Thomas Guggeis heißt der neue Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt, die soeben zum siebten Mal als „Opernhaus des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Der dreißigjährige Bayer war zunächst Korrepetitor an der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Es folgten Stationen als Kapellmeister an der Staatsoper Stuttgart und 2020 dann die Berufung zum Berliner Staatskapellmeister. Er arbeitet bereits mit vielen großen internationalen Orchestern zusammen, besonders eng dabei mit dem „Orchester des Wandels“, das sich für Nachhaltigkeit und Klimaschutz besonders auch im Musikbetrieb einsetzt.
Unter all den Einspringergeschichten, die in der Opernwelt erzählt werden, ist Ihre eine fast schon mustergültige: Fünf Stunden vor der Generalprobe wurden Sie gefragt, ob sie die Premiere der „Salome“ an der Staatsoper Unter den Linden übernehmen könnten, das war 2018. Im Publikum saß damals Bernd Loebe, der Intendant der Oper Frankfurt. Hat er Sie noch vom Berliner Opernhaus aus angerufen und Ihnen das Amt des GMD angeboten?
Thomas Guggeis: Nein, weit entfernt! Er hat sich wohl eher heimlich sein Bild gemacht und auch noch andere Vorstellungen angeschaut. Erst nach einer Vorstellung dann in Stuttgart, wo ich Kapellmeister war, kam er auf mich zu. Andere Opernhäuser hatten sich jedenfalls früher bei mir gemeldet. Aber ich schätze dieses besonnene Vorgehen sehr, da bleibt immer Zeit für ein Reflektieren und ein gutes Kennenlernen.
Immerhin wird Bernd Loebe zitiert mit dem Satz: „Von einem singulären Talent zu sprechen, ist untertrieben.“ Welches Talent erkennen Sie denn selbst an sich?
Guggeis: Ich glaube, ich lerne sehr schnell. Zudem hinterfrage ich alles, was ich tue. Und ich ziehe dann Schlüsse, wie ich besser werden kann und wie etwas spannender gestaltet werden kann. Wie ich einem Stück und allen, die daran mitwirken besser gerecht werden kann.
In die Wiege gelegt wurde Ihnen all das ja nicht. Der Vater Brauereidirektor, die Mutter Steuerfachangestellte. Der Name allerdings hat schon etwas Musikalisches: Der „Guggeis“ ist der Kuckuck in der Mundart des Bayerischen Waldes. Nicht jeder hat ein Signatur-Intervall, bei Ihnen eben die Kuckucksterz …
Guggeis: Wohl wahr, so habe ich das noch gar nicht gesehen. Dass ich sogar ein eigenes Intervall habe! Daheim spielte Musik keine Rolle, aber immerhin war ein Onkel ein bekannter Schlagzeuger und ein Opa war ein Opern-Fan. Ich selbst habe früh mit Schlagzeug begonnen und dann erst mit zehn mit dem Klavier. Das allerdings war dann der Urknall für mich. Da bündelten sich dann in der Musik alle meine kreativen Kräfte.
Sie begannen Ihre Laufbahn als Korrepetitor an der Berliner Staatsoper Unter den Linden und wurden dort Assistent Ihres Mentors Daniel Barenboim. Auch Ihr Vorgänger als Frankfurter GMD, Sebastian Weigle, war zunächst Hornist unter Daniel Barenboim in der Staatskapelle Berlin. Können Sie im Frankfurter Orchester eine Art Barenboim-Echo spüren?
Guggeis: Sebastian war ja nicht nur Hornist, er war auch Staatskapellmeister in Berlin. Das ist eine schöne Parallele, zwei Ex-Staatskapellmeister, auch wenn dreißig Jahre dazwischen liegen. Ich habe hier in Frankfurt ein Orchester vorgefunden, das ungeheuer flexibel ist und offen für Impulse. Das Orchester saugt alles auf, was man anbietet, und macht dann etwas Eigenes daraus. Das ist etwas, das auch Barenboim immer wahnsinnig wichtig fand. Es gibt hier beides: Eine Orchester-Identität mit einer Haltung zu stilistischen Fragen und trotzdem eine große Flexibilität und Offenheit.
Sebastian Weigle setzte auf das große deutsche Repertoire, auf Richard Strauss, auf Wagner und Korngold. „Tannhäuser“ und „Elektra“ werden Sie in Ihrer ersten Spielzeit dirigieren, aber auch Opern von Mozart, Verdi und Ligeti. Wohin geht die musikalische Reise mit Ihnen?
Guggeis: Ich werde jedenfalls die Frankfurter Spieltraditionen fortsetzen, und da gehören Wagner und Strauss klar dazu. Bei Mozart habe ich ganz deutlich gesagt: Das wird jetzt Chefsache. Zudem werde ich mich kontinuierlich mit italienischem Repertoire beschäftigen – das ist etwas, wo man sehr schön zusammen eine Sprache entwickeln kann. Und auch das wird sich durchsetzen in den nächsten Jahren: Zeitgenössisches und Klassische Moderne. Was auch jedenfalls eine Frankfurter Spezialität bleiben wird: spannende Neuentdeckungen, die man noch nie oder nur selten gehört hat oder die man hier nun in neuen Konstellationen erleben wird.
Ihr Einspringen für „Salome“ 2018 resultierte ja aus einem eskalierten Streit zwischen dem Dirigenten Christoph von Dohnányi und dem Regisseur Hans Neuenfels. Wie weit lehnen Sie sich denn selbst als Dirigent aus dem Fenster, wenn es um Regiekonzepte und Inszenierungsideen geht?
Guggeis: So weit wie möglich, aber eben mit ausgestreckten Armen. Und nicht mit Fäusten. Ich treffe mich so früh wie möglich mit den Regisseurinnen oder Regisseuren und versuche, auf gemeinsame Nenner zu kommen. Ich habe dann lange Tage auf den szenischen Proben, denn mein Traum von Musiktheater ist, dass es einen symbiotischen Effekt gibt zwischen Bühne und Graben. Nicht lediglich Koexistenz. Und bloß nicht – wie es immer häufiger vorkommt – auf Kriegsfuß.
Wo standen Sie denn eigentlich selbst, damals im „Salome“-Streit?
Guggeis: Da prallten einfach zwei Giganten ihres jeweiligen Fachs aufeinander, die ja vor vielen, vielen Jahren hier in Frankfurt zusammengearbeitet haben. Und an diese Zeit wollte man in Berlin eben anknüpfen. Ich kann nur sagen: Ich hatte zu Hans Neuenfels bis zu seinem Tod einen sehr freundschaftlichen Draht, er war immer wahnsinnig großzügig und herzlich zu mir. Und mit Christoph von Dohnányi geht es mir genauso. Er war jetzt eigens zu einem Konzert nach Salzburg angereist, hat mir in der Garderobe wertvolles Feedback gegeben. Er hat mir und der Oper Frankfurt einen Großteil seiner Notenbibliothek vermacht, er möchte nur den absolut innersten Kreis von Partituren behalten. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.
Anstatt über Musik hätten wir hier auch über eine ganz andere Materie sprechen können. Sie hätten mir sicher erklären können, was die Schrödinger-Gleichung besagt und wie ein Hilbert-Raum aussieht, oder?
Guggeis: Ob ich Ihnen heute noch so genau sagen kann, wie ein Hilbert-Raum aussieht, weiß ich nicht. Ich habe das alles damals mit großem Interesse und großer Freude betrieben …
Wir sprechen über Physik, genauer: Quantenfeldtheorie. Sie studierten sie in München.
Guggeis: Ich habe den Bachelor vor knapp zehn Jahren gemacht und finde das Thema nach wie vor spannend. Wenn es neue Entdeckungen dazu gibt, lese ich die populärwissenschaftlichen Publikationen. Ich finde es auch nett, mich darüber zu unterhalten, aber es ist für meine eigentliche Arbeit nur ein Gimmick. Es mag schon sein, dass man Rückschlüsse ziehen kann über eine Person, wenn man seine Fachwahl kennt – bei mir also Musik und Physik. Aber letztlich spielt das inhaltlich keine Rolle.