Wien, Berlin, Paris – das liest sich nach einer sehr mondänen Klangreise. Weltläufigkeit ist denn auch hie und da das Thema an diesem Abend mit Arien, Duetten und Konzertstücken aus der Glanzzeit von Operette, Walzer, Polka und Csárdás. Doch ist es nicht weit her mit der Mondänität, denn sobald die Liebe(lei) und der Alkohol ihre Finger im Spiel haben, ist’s nach allen Regeln der Musiktheaterkunst vorbei mit der Kultiviertheit von Diplomaten, Fürstinnen und Grafen.
Die Stoßrichtung gibt die NDR Radiophilharmonie gleich zu Beginn so plakativ wie wirkmächtig vor, als sie zur Ouvertüre zu Strauss’ „Fledermaus“ anstimmt. Aber mit „Liebe, du Himmel auf Erden“ aus Franz Lehárs „Paganini“ bekommen die sich anbahnenden dionysischen Gelüste erst einmal einen Dämpfer, wenn Anna Elisa ihr Leid besingt, das treu Liebende haben, sobald die Treue des anderen bröckelt. So geht es in der Elbphilharmonie munter durch ein emotionales Wechselbad, das eher die Extreme und weniger die lauen Emotionstemperaturen auslotet. Gesänge aus Robert Stolz’ „Im weißen Rößl“, Emmerich Kálmáns „Gräfin Mariza“, Leo Falls „Der süße Kavalier“ oder Paul Linckes „Frau Luna“: Man kennt die Stücke, mal ganz konkret, mal von irgendwoher.
Mit dabei sind aber auch Trouvaillen wie das bezaubernde Flirt-Duett aus der Operette „Das Lied der Liebe“, derzeit noch eine Fußnote in Erich Wolfgang Korngolds Repertoire. Eine der wenigen Einspielungen von diesem Duett findet sich auf Diana Damraus Operettenalbum, das die Sopranistin letzten Winter mit anderem Orchester und anderem Tenor veröffentlichte und das als Blaupause für dieses Konzert fungiert. Diesmal stehen ihr die NDR Radiophilharmonie unter Dirk Kaftan und Nikolai Schukoff zur Seite – auf Augenhöhe, wie man betonen muss angesichts der auf Plakaten und im Programmheft etwas überprominent präsentierten Damrau.
Grundton des Konzerts: Ironie
Traumwandlerisch musizieren sich alle Beteiligten durch das streckenweise höllisch schwere Programm, als wären sie ein einziger Klangkörper. Jedes spontane oder spontan wirkende Innehalten, jede bewusst leicht verschobene schwere Taktzeit geschieht absolut synchron. Nicht im Entferntesten gerät das Konzert jemals in die Gefilde von Seligkeit, wahlweise mit den vorangestellten Begriffen Operette, Walzer oder Csárdás versehen. Dafür sorgt schon die Radiophilharmonie, die im besten Sinne abgeklärt und kontrolliert aufspielt und mit süffisanter Distanziertheit zu den Werken den Grundton des Konzerts liefert: Ironie. Auf die verstehen sich auch Damrau und Schukoff bestens. Die Abendgarderobe, die das Gesangsduo fast im Rhythmus der einzelnen Nummern wechselt, testet in ihrer Pracht die Grenze des guten Geschmacks. Musikalisch und darstellerisch herrscht bei diesem halbszenischen Abend jedoch Exzellenz.