Extravagant ist in diesem nachgerade historischen Ereignis im Dienste der Alten Musik nur ein kleines Detail: Der Jubilar, zu dessen Ehren sich sein Ensemble Les Arts Florissants und William Christie selbst in der Opéra Royal im Schloss Versailles zusammengefunden haben, er trägt zum Festkonzert aus Anlass seines 80. Geburtstag einmal mehr jene roten Socken, die bei seinen Auftritten zu einem Erkennungszeichen wurden. Doch ansonsten herrscht hier allenthalben dirigentische Demut – und französische Finesse. Der Amerikaner in Paris, der bereits 1971 aus den USA auswanderte, in der französischen Hauptstadt heimisch wurde, in Europa sein Wissen um die historische Aufführungspraxis verfeinerte und bereits 1979 sein eigenes Ensemble gründete, ist heute längst auch offiziell ein Franzose. 1995 erhielt er die Staatsbürgerschaft, wurde in die Ehrenlegion aufgenommen – und gehört heute zu den lebenden Legenden der Barockszene, für die er so viel getan hat wie ein Nikolaus Harnoncourt oder ein René Jabobs, in dessen Concerto Vocale Gent er schon früh als Cembalist wirkte.
William Christie – ein Primus inter Pares
Zwar steht nun im Konzertprogramm von Versailles die Funktion „Direction“, ergo: Leitung, doch eigentlich ist William Christie ganz und gar Cembalist geblieben. Die Selbstdarstellung des Maestro, den es in barocken Zeiten ja ohnehin nicht gab, ist ihm fremd geblieben. Die Leitung von Instrumentalisten, Sängerinnen und Sängern geschieht denn auch ganz schlicht von den zwei Manualen seines eigens für Château de Versailles Spectacles nachgebauten Clavecins aus. Hier und da gibt einen animierenden Blickkontakt zum famosen, fetzigen wie feinsinnigen Thomas Dunford an der Theorbe, der ganz cool mit übergeschlagenen Beinen für den Groove des Basso continuo sorgt. Sonst ereignet sich die Koordination zwischen William Christie und den Musikern durch aufmerksames Aufeinander-Hören und Miteinander-Atmen, vielleicht mal ein Nicken oder ein Lächeln. Die hohen Streicher musizieren im Stehen, was die Kommunikation und den Energiestrom untereinander fördert. Der „Directeur“ ist ganz klar ein Primus inter Pares, der zum Auftrittsapplaus mit den Seinen im Kollektiv auftritt, tunlichst nicht mit einem herausgehobenen Dirigentenego assoziiert werden möchte.
Fülle des barocken Wohllauts
So entsteht in vitaler, nuancenreicher, farbenzarter Akkuratesse ein lustvolles Musikmachen von ausgeprägter Natürlichkeit. Nichts gerät hier prätentiös, man lauscht gemeinsam ins Innere, evoziert eine Fülle des barocken Wohllauts. Das Repertoire des Geburtstagskonzerts entspricht so ganz dieser Haltung und dieser Hingabe. Keine Show-Pieces der vokalen Selbstdarstellung der sechs sängerischen Solisten stehen auf dem Programm, vielmehr ausgesuchte Preziosen der französischen Barockoper, in denen eine dezidiert virtuose Nummer die absolute Ausnahme bleibt, so etwa die Arie „La Folie“ aus Rameaus „Platée“, in der die Portugiesin Ana Vieira Leite mit ihrem reizenden lyrischen Koloratursopran kurzzeitig zur Divenzicke werden darf. Dann tritt sie wieder zurück in den gemeinschaftlichen Dienst an der Sache, der im Sinne des Understatement steht, das William Christie verkörpert.
Überraschungsständchen für den Mentor
Das subtile Ausdeuten einer Wortfärbung und das sensible Aushören einer Stimmfärbung in der Szene der Médée aus Charpentiers gleichnamiger Oper, in der die Verlassene den Preis ihrer Liebe reflektiert, steht bei der jungen Mezzosopranistin Rebecca Leggett über jeglichem Anflug der Selbstdarstellung. Berückend das innige Umschlingen der drei Männerstimmen im Schlummergesang aus „Atys“ von Lully, in den sich die Blockflöten von Les Arts Florissants lukullisch einmischen. Die Verzahnung von Instrumental- und Vokalstimmen ist ideal, was dem pädagogischen Eros von Christie entspringt (und von der idealen Akustik der Opéra Royal mit den hohen Holzanteilen des Theaters perfekt transportiert wird) und von der jungen Garde des Barockgesangs im Verein mit den Instrumentalisten vorbildlich umgesetzt wird. Natürlich setzt das Geburtstagskind mit der sängerischen Besetzung Zeichen für die Zukunft: Er will sein Wissen weitergeben, so wie er es mit all jenen getan hat, die heute zu den Stars der Szene gehören. Ein solcher Stern ist für die Zugabe der Überraschungsgast: Mezzosopran Lea Desandre gibt ihrem Mentor ein Ständchen. Am Ende scheint das Gold der Opéra Royal noch edler zu glänzen als sonst. Und: Ja, dann lässt das Theater Goldstaub auf das Publikum und den Geehrten regnen. Happy Birthday, Bill! Aus den Händen von Laurent Brunner, des Direktors der Opéra Royal, erhält er als letzten Akt des Konzerts ein eigens gezogenes Zedernbäumchen.
Opéra Royal Versailles
„Happy Birthday, Bill!“ – Konzert zum 80. Geburtstag von William Christie
William Christie (Leitung), Ana Vieira Leite Dessus, Rebecca Leggett, Juliette Mey, Richard Pittsinger, Bastien Rimondi, Matthieu Walendzik, Les Arts Florissants