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Interview Zubin Mehta

„Gnädige Frau, ich muss weiter zur Probe!“

Ruhe und Zeit? Nein, die hat Zubin Mehta auch im Alter nicht. Der Dirigent ist ständig in Sachen Musik unterwegs

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Stets hat Zubin Mehta das Image des unkomplizierten Glamourboys, Bonvivants und Klangzauberers umweht. Vielleicht, weil er mit einer ehemaligen Hollywood-Schauspielerin verheiratet ist und in Kalifornien in dem Haus wohnt, das einst Steve McQueen gehörte. Doch mit dem Dirigenten verbindet sich auch bodenständiges Handwerk und Traditionsbewusstsein – andernfalls würde seine internationale Karriere wohl kaum bis heute andauern.

Sie klingen wie Daniel Barenboim!

Zubin Mehta: Ja! Ich bin doch auch Daniel Barenboim, oder?

Sie haben die gleiche Stimme, den gleichen Tonfall.

Mehta: Sehr viele Leute verwechseln uns, manchmal veralbern wir die Menschen damit.

Sie beide kennen sich seit vielen Jahren. Stichwort 1969, Schuberts „Forellenquintett“ … 

Mehta:  … mit Jacqueline (du Pré) am Cello, Daniel am Klavier, Itzhak (Perlman) und Pinchas (Zukerman) an der Violine und Bratsche. Damals spielte ich noch Kontrabass. Ich war sogar Trauzeuge bei Daniels Hochzeit 1967 mit Jacqueline.

Abgesehen von der Stimmenähnlichkeit: Welche Gemeinsamkeiten gibt es noch zwischen Ihnen beiden?

Mehta: Die Aufrichtigkeit der Musik gegenüber. Das ist keine einfache Antwort, aber es ist wirklich so: Musik war uns beiden immer wichtiger als wir selbst.

Und wie ist es mit dem Glauben, dass Musik Frieden bringen könnte?

Mehta: Wir glauben beide, dass die Musik viel stärker ist, als die Menschen es selbst glauben. Ich weiß nicht, ob sie allgemeinen Frieden schafft: Aber in jedem Fall schafft sie innere Ruhe. Und die fehlt vielen Menschen, ja, ich würde sagen, Teilen der Welt. Das sind meine Erfahrungen, die ich mit Musik habe. 1982 etwa habe ich das Israel Philharmonic über die Grenze in den Libanon genommen …

… also in eine Region, die geprägt war von Konflikten und Kriegen zwischen Israel und dem benachbarten Libanon. 

Mehta: Die israelische Armee hatte für uns in einer Kaffeeplantage ein Podest gebaut mit Sonnenschirmen für das Orchester. Wir haben nur für die Araber dort gespielt. Es war nur klassische Musik und wahrscheinlich hatten sie diese Werke noch nie gehört. Doch das war überhaupt nicht wichtig: Die Musik hat mit ihrer eigenen Sprache zu ihnen gesprochen. Viele sind nach dem Konzert auf die Bühne gesprungen und haben die Musiker umarmt. Und das im Libanon! Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen …

… zumal es damals inmitten jahrelanger Konflikte geschah zwischen Israel, Libanon, aber auch der PLO, die der südlibanesischen Armee viele Verluste einbrachte. 

Mehta: Ja. Die Israelis hatten dort Krankenhäuser für die verwundeten Soldaten der südlibanesischen Armee gebaut, die im Norden in den Spitälern an der Grenze behandelt wurden. So war es trotz der vielen Konflikte ein wunderbares Gefühl zwischen den Völkern. Und dies alles wurde durch die schlechte Außenpolitik von Israel vernichtet: Leider haben die Israelis sechs Monate später Libanon erobert – und sind drei Jahre geblieben. Der ganze Goodwill, der da von den Menschen aufgebaut worden war, wurde durch ihre politischen Führer vernichtet. Die gleichen Leute, die zu uns auf die Bühne gekommen sind und uns umarmt haben, waren dann die ersten Selbstmordattentäter. Das kann man einfach nicht glauben!

Inzwischen beherrschen andere Selbstmordattentate die Schlagzeilen – kann da Musik nach Anschlägen wie jüngst in Paris trösten?

Mehta: Das weiß ich so nicht – auf jeden Fall müssen die Konzerte weitergehen, denn die Menschen brauchen Musik. Konzerte bringen vielen Menschen innere Ruhe, wobei es nicht unbedingt klassische Musik sein muss.

Sie selbst zieht es immer wieder in Kriegs- und Krisenregionen: 1956, während der Ungarn-Krise, spielten Sie in einem Flüchtlingslager bei Wien, 1968 im besetzten Bethlehem. 1994, während des Bosnienkrieges, in Sarajewo …

Mehta: … ja – in Bosnien haben wir damals schusssichere Westen getragen. Wir sind von der kanadischen Luftwaffe geflogen worden, mit einer Hercules: Die Gefahr war tatsächlich da, dass wir abgeschossen werden. Das einzige Haus, das noch halbwegs unversehrt dastand, war das Opernhaus in Sarajewo, dort haben wir geprobt. Das eigentliche Konzert aber gaben wir in der zerbombten islamischen Bibliothek: Wie die Nazis hatten auch die Serben als erste Handlung die Bücher verbrannt. Da kein Publikum in das zerstörte Gebäude kommen konnte, haben wir es aufgezeichnet.

Hatten Sie bei solchen Konzerten jemals Angst?

Mehta: Nein, denn ich war damals nicht allein, sondern mit José Carreras und Ruggero Raimondi dort. Unser Hotel hatten sie mit schwarzem Papier bedeckt, „unsichtbar“ gemacht. Die ganze Nacht lang haben wir Schüsse gehört – nur während der Konzerte haben die Serben nicht geschossen. 

Zubin Mehta
Zubin Mehta © Oded Antman

Erinnern Sie sich noch an das Repertoire?

Mehta: Das „Requiem“ von Mozart. Und vor zwei Jahren war ich in Kaschmir mit dem Staatsorchester aus München …

… ein großer Wunsch von Ihnen: ein Versöhnungskonzert für Hindus und Muslime in den Bergen des indischen Bundes­staates, in einem der größten Konfliktgebiete Asiens.

Mehta: Das war eine sehr gefährliche Situation: Kaschmirische Separatistenführer protestierten, es gab Streiks – und massive Sicherheitsvorkehrungen durch das indische Militär. Alles sah aus wie eine Festung.

In den Medien hieß es, nur wenige Stunden vor dem Auftritt seien vier Menschen erschossen worden, als sie versucht hätten, eine Polizeistation anzugreifen.

Mehta: Die Musiker waren wirkliche Helden. Zunächst schien es nicht so, dass es so gefährlich werden könnte. Aber das ist es geworden und kein einziger Musiker wurde nervös oder hat sich beschwert. Alle sind auf die Bühne gegangen.

Mit welchen Gefühlen besuchen Sie ansonsten Ihre Heimat Indien?

Mehta: Ich bin ein hundertprozentiger Inder, aber eben auch ein Parse. Vor 1000 Jahren sind die Parsen aus dem Iran eingewandert: Wir waren, 500 Jahre vor Moses, die erste monotheistische Religion. Heute leben in Indien, inmitten einer Bevölkerung von 1,3 Milliarden Menschen, etwa 80 000 Parsen. In Indien waren wir, anders als etwa in China, immer sehr willkommen – und wir hatten auch nie Probleme mit den Moslems.

Die Parsen waren die ersten Einheimischen, denen zu Kolonialzeiten unter den englischen „Shaibs“ im Jim Connors Club gestattet wurde, beim Cricket mitzuspielen. Eine große Leidenschaft auch von Ihnen …

Mehta: Oh ja, das stimmt. Ich spielte es während meiner Jugend in Mumbai – und bin heute noch ein großer Fan des Sports.

Nun kennt Ihre parsische Religion weder Beichte noch Vergebung der Sünden …

Mehta: …das würde ich so nicht sagen. Das Fundament der Religion ist die Trinität: „Gute Worte. Gute Taten. Gute Wünsche.“ Die Lehre des Propheten Zarathustra …

… mit ziemlich schaurigen Bestattungsritualen …

Mehta: … nicht aber für uns. Uns sind die Elemente heilig: Wasser, Feuer, Erde. Wir begraben nicht die Toten, wir verbrennen sie auch nicht. In Alt-Persien wurden die Leichen auf die Hügel getragen, zu den Türmen der Stille, des Schweigens. Früher waren diese am Rande von Mumbai – heute sind sie fast mittendrin, da die Stadt so gewachsen ist. Dort werden die nackten Körper hingelegt, damit sie von den Vögeln und Tieren aufgefressen werden. So bleibt nichts übrig vom Körper – der Körper kehrt zurück zur Natur.

Ist Ihr Vater auch so bestattet worden? 

Mehta: Nein, mein Vater lebte in Kalifornien. Er dürfte irgendwo im Pazifik liegen.

Das Israel Philharmonic, das Sie als Dirigent auf Lebenszeit berufen hat, ist so alt wie Sie. Es wurde 1936 gegründet, Ihrem Geburtsjahr …

Mehta: … übrigens ein Privatunternehmen. Der Staat Israel hilft kaum.

Haben Sie Parallelen zwischen Ihrer künstlerischen Entwicklung und der des Orchesters feststellen können?

Mehta: Als ich anfing, war es quasi ein K.-u.-k.-Orchester, mit Musikern aus Wien, Budapest, Prag. Dann ging die erste Generation in Pension und eine zweite Generation kam aus der Sowjetunion. Jetzt ist es eine Mischung zwischen Bürgern aus der ehemaligen Sowjetunion und gebürtigen Israelis. Das Repertoire ist noch wie zu Zeiten der österreichischen Mo­narchie. Gnädige Frau, ich muss weiter zur Probe!

Noch ein paar Worte zum Schluss zum „Shield of Keren Hayesod“ … 

Mehta: … den Preis bekomme ich im Februar in München, aber ich kann Ihnen nur wenig dazu sagen. Ich muss weg …

… und wie werden Sie Ihren 80. Geburtstag im April feiern? 

Mehta: Mit Wohltätigkeitskonzerten! 

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