Die Diskussionen, ob Frauen für den Dirigierberuf genauso geeignet sind wie ihre männlichen Kollegin, sind – endlich – verhallt. Doch noch immer schwingt für viele ein Hauch von Exotismus mit, wenn Dirigentinnen einen Konzert- oder Opernabend bestreiten. Maria Peters beleuchtet in ihrem Film „Die Dirigentin“ das Phänomen von der historischen Seite und entführt die Kinobesucher in die Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts. In dieser Zeit nämlich trat Antonia Louisa Brico als mutmaßlich erste Frau ans Dirigentenpult. Und das nicht bei einem avantgardistischen, fortschrittlich gesinnten Amateurorchester, sondern bei den Berliner Philharmonikern. Später leitete sie außerdem das San Francisco Symphony Orchestra und das New York Philharmonic. Dennoch musste sie sich als Klavierlehrerin durchschlagen. 1942 ließ sich Brico in Denver nieder, wo sie eine Bach-Gesellschaft und das Women’s String Orchestra gründete.
Bereits im August veröffentlichte Maria Peters den gleichnamigen Roman zu ihrem Film, der nun Ende September in die Kinos kommt mit Christanne de Bruijn als Antonia Brico. Inspiriert wurde Peters vom Dokumentarfilm „Antonia: A Portrait of a Woman“ von 1974. „Wie vom Blitz getroffen“ sei sie gewesen, als sie den Film zum ersten Mal sah. Für ihren Spielfilm hat sie ihren Blick auf jene Lebensphase gerichtet, in der Brico den Entschluss gefasst hat, Dirigentin zu werden – „obwohl ein Frau in dieser Rolle zu ihrer Zeit noch unerhörter war als heute“.
Wie sind Sie das erste Mal auf Antonia Brico aufmerksam geworden?
Maria Peters: Ich habe 2001 die Dokumentation „Antonia: A Portrait of the Woman“ über sie im niederländischen Fernsehen gesehen. Der Film stammt aus dem Jahr 1974, Regie führten damals Jill Godmilow und Judy Collins. Es hat mich sehr berührt, wie Antonia Brico, die zum Zeitpunkt der Aufnahmen bereits eine betagte Dame war, über die Schwierigkeiten ihres Berufslebens sprach. Darüber, wie ihr zuerst der Studienplatz und später dann Konzertmöglichkeiten verwehrt blieben; wie sie um jede Unterstützung betteln musste, insbesondere bei ihren männlichen Kollegen. All das zog sich wie ein roter Faden durch ihr Leben.
Warum hat Sie das fasziniert?
Peters: Mein erster Gedanke war: „Das ist doch einfach nicht fair! Nur, weil man als Frau in einer bestimmten Ära geboren wird, muss man für alles kämpfen!“ Das ist heute fast genauso aktuell wie damals! Auch ihre weiteren Lebensumstände waren interessant: Ihre Umsiedlung in die USA, die unglückliche Kindheit, die sie sehr geprägt hatte, und dass sie selbst nie heiratete oder Kinder bekam. Und natürlich, dass sie im Alter von 72 Jahren durch die Dokumentation nochmals einen Karriereschub erleben durfte! Faszinierend fand ich auch ihre Stärke, ihren unbändigen Willen, das zu erreichen, was sie sich zum Ziel gesetzt hatte. Und das alles mit Charme! Außerdem wurde Antonia Brico in den Niederlanden geboren – für uns Filmemacher ist das ein wichtiger Aspekt in Bezug auf die Möglichkeit, staatliche Fördergelder für Projekte zu beantragen.
Was war aus Ihrer Sicht Antonia Bricos Schlüssel zum Erfolg?
Peters: Sie war sich von Anfang an bewusst, dass sie sich anders verhalten musste als ihre männlichen Kollegen – sonst hätte sie sich nicht genug abgesetzt und all ihre Erfolge wären darauf reduziert worden, dass man einer Frau einen Gefallen getan hätte. Und sie hatte ein weit verzweigtes Netzwerk, das war ihre Stärke! Auf ihrem Grabstein steht: „Ich werde mich nicht vom Kurs abbringen lassen“, und das ist die perfekte Zusammenfassung ihres gesamten Lebens. Sie hatte immer vor allem damit zu kämpfen, sich konstant beweisen zu müssen, und wurde häufig von Orchestern nur ein einziges Mal als „Show Act“ eingeladen. Besonders schmerzvoll war es für sie, nicht mit dem Concertgebouw-Orchester konzertieren zu dürfen, dem Orchester ihrer Heimat. Und das, obwohl sie sehr gute Kritiken für ihre Dirigate vorzuweisen und sogar mit den Berliner Philharmonikern erfolgreich zusammengearbeitet hatte.
Wie sehen Sie die Situation weiblicher Dirigenten heute? Hat sich etwas geändert?
Peters: Im Hinblick auf die Ausbildungsmöglichkeiten auf jeden Fall. Generell studieren zum Beispiel in den Niederlanden mehr Frauen als Männer. Aber nach dem Abschluss sieht es anders aus: Die Männer machen Karriere, die Frauen bleiben immer noch hinter ihnen zurück. Das liegt zum Teil an der althergebrachten Rollenverteilung, wenn es um die Familiengründung und Kindererziehung geht. In der Musik sieht die Sache noch ein bisschen anders aus. Marin Alsop hat das einmal sehr schön beschrieben. Da es nur wenige Dirigentinnen gibt, befinden sie sich unter einem Vergrößerungsglas: Jede Bewegung, jeder Schritt wird beobachtet, als wären sie seltene Tiere in einer Menagerie. Wenn ein männlicher Kollege einen Fehler macht, ist der am nächsten Tag vergessen. Bei Frauen werden Gründe, Erklärungen gesucht, manchmal bis ins Private hinein. Und es ist doch auch interessant, dass Kritiker bei Frauen – seien es Dirigentinnen oder andere Musikerinnen – immer auf das Aussehen und das Outfit hinweisen. Über den Frack eines Dirigenten spricht doch auch keiner!
Für das Projekt „Die Dirigentin“ sind Sie tief eingetaucht in die Klassikwelt – war klassische Musik für Sie schon immer ein Thema?
Peters: Ich bin nicht mit klassischer Musik aufgewachsen, habe nie ein Instrument gelernt. Und vom Dirigieren hatte ich erst recht keine Ahnung! Aber ich habe mir für den Film natürlich professionelle Berater geholt, um alles so authentisch wie möglich darzustellen. Es hat lange gedauert, das Projekt auf die Beine zu stellen – genauso wie Antonia Brico musste ich teilweise gegen Windmühlen kämpfen. Aber wir alle haben viel dabei gelernt, insbesondere Christanne de Brujin, die Antonia Brico spielt: Sie nahm sogar Dirigierstunden bei der kubanischen Dirigentin Libia Hernández. Ich selbst habe mir viel über die Klassikwelt und insbesondere über Dirigentinnen angelesen und Gespräche geführt.
Sehen Sie Parallelen zwischen Antonia Bricos Arbeit und Ihrer?
Peters: Antonia Brico hat einmal sinngemäß gesagt: „Das Orchester ist mein Instrument. Und wenn ich nicht täglich mit meinem Instrument arbeiten kann, bin ich nichts.“ Genauso geht es mir als Regisseurin: Wenn ich keine Filme drehen kann, habe ich keinen Output, man sieht nichts von meiner Arbeit, meinen Gedanken, meinen Visionen. Erst durch den physisch existenten Film wird meine Arbeit sichtbar. Es gibt Kollegen, die nicht auf finanzielle Unterstützung warten müssen, während ich mich teilweise vier oder fünf Jahre für ein Projekt einsetzen muss und sprichwörtlich Klinken putzen gehe. Ich möchte nicht überheblich klingen, aber ich tue das, obwohl meine Filme mitunter die meistgesehenen in den Niederlanden sind. Das verbindet mich mit Antonia Brico.
Normalerweise schreiben Sie Drehbücher und führen Regie. Bei diesem Film haben Sie aber auch das dazugehörige Buch geschrieben – wie kam es dazu?
Peters: Ich habe fünf Jahre lang versucht, dieses Filmprojekt auf die Beine zu stellen, und nichts klappte. Es war allerdings schon sehr viel Arbeit in die Recherche, das Drehbuch und die Vorbereitung geflossen, dass ich das Thema, dass ich Antonia Brico nicht loslassen konnte. Ich musste einen Weg finden, damit abzuschließen, und jemand schlug vor, ich könne doch einen Roman daraus machen. Nur hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie ein Buch geschrieben! Ein Verlag war schnell gefunden und man wollte mir einen Ghostwriter an die Hand geben. Nachdem ich aber probehalber fünf Seiten abgegeben hatte, war klar: Ich schreibe den Roman selbst! Doch dann kam der Clou: Wir erhielten die Zusage für den Dreh – und das Buch lag auf Eis, ich bin schließlich Filmemacherin durch und durch. Nach Drehende habe ich den Faden aber wieder aufgenommen, und nun kommen beide Projekte nahezu gleichzeitig ins Kino und in den Buchhandel.
concerti-Tipp:
Die Dirigentin (Niederlande 2018)
Ab 24.9. in ausgewählten Kinos