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Interview Vilde Frang

„Ich war alles, garantiert aber kein Wunderkind“

Plakative Superlative und Schubladen mag Vilde Frang zwar gar nicht. Und dennoch: Die Norwegerin gehört zweifellos zu den besten Geigerinnen ihrer Generation

vonChristoph Forsthoff,

Mag es draußen auch noch kühl sein, Vilde Frang braucht erst einmal frische Luft: Also das Studio-Fenster geöffnet – und obwohl die Geigerin nur ein leichtes Oberteil trägt, zeigt sie kein Frösteln und macht auch keine Anstalten, die Fensterflügel wieder zu schließen. Typisch Norwegerin eben…

Zum Einstieg ein Zitat von Ihnen: „Musik stellt permanent Fragen, auf die man als Interpret Antworten finden muss“ – finden sie immer Antworten?

Manche Antworten habe ich noch nicht gefunden, dafür wird es noch ein paar Jahre brauchen, vielleicht auch Jahrzehnte. Doch sobald du eine Antwort gefunden hast, tut sich eine neue Frage auf: Du hast also das Problem nicht wirklich gelöst. Vielleicht sollten wir uns daher zu verschiedenen Zeiten unseres Lebens bestimmte Fragen aufs Neue stellen.

Warum das?

Wir verbringen ja unser Leben mit diesen Komponisten – und so wie sich unsere Beziehung zu ihnen verändert, so verändern sich auch die Bedeutung der Antworten und Fragen. Als Vierjährige war die Bedeutung eine ganz andere als nun mit 29 Jahren oder eines Tages mit 50. Für mich ist das eine ewige Suche – und trotzdem hoffe ich, dass irgendwann der Tag kommen wird, wo ich alle Antworten gefunden habe: Dann hätte ich als Musikerin meine Erfüllung gefunden.

Welche Antworten haben Sie denn noch nicht gefunden?

Es gibt Werke, die für mich wie eine Bibel sind, denen gegenüber ich einen gewaltigen Respekt habe und wo Menschen sagen: Halte dich zum jetzigen Zeitpunkt von diesem Stück fern, denn du solltest es nicht anrühren, bevor du nicht durch gewisse Krisen gegangen bist und weißt, was Leben eigentlich bedeutet.

Man kann sich das Leben auch schwer machen …

… in der Tat ist das ein gefährlicher Denkansatz. Und dennoch: Beethovens Violinkonzert etwa ist für mich ein wenig wie die Mona Lisa – du siehst das Lächeln, aber du begreifst ihr Lächeln nicht wirklich: Lächelt sie mir zu oder lächelt sie über mich? Ich bin noch nicht wirklich so weit, dass ich das verstehen könnte – und so ähnlich ist es mit Beethoven.

Inwiefern?

Während ich noch mit mir und meinem Charakter kämpfe, steht er über den Dingen. Und da kann es sehr schwierig sein, die Balance zu finden. Es braucht einfach Zeit, um diese zu finden, denn sie ereignet sich in deinem Inneren.

Vilde Frang
Vilde Frang © Marco Borggreve/WarnerClassics

Wenn Sie aber nun jedes Mal aufs neue Fragen stellen, auch an wohl bekannte Werke, finden Sie da wirklich immer neue Antworten?

Es sollte kein Selbstzweck sein, eine neue Antwort zu finden, etwas Neues oder auch Anderes in einem Werk zu entdecken: Damit kommt man nicht wirklich weit. Bin ich von etwas überzeugt und habe das Gefühl, in einer Mission für dieses Musikstück unterwegs zu sein, für diesen Komponisten und das Werk zu brennen: Dann sollte es in dem Moment keine Fragen mehr geben. Dann bin ich ganz Musik – und wenn ich das erreiche, so ist das für mich der perfekte Moment.

Ist es Ihnen schon einmal mit einem Werk so ergangen?

Mit dem Britten-Konzert habe ich mich diesem Zustand sehr nahe gefühlt: Das war und ist eine Mission für mich. Ich habe das Stück nicht mehr nur allein aufgeführt, sondern es ist zu einem Teil meiner Selbst geworden – das ist der Seelen- und Bewusstseinszustand, den ich mir immer wünschen würde (lacht).

Nicht zuletzt ob dieses Einswerdens mit der Musik werden Sie häufig als „Jahrhunderttalent“ gehandelt – belasten Sie solche Vorschuss­lorbeeren?

Ich denke, dass ich sehr viel besser spiele, wenn die Leute nicht so nett zu mir sind (lacht). Solch positive Kritiken setzen mich nur unter Druck und das entfernt mich auch von meiner eigentlichen Persönlichkeit. Nein, das ist nicht mein wirkliches Ich, das dort abgebildet wird.

Doch die Menschen verpassen anderen nun einmal gern bestimmte Etiketten …

… um sie dann in eine Schublade zu stecken – ja, ich weiß es wohl! Doch die sind so oberflächlich und oft auch falsch: Als ich klein war, haben die Leute gesagt, ich sei ein Ausnahmetalent oder Wunderkind – ich war alles, aber garantiert kein Wunderkind!

Vilde Frang
Vilde Frang © Marco Borggreve/WarnerClassics

Warum mögen Sie dieses Label nicht?

Ein Wunderkind ist jemand, der all die großen Violinkonzerte schon früh perfekt spielt – Menuhin war solch ein Wunderkind, und es hat sicher auch viele andere gegeben wie Anne-Sophie Mutter, Sarah Chang oder Midori. Meine Kindheit aber war geradezu märchenhaft, denn ich bin in einer sehr friedlichen Umgebung in Norwegen aufgewachsen und habe eine wunderbare Erziehung genossen. Ich habe viel gelesen, bin viel in die Oper und ins Theater gegangen und auch sonst keineswegs isoliert vom normalen Leben groß geworden.

Immerhin standen sie schon als Zwölfjährige mit Mariss Jansons auf der Bühne.

Als ich von ihm damals als Solistin für ein Konzert mit den Osloer Philharmonikern engagiert wurde, haben die Leute natürlich gesagt: Das ist jetzt der Beginn einer Wunderkind-Karriere – doch tatsächlich hat es viele Jahre gedauert, bis meine Karriere Realität geworden ist, langsam, aber mit viel Bedacht. Und ich bin wirklich dankbar, dass es kein großer Knall gewesen ist, sondern ich in Ruhe nach Deutschland gehen und studieren konnte und Zeit hatte zu reifen: Das war das, was ich gebraucht habe.

War das wirklich eine ganz normale Kindheit? Schließlich waren Sie ja zwei Jahre zuvor auch schon mit dem Norwegischen Rundfunk­orchester aufgetreten.

Mit dem intensiven Üben habe ich wirklich nicht angefangen, bevor ich mit 15 die Schule beendet hatte. Als Elfjährige hatte ich Anne-Sophie Mutter getroffen und sie wurde für mich zu einer Art Mentorin: Ich habe ihr Aufnahmen von mir geschickt und ihr geschrieben – und als ich 15 wurde, hat sie mich dann nach München zu einem Vorspiel eingeladen und mir geraten, die Schule zu beenden und nach Deutschland zum Studium zu gehen.

Ein sehr früher Abgang von der Schule…

… doch mir ist sehr schnell klar geworden, dass ich mich künftig wirklich voll und ganz der Musik verpflichten wollte. Zuvor hatte ich nie Tonleitern geübt, ich war sehr faul und stur und dachte: Tonleitern sind langweilig, die brauchst du ohnehin nicht. Doch von da an habe ich angefangen, mich intensiv mit all den Grundlagen auseinanderzusetzen – für mich und meine Technik sind das entscheidende Jahre gewesen.

Inwiefern?

Damals habe ich sehr viel verändert: Ich bin sehr ernsthaft an die Sache herangegangen – und das hatte sehr viel mit Frau Mutter zu tun, denn mich hat ihre Fokussierung, ihre Genauigkeit und Disziplin ungeheuer beeindruckt, ja fasziniert. Später hat sie mir dann geraten, alles etwas entspannter anzugehen, etwas weniger ernsthaft und stattdessen mehr zu genießen (lacht) – da war ich schon überrascht, dass dieser Vorschlag gerade von ihr kam.

Was war denn das Prägendste, das Sie von Anne-­Sophie Mutter gelernt haben?

Dass sie mich ermutigt hat, meinem eigenen Bauchgefühl zu vertrauen, meinen Instinkten zu folgen und meine eigene Stimme zu finden: Immer wieder hat sie betont, wie wichtig das sei. Bisweilen bin ich mir ihr auf Tour gewesen, und dann hat sie mich in Museen geführt wie das Guggenheim in New York oder in die Neue Pinakothek in München: Sie wollte, dass ich meinen Horizont erweitere und die Musik auch in einem größeren Zusammenhang betrachte, in welcher Beziehung etwa Debussy und Fauré zu Claude Monet standen. Für mich war das damals wie eine große Vitaminspritze.

Bis heute spielen Sie die Violine von Jean-Baptiste Vuillaume, die Ihnen einst der Freundeskreis der Anne-Sophie -Mutter­-Stiftung zur Verfügung gestellt hat …

… ja – inzwischen habe ich das Instrument gekauft. Diese Geige ist wie ein Boomerang, denn sie ist immer wieder zu mir zurückgekommen. (lacht) Über die Jahre habe ich verschiedene Instrumente gespielt: eine Bergonzi-Violine, für einige Jahre eine Stradivari, auch eine Guadagnini habe ich versucht – und doch hat es mich immer wieder zu Jean-Baptiste gezogen. Es ist ein sehr lyrisches Instrument und besitzt zugleich eine große Persönlichkeit: Es kennt mich sehr gut und ich kenne dieses Instrument wirklich gut – auch seine Grenzen. Manchmal muss ich mit ihm auch kämpfen, es wie eine Kuh behandeln und jeden Tag melken, um wirklich alle Dimensionen seines Klangkörpers heraus zu kitzeln. Sie ist wirklich eine sehr interessante Kreatur, meine Geige (lacht).

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