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Bachs Weihnachtsoratorium

Wo Herkules noch in den Noten steckt

In ein paar Tagen ertönt in ganz Deutschland wieder Bachs Weihnachtsoratorium. Höchste Zeit, dass die concerti-Redaktion das Werk einmal genauer betrachtet

vonNicolas Furchert,

„Das ist alles nur geklaut“ singen Die Prinzen in einem ihrer bekanntesten Lieder. Ob den früheren Mitgliedern des Leipziger Thomanerchors bewusst ist, wie treffend sie damit eines der bekanntesten Werke der Musikgeschichte charakterisiert haben? Bachs Weihnachtsoratorium ist nicht das in einem Wurf neu geschaffene Werk. Zieht man jene Teile der sechs Kantaten ab, die Bach routinemäßig umsetzten konnte – Rezitative und Choräle – bleiben ganze drei, die Bach neu komponiert hat. Alles andere beruht auf Kantatensätzen, die bereits vorher existierten.

Bachs Weihnachtsoratorium unter der Lupe

Das hatte vor allem praktische Gründe. Bach schien in Eile. Warum also nicht auf bereits Vorhandenes zurückgreifen? Die Vorlagen, die Bach bis auf den neuen Text nur wenig änderte, stammten meist aus Huldigungskantaten für das sächsische Königshaus. Und die hatten nach einmaliger Aufführung ihren Zweck erfüllt. Musik in dieser Art zu „recyclen“, ist als gängige Praxis auch von Vivaldi, Händel und sogar Rossini bekannt. Zum anderen war das Verhältnis von geistlicher und weltlicher Musik zu Bachs Zeiten deutlich entspannter als heute. Weltliche Lieder konnten in der Renaissance Grundlage von Messkompositionen sein, ohne dass irgendjemand daran Anstoß nahm. Der Choral „Wie soll ich dich empfangen“ aus der ersten Kantate, der als „O Haupt voll Blut und Wunden“ in der Matthäus-Passion eine große Rolle spielt, war ursprünglich ein Liebeslied.

Die ungewöhnliche Instrumentierung des Eingangschors „Jauchzet frohlocket“ mit einem Paukensolo ist dem ursprünglichen Textbeginn „Tönet ihr Pauken“ geschuldet. Weltliche und göttliche Herrschaft lagen zu Bachs Zeit so dicht beieinander, dass es fast egal war, ob die Musik Gott oder einem König zur Ehre gedacht war. Dass Bach schließlich sogar eine Absage Herkules’ an die Wollust „Ich will dich nicht hören“ mit „Bereite dich Zion“ in die freudige Erwartung auf das Kommende umwandelte, war kein Affront, sondern ließ sich mit der universellen, auf Affekten beruhenden barocken Musiksprache rechtfertigen. So ist auch zu begreifen, dass das Weihnachtsoratorium trotz allem eine Einheit bildet.

„Jauchzet frohlocket“ aus Bachs Weihnachtsoratorium:

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