Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein Komponisten-Biopic produziert, kommt nicht alle Jahre vor, der letzte an eine Biografie angelehnte Spielfilm „Mozart – Ich hätte München Ehre gemacht“ stammt aus dem Jahr 2006. Insofern ist die Erwartungshaltung groß, wenn die Zuschauer am ersten Weihnachtsfeiertag „Louis van Beethoven“ zu sehen bekommen – und an diesem zweistündigen Beethoven-Film ist so einiges unerwartet.
Es beginnt beim Titel, der mit dem Vornamen „Louis“ aufwartet, im Film der Rufname des jungen Beethoven. „In den Aufzeichnungen des Bäckermeisters Gottfried Fischer zu Beethovens Kindheit und Jugend finden sich zahlreiche rheinische Wendungen, die sehr vom Französischen geprägt sind. Und wir können sicher annehmen, dass Beethoven in seiner Kindheit Dialekt gesprochen hat. ,Louis‘ als Kosename für Ludwig steht für die ungewöhnliche Perspektive die der Film einnimmt“, erklärt Dirigent David Marlow, der bei der Produktion als musikalischer Leiter agierte.
Ungewöhnlich ist die Perspektive vor allem, weil Drehbuchautor und Regisseur Niki Stein sich ausschließlich mit dem sehr jungen und dem sehr späten Beethoven beschäftigt. Man sieht das Wunderkind der Bonner Kindheitstage, ebenso den Jugendlichen bis Anfang 20 – und dann setzt der Film erst wieder beim alten, bereits ertaubten Komponisten ein, sechs Monate vor seinem Tod im März 1827. Mit anderen Worten: die Wiener Jahre, der Unterricht bei Joseph Haydn, die Entstehung der großen Sinfonien und Klavierwerke, die erfolgreichen Uraufführungen – auf all das verzichtet der Film.
Doch erscheint dies nur auf den ersten Blick als Manko, denn die filmische Annäherung an Beethoven ist eine liebevolle und detailreiche. Man sieht ihn auf- und in die Musikwelt hineinwachsen, das Hadern mit den Gesellschaftsstrukturen ist allgegenwärtig, der Zuschauer bekommt einen Einblick ins Verhältnis von Bürgertum und Adel, von freigeistigen Künstlern und herablassenden Gönnern. Hinzu kommt das Familienportrait, die Sorge um den alkoholkranken Vater sowie den selbstmordgefährdeten Neffen Karl – und Beethovens Verhältnis zu Frauen, personifiziert durch die Jugendliebe Eleonore von Breuning.
Alles andere als ein Hit-Potpourri
„Es geht nicht um den fern entrückten Komponisten“, sagt David Marlow im concerti-Gespräch, „sondern es wird versucht, diesen unglaublichen Genius als Mensch aus Fleisch und Blut zu erwecken.“ Dies ist zweifelsohne gelungen, nicht zuletzt durch Schauspieler Anselm Bresgott, der den aufstrebenden und wissbegierigen Musiker zeigt, und durch die Darstellung von Tobias Moretti, der den alten Beethoven als mürrisch-nachdenklichen Menschen zeichnet. Gelungen ist auch das Zusammenspiel von Bild und Musik, wobei im Film alles andere als ein Hit-Potpourri erklingt. Zum einen wählte Niki Stein weniger bekannte, frühe Stücke Beethovens aus, zum anderen bilden die Große Fuge B-Dur sowie Streichquartette einen roten Faden. „Zuerst war ich bei dieser Auswahl skeptisch, mittlerweile sehe ich sie als großen Gewinn. Welcher Film traut sich schon, mit den späten Streichquartetten zu arbeiten?“, fragt David Marlow.
Der Dirigent, der ebenso Hochschullehrer in Detmold und im Hörfunk regelmäßig mit Werkbetrachtungen zu erleben ist, hat dafür gesorgt, dass dieser Film gut und authentisch klingt. „Paul McNulty, einer der bekanntesten Hammerklaviernachbau-Spezialisten, hat uns Instrumente für die verschiedenen Lebensphasen zur Verfügung gestellt. “ Diese Instrumente wurden auch direkt am Set und nicht etwa im Tonstudio gespielt, ebenso musizierte das Czech Ensemble Baroque vor Ort auf historischen Instrumenten. „Wir haben am Filmset zunächst die Musik eingespielt und anschließend die Aufnahme als Playback für den Dreh der Szene genutzt. Zuerst war die Sorge groß, dass das schief geht. Doch wir sind das Risiko eingegangen, und ich finde, es hat sich gelohnt.“
Bemerkenswert ist auch, dass für die Kindheitsjahre der 13-jährige Pianist Colin Pütz engagiert wurde, der in all seinen Szenen selbst in die Tasten greift. Überhaupt gehört die Musikdramaturgie zu den Pluspunkten, ein Großteil der Filmmusik entsteht direkt im Bild. Kameratechnisch wurden einige gute Ideen umgesetzt, um die musikalische Prägung, die Genese des beethovenschen Stils in den Fokus zu rücken.
Beethoven trifft Mozart
Viel Raum gibt der Film dabei dem Einfluss Mozarts, dem Beethoven in mehreren Filmszenen auch persönlich gegenübertritt. Wissenschaftlich betrachtet lehnt sich die Produktion hier weit aus dem Fenster, denn eine Begegnung der beiden Genies ist durch die Forschung nicht belegt. David Marlow jedoch verteidigt diese Darstellung: „Ich bin in der Welt des Theaters und der Oper aufgewachsen. Daher finde ich es vertretbar, wenn man im Sinne der Dramatik eines Films in so einen Graubereich vorstößt. Fakt ist, dass Beethoven zu Mozarts Lebzeiten in Wien war, um ihn zu treffen.“
Im Drehbuch von Niki Stein sind die Mozart-Szenen ein wichtiger Baustein und Höhepunkt. Klar ist auch: Wenn für den populären Sendeplatz um 20:15 Uhr produziert wird, besteht der Wunsch, „nicht nur Musikhistoriker, sondern auch ein breites Publikum glücklich zu machen“, wie Marlow es formuliert. Nichtsdestotrotz ist auch für das Wohl der Experten gesorgt, etwa wenn für einen Moment die Revolutionsoper „Le Déserteur“ zu sehen ist, die Vorbild für Beethovens „Fidelio“ gewesen sein könnte. „So ein Bezug ist nicht für jeden Zuschauer ersichtlich, aber ich glaube, Musiker freuen sich, wenn sie so ein Insider-Detail entdecken.“
Und so ist am Ende „Louis van Beethoven“ ein Film, der zwar nicht gänzlich ohne Kitsch und Rührseligkeit auskommt, musikalisch aber immer interessant bleibt und es gleichzeitig schafft, eine menschliche Nähe zur historischen Figur aufzubauen. Eine Nähe, wie sie Festkonzerte, Denkmäler oder Gemälde eines Joseph Karl Stieler kaum herstellen können und für die man, insbesondere im Jubiläumsjahr, dankbar ist.
Interview David Marlow
„Der Film will nicht nur Musikhistoriker glücklich machen.“
Der Dirigent David Marlow hat bei „Louis van Beethoven“ die musikalische Leitung übernommen. Hier spricht er über authentischen Klang am Set, eine überraschende Musikauswahl und wie der Beethoven-Film den Einfluss von Mozart darstellt.
Herr Marlow, was gehörte als musikalischer Leiter von „Louis van Beethoven“ zu Ihren Aufgaben?
Ich kam zu dem Projekt im März 2019 dazu. Zu dem Zeitpunkt war das Drehbuch von Niki Stein bereits fertig, der hervorragend recherchiert und auch schon weitgehend die Musik für den Film ausgesucht hatte. Meine Aufgabe war vor allem die praktische Umsetzung: Was für Instrumente werden in welchen Szenen verwendet, wie nehmen wir am Set auf? Für den mittleren und den alten Beethoven war ich Hand-Double, ich habe musikalische Übergänge arrangiert und eine Kadenz komponiert, die Beethoven spielt, als er in Wien Mozarts D-Moll-Klavierkonzert aufführt.
Im Film erklingen historische Instrumente…
Genau. Dafür haben wir mit Paul McNulty zusammengearbeitet, einem der bekanntesten Spezialisten im Nachbau von Hammerklavieren, der uns verschiedene Instrumente für die verschiedenen Lebensphasen zur Verfügung stellte. So hatten wir zum Beispiel für den frühen Beethoven einen Stein-Hammerflügel, für die mittlere Periode einen Walter-Flügel und für den späten Beethoven in Gneixendorf einen Nachbau seines Graf-Hammerflügels. Auch unser Orchester, das Czech Ensemble Baroque, spielt auf historischen Instrumenten.
Sehr viel Musik im Film entsteht direkt in der Szene. Wie haben Sie das aufgenommen?
Am Anfang haben wir viel darüber diskutiert, ob wir die Musik tatsächlich am Set und nicht im Studio aufnehmen. Die Sorge war groß, dass das schiefgeht. Doch wir sind das Risiko eingegangen und ich finde, es hat sich gelohnt. Wir haben am Filmset zunächst die Musik eingespielt und anschließend die Aufnahme als Playback für den Dreh der Filmszene genutzt. Ebenfalls besonders war, dass der junge Beethoven mit Colin Pütz besetzt wurde, der Pianist ist und in all seinen Szenen selbst spielt.
Anders als wahrscheinlich viele Zuschauer erwarten, trumpft der Film kaum mit großen Beethoven-Hits auf. Warum?
Das hängt vor allem damit zusammen, dass wir kaum den mittleren berühmten Beethoven zeigen, sondern den jungen bis Anfang zwanzig und dann den späten Beethoven. Dafür hat Niki Stein zum Teil weniger bekannte, frühe Stücke ausgewählt – und die Große Fuge B-Dur sowie die Streichquartette bilden einen roten Faden. Zuerst war ich bei dieser Auswahl auch skeptisch, mittlerweile sehe ich sie als großen Gewinn. Welcher Film traut sich schon, mit den späten Streichquartetten zu arbeiten?
Ebenfalls erklingt Musik, die Beethoven beeinflusst hat, Bach, Mozart…
… oder auch Pierre-Alexandre Monsigny. Es gibt ja die Szene, wo der junge Beethoven im Orchestergraben steht, da wird auf der Bühne gerade „Le Déserteur” aufgeführt. Das ist eine Revolutionsoper, die er in seiner Bonner Zeit gehört haben muss und die möglicherweise ein Vorbild für seinen „Fidelio“ war. So ein Bezug ist natürlich nicht für jeden Zuschauer ersichtlich, aber ich glaube, Musiker freuen sich, wenn sie so ein Insider-Detail im Film entdecken.
Wir sprachen schon über die historischen Instrumente – wie wichtig ist Ihnen generell Authentizität bei so einem biografisch angelegten Musikfilm?
Mein Anliegen ist natürlich, dass wir mit diesem Film authentisch bleiben. Gleichzeitig ist der Wunsch, dass der Film nicht nur Musikhistoriker, sondern auch ein breites Publikum glücklich macht. Ich denke schon, dass wir eine gute Mischung geschafft haben zwischen historischer Akkuratesse und einem tollen Drama, das auch als Film funktioniert. Es ist keine Dokumentation, sondern es wird versucht, diesen unglaublichen Genius als Mensch aus Fleisch und Blut zu erwecken. Es geht nicht um den fern entrückten Komponisten. Beethoven hatte auch alltägliche Sorgen, Familienprobleme, es gab den alkoholkranken Vater, den Tod der Mutter, den Selbstmordversuch seines Neffen Karl.
Nun überrascht der Filmtitel mit einem anderen Vornamen, der auch im Film selbst verwendet wird. Was ist der Grund dafür?
In den Aufzeichnungen des Bäckermeisters Gottfried Fischer zu Beethovens Kindheit und Jugend finden sich zahlreiche rheinische Wendungen, die sehr vom Französischen geprägt sind. Und wir können sicher annehmen, dass Beethoven in seiner Kindheit Dialekt gesprochen hat. „Louis“ als Kosename für Ludwig steht für die ungewöhnliche Perspektive die der Film einnimmt, zwischen dem kleinen Jungen aus Bonn und dem tauben, einsamen Mann kurz vor seinem Tod. Es gibt natürlich einige Dinge im Film, die nicht historisch belegt sind, aber so gewesen sein könnten, zum Beispiel die kleine Liebesgeschichte vor seiner Reise nach Wien, oder das Treffen mit Mozart.
Beethoven und Mozart kommen in mehreren Filmszenen zusammen. Dabei weiß die Forschung gar nicht, ob sich die beiden tatsächlich begegnet sind…
Nun, ich bin in der Welt des Theaters und der Oper aufgewachsen. Daher finde ich es vertretbar, wenn man im Sinne der Dramatik eines Films in so einen Graubereich vorstößt. Klar ist, dass Beethoven zu Mozarts Lebzeiten in Wien war, um Mozart treffen zu wollen. Es ist weder belegt, dass sie sich getroffen haben, noch ist das Gegenteil belegt. Ich denke aber, dass es durchaus wahrscheinlich ist.
Sie haben also nicht die Sorge, dass der Film dieses Treffen für Zuschauer als historischen Fakt manifestiert?
Als passionierter Musikvermittler freue ich mich zuerst einmal, wenn es gelingt, mit so einem Film Menschen für die Musik von Beethoven zu begeistern. Ob diese dann glauben, dass Mozart und Beethoven sich getroffen haben, spielt für mich eine geringere Rolle. Mozarts Einfluss auf Beethoven ist ja unbestreitbar. Und im Film wird dieser Einfluss einfach personifiziert dargestellt.
Wäre „Louis van Beethoven“ ein Film, den man auch im Musikunterricht an Schulen zeigen könnte?
Absolut, da wäre ich total dafür. Der Film ist ansonsten ja wirklich sehr genau gearbeitet und hat viele Stärken, wie zum Beispiel, dass man das Orchester oder Colin Pütz tatsächlich spielen sieht – und nicht einem Double zuschaut.
concerti-Tipp:
„Louis van Beethoven“
Das Erste, 25.12.2020, 20:15 Uhr
Regie und Drehbuch: Niki Stein
Darsteller: Colin Pütz, Anselm Bresgott, Tobias Moretti, Ulrich Noethen, Ronald Kukulies u.a.