Einst besaß die Blockflöte einen ziemlich schlechten Ruf, rief unselige Schulzeiten in Erinnerung, voller Zwang und Frust. Heute ist eine Generation von Blockflöten-Virtuosen herangewachsen, die all diese Vorurteile hinwegbläst – unter ihnen Stefan Temmingh. Zuhause in München, sammelt der gebürtige Kapstädter Blockflöten wie andere Pfeifen: Wie viele er besitzt, weiß er nicht – sieben seiner Instrumente sind auf jeden Fall auf seiner jüngsten CD „Birds“ im Einsatz.
„Schreckenspfeife aus dem Kinderzimmer“ wird die Blockflöte von manchen genannt. Nervt Sie das?
Nein, nicht wirklich, weil ich das ganz anders kenne. Ich habe an der Musikschule Schüler im Alter von fünf bis 88 unterrichtet! Manche von ihnen studieren heute vielleicht Maschinenbau, spielen aber immer noch Blockflöte – so wie jener 19-jährige Junge, der zusammen mit seiner Freundin Weihnachtslieder auf der Blockflöte musiziert. Vielleicht konnte ich – ich sage es jetzt mal etwas provokativ – das Instrument besser verkaufen; vielleicht hängt das schlechte Image auch damit zusammen, dass sehr viele Leute das Instrument sehr schlecht gespielt haben. Irgendwann habe ich etwa mal die Aufnahmen von Carl Dolmetsch (1911–1997, d.Red.) gehört: Aus heutiger Sicht finde ich ihn einfach keinen sehr guten Interpreten.
Die Blockflöte ist handlich und archaisch, als Spieler hat man rasch Erfolge – wird sie vielleicht auch deshalb so unterschätzt?
Da es sie sogar aus Plastik gibt, die man in die Spülmaschine zum Reinigen geben kann? Ich glaube weniger, dass die Vorurteile daher rühren, weil das Instrument scheinbar so einfach zu bedienen ist; denn schauen Sie sich die menschliche Stimme an: Mit der kann man sich auch relativ einfach artikulieren. Es liegt weniger am Publikum, es liegt am Konzertveranstalter.
Wieso das?
Ich habe viel in kleinen Orten gespielt. Wenn da einer mutig und neugierig eine kleine, feine Konzertreihe aufbaut, dann kommen die Menschen auch, dann ist es egal, welches Instrument da gespielt wird. Das Problem liegt in unserer teuren Hochkultur, der Betrieb ist sehr hochnäsig geworden: Die Megastars verdienen zu viel, die Bescheidenheit fehlt – und die Bodenständigkeit. Das wirklich kreative Mittelfeld indes, das die Kraft und Kreativität hätte, menschennahe Kunst zu schaffen – Kunst, die jeder gerne hat –, das verdient zu wenig. Von denen müsste es noch sehr viel mehr geben.
Wie sind Sie denn zur Blockflöte gekommen?
Wie jedes Kind. Ich war sieben und sofort verliebt – obwohl sie auch aus Plastik war; doch die sind gar nicht schlecht. Irgendwann hieß es, ich sollte ein „richtiges“ Instrument spielen, eben die Querflöte. Aber der Klappenmechanismus hat mich wahnsinnig gemacht – auf der Blockflöte hingegen liegen die Finger direkt auf den Löchern, das ermöglicht tolle Effekte.
Nun sind sie 1978 in Kapstadt auf die Welt gekommen …
… mein Vater war 1958 zusammen mit meinem Großvater aus Amsterdam ausgewandert, da er eine bessere Zukunft für seine Kinder haben wollte – und in Südafrika schien es damals mehr Möglichkeiten zu geben. Sie dachten, sie kämen in eine Großstadt – stattdessen kamen sie in ein klitzekleines Dorf, mit einem Schaf, das im Hinterhof geschlachtet werden musste: Das war ein Schock. Aber die Mitglieder der Familie haben sich dann als Musiker etablieren können, mein Vater Roelof Temmingh als Komponist und meine Mutter als Schauspielerin und Regisseurin.
Als die Apartheid zu Ende ging, waren Sie noch ein Kind. Erinnern Sie sich noch an jene Zeit?
Ja, sehr. Ich stand und sah Mandela, als er seine erste öffentliche Rede hielt: Das habe ich nie vergessen, das hat mich sehr berührt. Meine Mutter war politisch sehr aktiv und hat mir früh gesagt: „Du wohnst in einem Land, in dem Ungerechtigkeit an der Tagesordnung ist.“
Und doch hat Ihnen eben dieses Land Dinge vermittelt, die Sie hier im Westen vermissen.
Ja – Ironie etwa und die Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können: Das haben wir weißen Südafrikaner bei den „Coloureds“ gelernt. Mir fehlt das in meiner Wahlheimat Deutschland, einfach das Leben nicht immer so ernst zu nehmen. Ich denke aber, dass hinter der Fröhlichkeit der Südafrikaner oft etwas anderes steckt: Mord und Totschlag sind in Südafrika an der Tagesordnung – aus diesem Grund genießt man das Leben mehr, denn es könnte ja immer der letzte Tag sein.
Hat klassische Musik in Afrika eine Bedeutung?
Ich wohne ja schon viele Jahre hier in Deutschland und es hat sich sehr viel verändert. Wenn man über afrikanische Kultur spricht, muss man sich klarmachen, über welche man sprechen möchte: Allein Südafrika hat elf Amtssprachen – und jede hat unterschiedliche kulturelle Ausprägungen. Die klassische Musik spielt vor allen Dingen für die europäische, die weiße Bevölkerung eine Rolle – und die ist in der Minderheit. Und in Ländern, wo es an Infrastruktur mangelt und es oft nicht einmal genügend Strom für alle gibt, da gibt es auch wenig Geld für Sinfonieorchester. Zwar existieren viele erfolgreiche Projekte für Kinder, doch die Sinfonieorchester Südafrikas werden aufgrund von Geldmangel aufgelöst. Da existieren andere Prioritäten.
Sind Sie auch deshalb nach München gekommen?
Teils. Nach dem Abitur ging ich nach München zum Blockflötisten Markus Zahnhausen – und es hat mir hier einfach sehr gut gefallen. Zudem wollte ich diesen Clan-Stempel loswerden, denn die Temminghs sind in Südafrika nicht ganz unbekannt. Ich dachte mir, ich versuche es in Deutschland – klappt es nicht, dann gehe ich zurück und auf eine Hotelfachschule: Denn ich liebe es zu kochen. Aber es hat ja geklappt – und so bin ich nun hier.
Eine zentrale Idee auf Ihrem neuen Album mit der Sopranistin Dorothee Mield sind Vögel in der Barockmusik.
Ja, auf neun verschiedenen Instrumenten singt da die Nachtigall, zwitschern Distelfinken, gackern Hühner, gurren Tauben – mal virtuos, mal witzig, aber auch innig und berührend. Natürlich geht es aber um mehr als nur den Vogelgesang: Menschen verbinden seit Jahrhunderten mit Vögeln bestimmte Emotionen und jede Art hat ihre eigene Symbolik – so steht die Nachtigall etwa für die Reinheit der Liebe oder der Kuckuck für die Untreue. Die Klassik wird sterben, wenn wir uns nicht etwas einfallen lassen. Ich habe mal bei einer Weinprobe unterschiedlichste Stücke gespielt: Es war restlos ausverkauft. Doch ich wirke auch bei Uraufführungen zeitgenössischer Werke mit …
… so wie bei Stainless Safari, das Helga Pogatschar für Sie komponiert hat.
Es ist für sieben verschiedene Blockflöten geschrieben, von denen man immer zwei gleichzeitig spielt – die anderen werden auf Tonband zugespielt. Alles wurde im Krueger Nationalpark aufgenommen: Im Hintergrund hört man natürlich alle möglichen Tiere, vor allem Löwen – eine Riesengaudi! Und für mich als Südafrikaner etwas ganz Besonderes.
So wie Ihr Ensemble, dem Sie den Namen „The Gentleman’s Band“ verpasst haben …
… ein Dreamteam von Musikern, auf das ich sehr stolz bin. Freies, lustiges Musizieren ohne Grenzen und – sehr wichtig – ohne Menschen, die sich wichtig nehmen. Auf den Namen kam ich, als ich erfuhr, dass im 18. Jahrhundert die Männer des Adels, die ja unglaublich viel Freizeit hatten, immer eine Blockflöte bei sich tragen mussten. In Hawkins The General History and Science of Music aus dem Jahr 1776 steht das genau so! Die Damen durften das nicht, die saßen am Cembalo.
Warum?
Ich kann Ihnen leider keine intellektuelle Antwort geben. Es ist so banal: Die Gesellschaft fand es obszön, wenn eine Frau eine Pfeife im Mund hatte – heute ist dies zum Glück anders.
Wirklich?
Sie haben Recht. Es gibt eine unglaubliche Sexualisierung des Klassikbetriebs. Einstiegsqualifikation scheinen heute nur die Schönheit und der Sexappeal zu sein und nicht die Begabung oder die Musikalität. Darüber könnten Sie doch auch mal einen Artikel schreiben!