wissen wir zu wenig über die Arbeit von Komponistinnen. Ihre Musik wird selten verlegt, das Aufführungsmaterial ist schwer zu bekommen. Die Vorbereitung auf eine Aufführung ist zeitintensiv und verlangt musikwissenschaftliche Recherchen. Hörbeispiele gibt es auch nur wenige. Da müssen die Forscherinnen und Forscher und ausübenden Musikerinnen und Musiker in der Regel Basisarbeit leisten. Aber am Beispiel der Originalklangbewegung wird deutlich, wenn das Interesse erst einmal geweckt ist, werden interessante, bis dahin unbekannte Werke auf die Bühne gebracht.
Könnte es auch daran liegen, dass sie nicht das musikalische Niveau ihrer männlichen Kollegen erreicht haben?
Keil: Sicherlich ist die Qualität der Kompositionen sehr unterschiedlich. Aber die Frauen, die professionell ausgebildet wurden, müssen eine gehörige Portion an Begabung mitgebracht haben, wenn sie sich gegen all die Widerstände durchgesetzt und ein professionelles Studium abgeschlossen haben. Die meisten hatten namhafte Lehrer, die sie in ihrem Bestreben unterstützten. In erster Linie haperte es daran, die Werke zu drucken und sie aufzuführen. Solange die Frauen lebten, haben sie es meistens mit eigenem Engagement geschafft, dass ihre Musik auch gespielt wurde, aber danach sind sie in Vergessenheit geraten. Das ist nicht einmal spezifisch weiblich, das ist den meisten männlichen Komponisten nicht anders ergangen.
Die Situation sieht heute nicht anders aus: Werke von Arvo Pärt, Jörg Widmann oder Wolfgang Rihm werden wesentlich häufiger gespielt als die von Brigitta Muntendorf oder Isabel Mundry.
Keil: Ja, das ist traurig. Laut der Studie zur Situation von Frauen in Kultur und Medien vom Deutschen Kulturrat von 2016 zeichnet sich die Ungleichbehandlung von Frauen am stärksten in der Musik ab. Bei Komponistinnen und Dirigentinnen ist das am meisten ausgeprägt.
Wissen Sie, wie es mit dem Komponistennachwuchs aussieht?
Keil: Laut der Studie des Deutschen Kulturrats waren im Wintersemester 2015/16 insgesamt 32 Prozent der Kompositionsstudenten weiblich. Als freischaffende Komponisten waren neben 3.187 Männern nur 383 Frauen gemeldet.
Auf welchem Weg sind die Konzertplaner, um die Situation zu verbessern?
Keil: Das Bemühen der Konzertplaner sollte dahin gehen, auch Werke von Komponistinnen aufzuführen. Besonders die subventionierten Orchester haben meines Erachtens den Auftrag, sich endlich auch mit dieser Thematik zu beschäftigen. Letztlich braucht es Musikerinnen und Musiker, die Werke ausgraben und anbieten, Konzertveranstalter, die diese Programme aufnehmen, und ein aufgeschlossenes Publikum, das sich freut, mal etwas Neues zu hören, das nicht dem üblichen Kanon entspringt. Deswegen haben wir auch in dieser Saison bewusst drei Werke von Komponistinnen in die Reihen integriert und die hervorragende Grazer Generalmusikdirektorin Oksana Lyniv nach München eingeladen. Angesichts des 100. Geburtstags von Clara Schumann stehen deren Klavierkonzert auf dem Programm sowie Streichquartette von Fanny Hensel und Luise Adolpha Le Beau…
…über die Sie Ihre Doktorarbeit geschrieben haben. Warum ist Le Beau für Sie eine solche Herzensangelegenheit?
Ulrike Keil: Le Beau hat in ihrer Autobiografie bitterlich ihre Diskriminierung als Komponistin angeklagt. Als Privatschülerin Rheinbergers bekam sie zunächst viel Unterstützung. Trotzdem musste sie immer um die Aufführung ihrer Werke kämpfen und bekam ständig zu hören, dass sie eine Ausnahme sei. Hinter dem vermeintlichen Lob, ihre Kompositionen seien „nicht wie von einer Dame gemacht“, hat sie permanent Diskriminierung erfahren. Ich finde es wichtig, dass wir Werke von Komponistinnen kennen lernen. Neben Schriftstellerinnen und Malerinnen haben Komponistinnen ihre Lebenswelt in Musik gebannt. Es wäre schade, wenn wir dieses weibliche Erbe weiterhin ignorieren.