Musiker. Das ist ein denkbar allgemeiner Begriff, der stets einer genaueren Umschreibung bedarf. Bei John Zorn jedoch würde jedwede Konkretisierung ins Leere laufen, man müsste immer ein „nicht nur“ voranstellen. Denn Zorn, der in den siebziger Jahren urplötzlich in der Kulturszene seiner New Yorker Heimat auftauchte, spielt nicht nur Jazz. Und auch nicht nur Underground Rock oder Hardcore Punk. Nicht nur Klassik. Arbeitete nicht nur mit genialen Metal-Heroen wie Dave Lombardo von Slayer und Rock-Universalisten wie Mike Patton von Faith No More zusammen. Er hat auch nicht nur Filmmusik von Ennio Morricone aufgegriffen und sie neu gedacht, ach was, völlig neu komponiert. Und er hat auch nicht nur mit Masada, einer seiner zahllosen Bands, eine völlig neue Form von Klezmer kreiert. Was er an Musik geschaffen hat, lässt sich angesichts der über 400 Alben, an denen er mitgewirkt hat, nur erahnen.
Auch wenn John Zorn oft Musikformationen bildet, die manchmal nur für einen Abend halten, hat er die Fähigkeit, nachhaltigen Einfluss auf seine Kollegen auszuüben. Gerne konfrontiert er seine Kollegen mit völlig neuen Stilistiken und Spielweisen und ermöglicht ihnen dadurch, über sich selbst hinaus zu wachsen. Manchmal verlangt er ihnen (und auch seinem Publikum) auch ein absurdes Durchhaltevermögen ab wie 2017 in der Elbphilharmonie. Die feierliche Eröffnung der Kulturstätte war gerade ein paar Wochen her, da spielte er in verschiedenen Formationen zwölf zwanzigminütige Sets an einem Abend und hinterließ weit nach Mitternacht zur einen Hälfte ein nicht mehr existentes Publikum, das schon vorher aufgegeben hatte, und zur anderen Hälfte eine jubilierende Zuhörerschar, die lautstark bedauerte, dass es keine Zugaben mehr gab.
Grenzüberschreitungen sind keine Nebenprodukte
Nach fünf Jahren hat man erfolgreich mit dem Missverständnis aufgeräumt, die Elbphilharmonie sei nur ein Klassiktempel mit gefälligen musikalischen Grenzüberschreitungen als Nebenprodukte. Sie will für alle da sein, und deshalb sind nun für ein verlängertes Wochenende lang die Türen des Großen und Kleinen Saals sowie des Kaistudio 1 für alle musikalischen Freigeister der Stadt geöffnet, die John Zorn als Saxofonist, Organist, Dirigent und Komponist live erleben wollen – und das in unterschiedlichsten Besetzungen. Vierzehn Konzerte und ein Dokumentarfilm sind im Rahmen der „Reflektor“-Reihe programmiert. Genug für ein unvergessliches Festivalwochenende, zu wenig, um das Phänomen Zorn in seiner Gänze abzubilden.