Wie klingt die Schönheit der Natur? Wie klingt ihre Zerstörung? Und wie klingen menschliches Gebaren und seine Auswirkungen? Stefan Winter hat eine Antwort darauf in seinem Gesamtkunstwerk „The Ninth Wave – Ode to Nature“ gefunden. Neun Gegenwartskompositionen nach Ludwig van Beethoven beschäftigen sich im Zusammenwirken mit lebenden Gemälden, Tanz und Klang mit dem Krieg Mensch gegen Natur und Mensch gegen Mensch. Reale Phänomene und Probleme verwandeln sich in eine faszinierende Klang- und Bildwelt jenseits von Oper, Film und Konzert.
„Kunst bietet die Chance, die Menschheit zu hinterfragen“
Konkreter Auslöser für das Werk war die Tragödie am 3. Oktober 2013 vor Lampedusa. „Ich setze mich mit Kunstwerken auseinander, um einen Einblick in das Innere der Menschheit zu erfahren. Diese Kompositionen, Bilder und Geschichten arbeiten wiederum in mir, im Grunde genommen, geht es immer wieder um eine neue Befragung des Gleichen“, sagt der Klangkünstler und Musikproduzent. „Kunst bietet die Chance, die Menschheit zu hinterfragen.“
Die Neun gilt als vollkommene Zahl, denn sie enthält dreimal die in vielen Kulturen als göttlich angesehene Zahl Drei. Auch Beethoven komponierte neun vollständig erhaltene Sinfonien. In „The Ninth Wave – Ode to Nature“ bilden neun einzelne, neun Minuten lange, in sich abgeschlossene Szenen eine Trilogie mit drei Hauptteilen.
Im Zentrum des Geschehens erscheinen Farben auf dem Körper von Tänzerin und Choreografin Aki Tsujita: „Unendliches Blau“, „Tiefes Grün“ und „Zone Rot“. Sie durchlebt die neun Allegorien Schöpfung, Endlichkeit, Schönheit, Verlorenheit, Flucht, Suche, Ohnmacht, Hass und Trostlosigkeit.
Die drei Elemente Musik, Geräusch und Film entstehen unabhängig voneinander, um zusammen eine neue Einheit einzugehen
Erinnerungen an Beethoven, Géricaults „Floß der Medusa“ und Dantes „Göttlicher Komödie“ werden wach. „Zusammen mit dem Komponisten Fumio Yasuda habe ich die Auswahl der Kompositionen bestimmt“, erklärt Winter. Schlüsselwerke sind unter anderem Beethovens Streichquartett Nr. 14 op. 131 und die Große Fuge op. 134, der Gefangenenchor aus „Fidelio“ sowie die „Ode an die Freude“ als Ausdruck für Freiheit, Frieden und Solidarität.
„Ich arbeite mit der Erzählkraft der Klänge, der Musik, der Farben, der Bilder und der Bewegung“, erzählt Stefan Winter. „Mich interessiert die Aufteilung in Alte Musik, Klassik und Jazz nicht. Ich höre Klangfarben.“ Die drei Elemente Musik, Geräusch und Film entstehen unabhängig voneinander, um zusammen eine neuen Einheit einzugehen.
Für „The Ninth Wave — Ode to Nature“ werden alle Geräusche mit den Händen erzeugt. „Die Kraft, der Schwung, der Druck der Hände bestimmt die Klanghöhe der Wellengeräusche, wie auch die Zartheit oder auch Aggressivität“, sagt Winter. „Das, was wir die Welt der Geräusche nennen, kann genauso gut als die Welt unseres Unbewussten bezeichnet werden. Für mich sind Geräusche Stimmen aus dem Inneren, die Erinnerungen wachrufen, die möglicherweise tief im Unterbewusstsein vergraben sind.
„The Ninth Wave – Ode To Nature“ wird live am 19. Dezember aus dem Kulturzentrum schwere reiter in München übertragen. Der Raum scheint wie geschaffen für das audiovisuelle Projekt, das seine Uraufführung im März 2020 in Tokio feierte. Das schwere reiter ist eine Industriehalle, rundherum mit schwarzem Molton ausgehängt. So entsteht ein endloser schwarzer Raum, in dem das Werk inszeniert wird.
concerti-Tipp:
Sa. 19.12.2020, 19:30 Uhr
The Ninth Wave — Ode To Nature
YouTube-Livestream aus dem Kulturzentrum schwere reiter in München
Tauffest von Ludwig van mit Geräuschkunst, Live-Musik, Performance und Film über die Schönheit der Natur und die Tragödie des Menschen
Buch und Regie: Stefan Winter / Komposition nach Ludwig van Beethoven: Fumio Yasuda / Live-Musik-Dirigent: Aarón Zapico / Klavier für vier Hände: Ferhan & Ferzan Önder / Klarinette: Joachim Badenhorst / Bassklarinette: Gareth Davis / Viola: Kelvin Hawthorne & Klaus-Peter Werani / Geräusche: Mathis Nitschke & Stefan Winter / Tanz & Choreografie in der Filminstallation: Aki Tsujita