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Konzert-Kritik: Beatrice Rana in der Berliner Philharmonie

Hört auf diese Frau!

(Berlin, 23.5.2024) Im Rahmen ihres Saisonschwerpunktes „Heroes“ widmen sich die Berliner Philharmoniker Schostakowitschs „Leningrader“ Sinfonie. Zuvor erfährt jedoch eine Heldin des 19. Jahrhunderts eine späte Ehrung.

vonJakob Buhre,

„Erstmals in diesen Konzerten“ lautet die kleine Notiz im Programmheft, welche verrät, dass Clara Schumanns Klavierkonzert in a-Moll zum ersten Mal von den Berliner Philharmonikern gespielt wird. Offenbar bedurfte es einer engagierten Botschafterin, um das Werk – ganze 189 Jahre nach seiner Leipziger Uraufführung – auf den Spielplan der Berliner zu hieven. Und genau diese sitzt am 23. Mai am Flügel: Beatrice Rana hatte 2021 bereits eine fulminante Aufnahme des Konzerts vorgelegt, gemeinsam mit Yannick Nézet-Séguin, der jetzt, bei ihrem Debüt mit den Philharmonikern, am Pult steht.

Rana beginnt energisch, hochkonzentriert auf die virtuosen Passagen im 1. Satz, die sich über die ganze Tastatur erstrecken, während Nézet-Séguin sie auf sehr weichem, schwelgerischen Orchesterklang bettet, insbesondere die Tempowechsel in den romantischen Passagen kostet der Kanadier voll aus. Auch Rana legt viel Gefühl in ihre Interpretation, verkörpert einerseits den rebellischen Charakter des Werks, zeigt sich im zweiten Satz aber auch sehr andächtig. Als ihr Duett mit Philharmoniker-Cellist Bruno Delepelaire von Hustern im Saal begleitet wird, reagiert sie auf jedes neue Geräusch mit noch mehr piano und Verzögerung, fast so, als wolle sie dem Publikum zuflüstern: Hört auf diese Frau! Tatsächlich wird es im Saal daraufhin wieder mucksmäuschenstill, die Botschaft scheint angekommen.

Nézet-Séguin dirigiert mit Unerbittlichkeit, die das Wegsehen bzw. das Weghören unmöglich macht

Mit welcher Botschaft allerdings verbindet man in diesen Tagen Schostakowitschs siebte Sinfonie, die dieser im Zweiten Weltkrieg, während der Belagerung Leningrads durch deutsche Truppen, komponierte? 2022, kurz nach Beginn der Invasion Russlands in der Ukraine, hatte das Konzerthausorchester das Werk noch aus dem Programm genommen. Zwei Jahre später wird es bei den Philharmonikern zum Höhepunkt des Abends. Das liegt vor allem an der Unerbittlichkeit Nézet-Séguins, der einem bei dieser eindringlichen Vertonung von Leid und Zerstörung das Wegsehen bzw. das Weghören unmöglich macht. Von der ersten bis zur siebzigsten Minute fordert er Musiker wie Zuhörer gleichermaßen, holt bereits im Verlauf des ersten Satzes, beim sich immer weiter steigernden „Invasions“-Thema jede Reserve aus dem Orchester. Mit hölzernen Bewegungen karikiert er marschierende Soldaten, während er bei lyrischen Passagen die Philharmoniker liebevoll zu umarmen scheint – um sie kurz darauf mit dem Taktstock wieder anzustacheln.

Auf die Musiker überträgt sich diese Energie sichtbar, viele Streicher sitzen weit vorne auf der Stuhlkante, ihr Bogenstrich so schroff, dass das Zermürbende des Krieges greifbar wird. Es sind nur wenige Momente, im zweiten und dritten Satz, bei denen die aufgebaute Spannung kurz abzufallen scheint. Und im dick aufgetragenen Finale fragt man sich, ob so viel Pathos tatsächlich das Gebot der Stunde ist. Die Antwort des Publikums jedoch ist eindeutig: Als sich das Orchester nach dem Schlussakkord zum ersten Mal erhebt, brandet im ausverkauften Saal lauter, frenetischer Jubel auf.

Album-Tipp:

Album Cover für Clara & Robert Schumann: Piano Concertos

Clara & Robert Schumann: Piano Concertos

Werke von C. Schumann, R. Schumann & Liszt Beatrice Rana (Klavier), Chamber Orchestra of Europe, Yannick Nézet-Séguin (Leitung) Warner

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