Der Gedanke an funkelnde Sterne drängt sich beim Blick an die matt-weiße Decke des Dresdner Kulturpalasts nicht auf. Dem Hong Kong Philharmonic Orchestra und seinem Chefdirigenten Jaap van Zweden gelang jedoch das Kunststück mit der europäischen Erstaufführung des „Asterismal Dance“ seines Composer in Residence Daniel Lo Ting-cheung. Über einem tiefen Kontrapunkt intonierten die Holzbläser ein kurzes Grundmotiv, das in den folgenden sechs Minuten zwischen den Instrumentengruppen oszillierte und, von komplexen Rhythmen getragen, in kürzesten Abständen stets neue Klang-Sternenbilder formierte. Es flimmerte gehörig, für Entspannung sorgten die eingestreuten Soli von Kontrafagott und Pauke. Ein schwer zu fassendes und doch faszinierendes, dezidiert mit fernöstlicher Folklore angereichertes „Scherzo fantastique“.
Edler, schlanker, warmer Klavierklang
Das Hong Kong Philharmonic Orchestra hat es sich zu seinem fünfzigjährigen Jubiläum als professioneller Klangkörper geschenkt und an den Anfang seiner Europa-Tournee und seines Dresden-Debüts gestellt. Mit von der Partie bei der Reise durch acht Kulturzentren ist Pianist Alexandre Kantorow. Im Sonderkonzert der Dresdner Musikfestspiele, rund zwei Monate vor der eigentlichen Eröffnung, spielte er Ludwig van Beethovens viertes Klavierkonzert und zeigte, wie wunderbar es als, im besten Wortsinn, Wohlfühlmusik funktionieren kann. Schon in den sanglich genommenen Anfangstakten kristallisierte sich ein warmer, edler und schlanker Klavierklang heraus, der sich bis ins Finale durchzog. Virtuose Läufe spielte Kantorow mit Finesse. Bisweilen konnte man staunen, wie sanft er die Tasten streichelte, wie federleicht er die Oktaven anschlug. Dass der junge Franzose gleichwohl zupacken kann, bewies er wohldosiert in den Kadenzen und in seiner Zugabe, dem sehnsüchtigen A-Dur-Intermezzo aus op. 118 von Johannes Brahms. Zweden forderte von seinen Philharmonikern dazu passend Transparenz ein und mied, mit Ausnahme einiger überdehnter Generalpausen, die Extreme.
Schostakowitsch mit aktuellem Bezug
Ein starkes Gegengewicht zum harmonischen Wohlklang der ersten Hälfte setzte man mit Dmitri Schostakowitschs neunter Sinfonie, die an diesem Abend nicht ohne Verweis auf das aktuelle geopolitische Geschehen – wenige Stunden zuvor hatten noch hunderte Menschen vor der Frauenkirche an den zweiten Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine erinnert – und ihrer Entstehungsgeschichte gehört werden sollte. Intendant Jan Vogler schickte voraus: „Durchaus in dem klaren Bewusstsein naiv zu erscheinen, wollen wir unsere Einstellung mit einem Zitat von Leonard Bernstein ausdrücken: Unsere Antwort auf Gewalt ist, noch schöner, noch hingebungsvoller und intensiver Musik zu machen.“
Das 1945 uraufgeführte Werk entpuppte sich damals rasch als Karikatur auf die geforderte „Siegessinfonie“, ja mehr noch, der Komponist sparte nicht mit gewollten Misstönen. Genau diese ließ Zweden, der mit agilem und detailfokussiertem Dirigat durch den Abend führte, hervorstechen. Die falsche Heiterkeit des Kopfsatzes und die von den Flöten gespielten Lamenti im Moderato gingen ins Mark, der anschließende Marsch ließ nicht einen Hauch von Hoffnung zu. Erschütternd wechselten sich in der Folge hohle Bläsersignale und Fagottsoli ab, letztere ausgezeichnet artikuliert. Wie ein Schlag endete die Sinfonie mit den grotesk-komödiantischen Anklängen an die Einleitung.