Eine Brille kann ein Statement sein, man muss es nur richtig deuten. Nicht brav und streberhaft, sondern präzise und klarsichtig wirkt der finnische Shootingstar im Interview, terminiert zwischen der Probenarbeit in der Berliner Philharmonie und dem Besuch der „Zauberflöte“ in der Deutschen Oper.
Auf Ihrem Debütalbum bei der Deutschen Grammophon kombinieren Sie drei Mozart-Sinfonien mit eigenen Klavierimprovisationen. Was ist die Idee dahinter?
Tarmo Peltokoski: Das Label wollte etwas anderes als „nur“ Sinfonien. Wir haben darüber nachgedacht: Was ist das Persönlichste, das ich zu bieten habe und das auch ein bisschen meine musikalische Genese erzählt? Da das Improvisieren am Klavier etwas ist, das ich schon immer gerne gemacht habe, bot dies eine wirklich schöne Gelegenheit, Mozart zusammen mit der Kammerphilharmonie Bremen weiterzudenken. Und ich hoffe, dass das die Leute glücklich macht. Zu jeder der drei Sinfonien gibt es eine Improvisation. Das sind kurze Einwürfe, im Durchschnitt fünf Minuten lang. Sie sind sehr humorvoll, genau darum geht es. Ich probiere verschiedene Stile aus und man kann diverse Anspielungen und Zitate hören. Auf jeden Fall hatte ich eine Menge Spaß dabei. Es gibt auch einige Insiderwitze.
Was sind das für Witze?
Peltokoski: Nun, ich möchte nicht zu viel erzählen. Ich hoffe, dass die Leute es einfach amüsant finden. Wenn sie gerne Jazz hören, werden sie auch fündig. Da ist ziemlich viel jazziges Zeug dabei. Ich bin kein Experte, aber ich habe den größten Respekt vor Musikern, die ganz andere Stile beherrschen.
Sie waren vierzehn Jahre alt, als Sie bei einem Meisterkurs von Jorma Panula zum ersten Mal ein Orchester dirigierten. Es war schrecklich, sagten Sie.
Peltokoski: Natürlich war es schrecklich! (lacht) Ich habe es ja zum ersten Mal gemacht. Für ein vierzehnjähriges Kind – und ich sage bewusst Kind –, das vor Erwachsenen und professionellen Musikern stand, war das tatsächlich beängstigend. Zudem war ich auch noch extrem schüchtern. Erwachsene, die es zum ersten Mal versuchen, haben ja auch Angst; aber wie fühlt es sich wohl für einen schüchternen Schüler an? Es war eine wirklich absurde Erfahrung. Ich fühlte mich wie in einem Film von Fellini. Aber man gewöhnt sich an alles Mögliche, weil man es einfach so oft gemacht hat. Wenn man sich irgendwann im Flow befindet, kann man sich sogar wohl dabei fühlen.
Wie lange hat das bei Ihnen gedauert, in den Flow zu kommen?
Peltokoski: Drei oder vier Jahre. Eine Zeit lang mochte ich das Dirigieren überhaupt nicht, weil ich darin so schlecht war. Aber ich wusste einfach, dass ich Musik genug liebte, um es weiterhin zu tun. Und irgendwann hatte ich tatsächlich etwas gelernt. Das erste Stück, das ich damals dirigiert habe, war übrigens „Die Zauberflöte“ von Mozart. Ich liebe sie bis heute.
Und dann kam Ihre wohl größte Liebe auf Sie zu: Richard Wagner.
Peltokoski: Das war sogar noch früher. Ich war elf Jahre alt, als ich Wagner zum ersten Mal hörte. Da lag plötzlich ein ganzes Universum vor mir! Meine Eltern besorgten mir Klavierauszüge und ich übte „Siegfried“. Aber auf dem Klavier ließ sich die Großartigkeit seiner Werke natürlich nur erspüren. Auch wenn ich ein toller Pianist gewesen wäre, was ich nicht war, hätte sich nichts daran geändert. Im Endeffekt hat mich diese Erfahrung zum Dirigieren gebracht.
Das Hintergrundbild Ihres Handys ziert das Cover einer Gesamteinspielung des »Rings«, Karajans berühmte Einspielung, die zwischen 1966 und 1970 entstand.
Peltokoski: Ja, ich habe sogar noch das gelbe Logo der Deutschen Grammophon gescannt und unten mit Photoshop eingefügt, weil es fehlte. Karajans Ring ist nun mal die beste Studio-Einspielung.
Was macht die Interpretation von Karajan so einzigartig?
Peltokoski: Karajan wählte lyrischere Stimmen und gestaltete den Zyklus erstaunlich schlank und durchsichtig, fast kammermusikalisch. Das ist ganz ungewöhnlich für jemanden, der eher für Pathos und den großen Auftritt bekannt ist. Es fehlt manchmal an Dramatik, aber es ist einfach wunderschön. Und das genieße ich. Außerdem mag ich die berühmten Decca-Aufnahmen von Sir Georg Solti, die er mit den Wiener Philharmonikern von 1958 bis 1965 aufgenommen hat. Solti nimmt im Allgemeinen die Tempi etwas schneller. Und dann gibt es noch Karl Böhms Version aus Bayreuth, aber das sind Liveaufnahmen, und die sind wirklich extrem schnell. Und sehr laut! Fast chaotisch, aber super aufregend.
So würden Sie den »Ring« aber nicht dirigieren, oder?
Peltokoski: Eher nicht. Und zwar aus ganz praktischen Gründen. Man muss die Sänger und den Text hören, sonst macht es keinen Sinn. Durchgehend laut ist nicht durchgehend gut. Und dann ist da noch das Problem, dass Wagners Opern ziemlich lang sind. Egal wie sehr man sie als Dirigent, Musiker oder Zuhörer liebt, sie sind sehr lang. Ich meine, wenn man viereinhalb Stunden Zeit hat, um „Die Götterdämmerung“ zu erleben, kann die menschliche Aufmerksamkeitsspanne es einfach nicht konstant aushalten. Sie müssen also wissen, was wichtig ist und was nicht. Man muss wirklich wissen, was den Höhepunkt darstellt und was für das Drama und die Philosophie der Stücke wichtig ist.
Was ist die wichtigste Grundhaltung, um an Wagner nicht zu scheitern?
Peltokoski: Selbstbeherrschung, auf jeden Fall. Man möchte ständig völlig verrückt werden, denn genau das macht die Musik mit einem. Aber es funktioniert nicht mit Verrücktheit. Für einen jungen Dirigenten ist Bernstein die letzte Person, die man nachahmen sollte. Denn er war dafür berüchtigt, dass er sich nicht wirklich beherrschte, sondern seinen Gefühlen freien Lauf ließ. Wenn ich beim Dirigieren von Wagner in meinen Wagner-Gefühlen schwimme, macht das überhaupt keinen Sinn. Ich meine, das Orchester wüsste nicht, was es tun soll, und das Publikum hätte auch keine Freude daran.
Sie waren noch Student, als Sie 2020 die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen zum ersten Mal leiteten. Mittlerweile sind Sie Erster Gastdirigent des Orchesters und bezeichnen es als Ihre »Familie«, sogar als »Liebe meines Lebens«. Woher kommt diese enge Verbindung?
Peltokoski: Nun, diese Musikerinnen und Musiker sind wirklich außergewöhnlich. Ich treffe viele Menschen, Solisten, Zuhörer, Musikliebhaber, die mir sagen, dass die Kammerphilharmonie ihr Lieblingsorchester ist. Es ist eine Gruppe ganz besonderer Menschen, denen all meine Liebe gilt. Sie sind nicht wie alle anderen. Und ich kenne sie persönlich sehr gut. Mit vielen der Musiker verbindet mich eine enge Freundschaft. Ich war sehr jung, als ich sie kennenlernte und der Zugang war sofort da. Das ist bis heute so geblieben. Ich mag diese ganze Umgebung und die demokratischen Strukturen des Orchesters. Es wird viel mehr geredet, wir sind ständig im Dialog, was natürlich sehr gut ist. So können wir tief in die Musik eintauchen und Neues entdecken. Die Proben sind sehr gründlich, aber auch anstrengend und lang. Und alle reden. Das Feedback hilft mir wiederum, mit anderen Orchestern besser zu kommunizieren und sie zu überraschen.
Sie sind jetzt 24 Jahre alt. Fühlen Sie sich alterslos oder hat diese doch nachmessbare Zahl eine Bedeutung für Sie?
Peltokoski: Sicherlich habe ich das Gefühl, dass ich schon seit einiger Zeit auf dieser Welt bin und älter werde. Es gibt nun mal keine Möglichkeit, jünger zu werden. Ich habe mein ganzes Leben der Musik gewidmet, das ist eine recht lange Zeit, in der ich viele Erfahrungen sammeln durfte. Und natürlich hoffe ich, dass ich das noch viel, viel länger tun kann. Mein Terminkalender ist voll, ich weiß jetzt schon, wo ich in den nächsten drei oder vier Jahren auftreten werde. Und das zweite Album befindet sich auch schon in der Vorbereitung. Ich habe gewissermaßen gar keine Zeit, über mein Alter nachzudenken. Aber auch wenn mein Kalender sehr weit im Voraus geplant ist, kann ich nicht wissen, welche Überraschungen auf mich zukommen werden. In jedem Fall gibt es sehr viel Musik, die ich noch gar nicht richtig kenne. Darauf freue ich mich ungemein. Lerne ich die Musik kennen, lerne ich auch mich kennen.
Peltokoski: Mozart Symphonies
Mozart: Sinfonien Nr. 35 D-Dur, Nr. 36 C-Dur & Nr. 40 g-Moll
Peltokoski: Improvisationen
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Tarmo Peltokoski (Klavier & Leitung)
Deutsche Grammophon