Ich stehe vor der Abtei in Nordhain – Level 1, Mensch, Paladin. Meine erste Quest: Den Wald von Wölfen säubern, die die Bewohner der Abtei bedrohen. Ich schleiche mich durch den idyllisch grünen Wald, streune zwischen den Bäumen umher und stelle meine Gegner. Um mich herum: Musik. Hohe Streicher mit einer einsamen Oboe – so einsam wie ich auf meiner Quest. Die Stimmung wird dramatischer, Hörner treten hinzu, Percussion und Harfe – der vermeintliche Frieden scheint getrübt, ich lasse die Gedanken schweifen… und schon stehe ich in einem Lager voller Level 10 Murlocs, die mich laut aufheulend durch das Dickicht jagen!
Für diejenigen, für die das alles böhmische Dörfer sind: Wir befinden uns im Massively Multiplayer Online Role-Playing Game “World of Warcraft”. So oder so ähnlich beginnt manch ein Gamer die Karriere seines Spiel-Charakters, doch die wenigsten achten bei ihren täglichen Sessions auf die Musik. Ein großer Fehler, steckt doch hinter jedem noch so kleinen Soundschnipsel oder groß orchestrierter Schlachtengetümmel-Untermalung kein Computer, sondern ein waschechter Komponist. Jahrzehntelang fristeten Künstler wie Russell Brower (Word of Warcraft), Koji Kondo (Super Mario Bros., The Legend of Zelda), Kow Otani (Shadows of the Colossus) oder Nobuo Uematsu (Final Fantasy) ein Schattendasein. Die optische Wahrnehmung der ausgetüftelten Grafik überdeckte beim Spielen nur zu oft den feinsinnigen, exakt auf die Szene zugeschnittenen Soundtrack.
Vom Game Boy zum Orchester
Dabei ist die Musik in Video-Games eigentlich ein großer und wichtiger Teil des Storytellings. Ähnlich wie bei Richard Wagner gibt es Leitmotive, Figuren werden konkrete Themen zugeordnet und variiert, sofern die Charaktere in unterschiedlichen Situationen auftreten. Und aus der anfänglichen, quälend fiependen 8-Bit-Game-Boy-Melodie sind mittlerweile groß angelegte Orchesterpartituren geworden. Auch die allgemeine Wahrnehmung hat sich zunehmend gewandelt, und immer häufiger trifft man das Genre Videospielmusik auch in den Musik-Charts an. Oder in Konzerthäusern.
Videospielmusik im Konzerthaus
Denn insbesondere die Werke von Nobuo Uematsu, der 1987 für die Erstausgabe der Kultreihe “Final Fantasy” an besagter 8-Bit-Maschine zu komponieren begann, hat es mit seiner Musik in die großen Hallen geschafft. Seine sinfonischen Dichtungen werden weltweit von renommierten Orchestern aufgeführt. Doch was ist der Reiz daran, Videospielmusik im Konzert zu hören? Diesem Phänomen spürt Michael Wende für arte nach und begleitet unter anderem das Münchner Rundfunkorchester bei seiner Aufführung von Uematsus “Symphonic Poem”. Zudem trifft er den Pianisten und Gamer Benyamin Nuss und spricht mit Dirigent Eckehard Stier über das junge Genre, das so viel mehr ist als pure Begleitmusik.
concerti-Tipp:
Video Game Music
Michael Wende (Regie)
Arte 3.6., 18:25