Die Titelfigur bringt es auf den Punkt: „Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.“ Und menschliche Abgründe tun sich in Büchners düsterem Dramenfragment „Woyzeck“ so einige auf. Vor allem der ständig getriebene, am Rande des Wahnsinns stehende Protagonist – ein braver Soldat, der zum Sündenbock des gesamten Gesellschaftssystems deklariert und schließlich zum Mörder wird – vereint alles, was den traurigen Prototyp der Armutsbevölkerung der Neuzeit ausmacht. Alban Berg ließ sich unter den Eindrücken des Ersten Weltkriegs von Büchners destruktivem Werk zur Komposition einer grandiosen Oper hinreißen. Als erstes atonales Opernwerk leitete Bergs „Wozzeck“ bei seiner Uraufführung 1925 in Berlin unmittelbar die musikalische Moderne ein.
Direkt in den krankhaften Kopf des Wozzeck
Bei seiner dritten Produktion für das Festival d’Aix-en-Provence (2014 war dort seine Inszenierung von Mozarts „Zauberflöte“, 2017 von Strawinskys „The Rake’s Progress“ zu erleben) hat sich nun der britische Regisseur Simon McBurney des schaurigen Stoffes angenommen und führt das Publikum im Grand Théâtre direkt in den zwanghaften, krankhaften Kopf Wozzecks hinein. Ebenfalls schon mehrfach bei den renommierten südfranzösischen Opernfestspielen zu Gast waren Dirigent Sir Simon Rattle und sein London Symphony Orchestra, die sich in diesem Jahr den donnernden Abgründen in Bergs Partitur stellen. Die Titelpartie singt Christian Gerhaher.
concerti-Tipp:
Berg: Wozzeck
Festival d’Aix-en-Provence
Simon Rattle (Leitung), Simon McBurney (Regie)
Do. 13.7.2023, 23:55 Uhr
Arte