Startseite » Interviews » „Denjenigen, der einfach alles kann, gibt es nicht“

Interview Stephan Zilias

„Denjenigen, der einfach alles kann, gibt es nicht“

Stephan Zilias konnte viel von den großen Dirigenten lernen. Jetzt ist er selbst Generalmusikdirektor und zog dafür mit Familie nach Hannover.

vonHelge Birkelbach,

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, auch in schwierigen Zeiten. Vielleicht gerade dann. Als Stephan Zilias im Februar erfuhr, dass er ausgewählt wurde, zur anstehenden Spielzeit 2020/21 als Nachfolger von Ivan Repušić die Staatsoper Hannover zu leiten, rumorte es bereits. Ein Virus machte sich breit, aber es schien noch weit weg. Dann stand der Umzug in die Landesmetropole Niedersachsens an, mitten im Lockdown.

Sie sind bereits nach Hannover umgezogen?

Stephan Zilias: Ja, im Juni. Ein Umzug mit zwei Kindern ist natürlich eine logistische Herausforderung. Im Februar kam die Entscheidung, dass ich die Aufgabe an der Staatsoper übernehmen kann, das war eigentlich schon damals knapp. Was ich an Hannover mag: Die Stadt ist sehr fahrradtauglich. Zu meiner neuen Arbeitsstätte sind es etwa sieben Kilometer, das ist mit dem Rad gut zu schaffen.

Von der Deutschen Oper Berlin zur Staatsoper Hannover. Wie fühlt sich das an?

Zilias: Die Oper in Hannover hat eine große Tradition. Angefangen mit Agostino Steffani, der als Hofkapellmeister wirkte, über Georg Friedrich Händel, den bedeutenden Violinisten und Konzertmeister Joseph Joachim bis zu modernen Komponisten wie Hans Werner Henze, dessen Oper „Boulevard Solitude“ 1952 hier uraufgeführt wurde. Das Staatstheater steht mitten in der Stadt, ein sehr repräsentativer Bau. Dadurch, dass Musikerinnen und Musiker von Zeit zu Zeit in anderen Orchestern aushelfen, kenne ich einige schon von der Deutschen Oper.

Eine gute Voraussetzung für den Start. Es heißt, dass Sie sich immer eine Übersicht mit den Namen der Musiker samt Fotos anfertigen lassen, wenn Sie mit einem Orchester neu zusammenarbeiten.

Zilias: Ich versuche immer so schnell wie möglich, alle Namen der Musikerinnen und Musiker zu lernen – anhand von Fotos oder Namenslisten. Ich konnte das Orchester im vergangenen Jahr bereits bei meinem Debüt hier am Haus kennenlernen, als wir die Wiederaufname von „Salome“ erarbeitet haben. Später folgten noch zwei Aufführungen eines Sinfoniekonzerts. Das Orchester ist ja kein anonymer Haufen, der sich gefälligst im Graben verkrümelt, seinen Stiefel schiebt und dann wieder nach Hause geht. Es geht um den Erfolg des Ganzen. Dieses schöne Gefühl durfte ich gerade wieder erleben. Einige der Musikerinnen und Musiker waren bei unserer „Summer Session“ dabei, als wir im ­Gartentheater Herrenhausen unter anderem das Musik­theater „Le vin herbé“ aufgeführt haben.

Wie würden Sie die Klangkultur des Niedersächsischen Staatsorchesters beschreiben?

Zilias: Das Orchester hat eine ausgeprägte Tradition im Stil des großen deutschen romantischen Repertoires. Die technische Überlegenheit ist deutlich spürbar. Man kann also auf eine gewachsene Klangkultur aufbauen, darauf freue ich mich sehr. Bei „Salome“ war es nun so, dass man allein wegen der großen Besetzung immer den Klang auflichten muss, damit es durchhörbar bleibt. Egal was wir spielen: Mir ist dieser Aspekt sehr wichtig.

Nun können nicht nur die Musiker vom Dirigenten lernen, es gibt auch den umgekehrten Weg. Würden Sie zustimmen?

Zilias: Ja, absolut. Als Dirigent kann ich unendlich viel lernen, auch von anderen Kollegen. An der Deutschen Oper konnte ich diversen Gästen assistieren, habe bei Proben zugehört, sie manchmal auch übernommen und mich ausgetauscht. Was man zum Beispiel in der Probenarbeit lernt: Was sind sinnvolle Kommentare, was ist überflüssig? Eine Erkenntnis aus der schweren musikfreien Zeit war, dass man als Dirigent demütig anerkennen muss, dass wir ohne die Musiker nichts sind. Dirigenten sind letztlich Menschen mit einem lächerlichen Holzstab. Ohne die Musiker sind wir unserer Arbeitsgrundlage beraubt.

Stephan Zilias
Stephan Zilias

Wie haben Sie die Zeit während des Lockdowns genutzt?

Zilias: Die erzwungene Spielpause bot die einmalige Chance, mich intensiv um die Kinder zu kümmern. So viel Zeit werde ich absehbar nicht mehr mit ihnen verbringen können. Wir haben zusammen gesungen, Puzzles gelegt, sind bei gutem Wetter immer raus in den Schlosspark oder auf den Spielplatz gegangen. Und mein Großer hat Radfahren gelernt! Ich habe auch Partituren studiert. Aber wer Kinder hat, der weiß, wie sehr man sich bei Radau konzentrieren kann: wenig bis gar nicht. Aber das war okay.

Wenn Sie sich mit dem Libretto einer Oper beschäftigen: Wie würden Sie danach die Figuren beschreiben?

Zilias: Ich glaube, das ändert sich, je nachdem, wie die Inszenierung läuft, welche Idee die Regisseurin oder der Regisseur von dem Stück mitbringt. Das Schöne am Musiktheater ist ja, dass es eine Banalisierung der Figuren nicht gibt. Es gibt keine nur Guten oder nur Bösen, wenn das Stück wirklich interessant ist. Es kann sogar so sein, dass Personen, mit denen man am Anfang Mitgefühl hatte, einem zusehends fremder werden. Bei manchen Stücken wird der erste Eindruck im Verlauf der Proben dagegen noch verstärkt. Zum Beispiel bei „Wozzeck“, mit dem ich mich im Laufe der Jahre immer wieder beschäftigt habe. Figuren wie der Hauptmann oder der Doktor wurden immer noch viel schlimmer. Wozzeck wurde immer mehr zum armen Schwein. Ob nun Oper, Theater oder Musik: Die Kunst lässt der Halbwahrheit immer einen großen Raum. Sie kann auch mal unehrlich sein. Sie provoziert Fragen. Wenn ich einen Stoff verstehen will, lasse ich mich eher von der Musik leiten. Nehmen wir zum Beispiel „Figaro“. Bei der Musik, die Mozart für Susanna geschrieben hat, ist mir vollkommen klar, dass er diese Figur sehr geliebt haben muss. Davon lasse ich mich leiten. Die musikalische Aussage ist so stark, dass man dagegen gar nicht ankommt.

Was hat Sie am Wechsel nach Hannover gereizt?

Zilias: Zunächst ist es eine anspruchsvolle Aufgabe, in die Chef­position zu wechseln, und das gleich an einem so bedeutenden Haus wie Hannover. Das macht mich stolz, das macht die Aufgabe aber auch nicht leichter (lacht). Ich kann hier wesentlich mehr Verantwortung übernehmen, Freiräume genießen, als ich das in meiner Kapellmeisterfunktion vorher gehabt hätte, ohne diese Aufgabe schmälern zu wollen. Ich habe ein hervorragendes Orchester und ein Team, mit dem ich mich gut verstehe, einen gut besetzten Opernchor und ein tolles Sängerensemble, die mit Feuereifer dabei sind.

Eine solche Tätigkeit ist auch mit administrativen Aufgaben verbunden. Was konnten Sie von Donald Runnicles lernen?

Zilias: Ich habe von ihm und allen GMDs lernen können, mit denen ich zusammenarbeiten durfte. Jeder hatte seine besonderen Qualitäten, ob das nun das besondere Geschick im Umgang mit der Politik betraf, Menschenkenntnis und -führung oder programmatisch-musikalische Ideen. Denjenigen, der einfach alles kann, gibt es nicht, jeder hat spezielle Stärken und Schwächen. Ich bin mit der Aufgabe ja auch nicht alleingelassen, es gibt eine Orchesterdirektion, mir wird ein Assistent zur Seite gestellt und so weiter. Aber machen wir uns nichts vor: Das ist ein absoluter Fulltime-Job. Und das soll auch so sein. Reisende Dirigenten und Dirigentinnen können das eventuell anders gestalten, aber für mich wäre das der völlig falsche Weg. Als Generalmusikdirektor muss und will ich vor Ort sein und mich kümmern. Hannover ist nun mein Zentrum.

Abgesehen vom Staatstheater und anderen Spielstätten: Was ist Ihr Lieblingsort in Hannover?

Zilias: Zunächst einmal: unser Garten am Haus. Für die Kinder war er das schlagende Argument für den Umzug! Die haben sich sofort wohlgefühlt. Künftig wird es sicherlich der Zoo werden. Und die nahen Gewässer. Ich persönlich liebe Wasser und Seen. Wir werden an die Ricklinger Kiesteiche fahren und an die Leine. Egal wo ich war: Der erste Blick ging immer in Richtung Wasser.

Termine

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!