Eine ganze Generation Europas ist von den traumatischen Erfahrungen des Ersten Weltkriegs geprägt worden. Die meisten der unzähligen Einzelschicksaale, deren Summe in die Geschichtsbücher einging, sind nie erzählt worden. Am 11. November 1918 endeten die Auseinandersetzungen, in die 40 Staaten verwickelt waren und denen Schätzungen zufolge 17 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Doch auch danach hatten Überlebende noch lange mit ihren Erlebnissen zu kämpfen. Viele standen im Bann des sogenannten „Shell Shock“ (Granatenschock), im Volksmund als „Kriegszittern“ bekannt. Diese Form posttraumatischer Belastungsstörung ließ viele Betroffene unkontrolliert zittern.
Kriegsmusik für den Frieden – „Shell Shock“
Der belgische Komponist Nicholas Lens hat dieses Phänomen einer 2014 uraufgeführten Oper zu Grunde gelegt. Der Australier John Cage hat den Text in zwölf Gesängen angelegt, die von Waisen, Deserteuren, Soldaten, Müttern und Krankenschwestern erzählen und somit individuelle Tragödien auf die Bühne bringen. Die Neuinszenierung in der Pariser Philharmonie versammelt als Zeichen des Friedens Künstler aus der ganzen Welt.
So hat der flämisch-marokkanische Sidi Larbi Cherkaoui für „Shell Shock“ die Regie übernommen und zudem die Choreografie erarbeitet. Der libanesisch-polnische Bassem Akiki Dirigent leitet das Orchestre Philharmonique de Radio France, es singen der Chor der schlesischen Oper und der Trinity Boys Choir. Auch die Gesangssolisten bilden mit der Belgierin Laurence Servaes, der Britin Sara Fulgoni, dem saudischen Countertenor Magid El-Bushra, dem Amerikaner Mark S. Doss und dem Franzosen Sébastien Droy ein internationales Team.
70 Millionen Menschen auf der Flucht
Während die Handlung und die Musik die Kriegskatastrophe eindringlich erfahrbar machen, sind sie zugleich ein künstlerisches Plädoyer gegen militärische Gewalt. In unruhigen Zeiten, in denen laut Zahlen der UNO weltweit fast 70 Millionen Menschen auf der Flucht sind und in denen der Nationalismus weltweit erneut Fuß zu fassen beginnt, ist „Shell Shock“ keineswegs ein Fazit zum europäischen Gestern, sondern ein hochaktuelles Statement.
Sehen Sie hier Bassbariton Mark S. Doss in „Shell Shock“:
concerti-Tipp:
Shell Shock, A Requiem of War
Sa. 10.11.2018, 22:50 Uhr
arte