Schon als Kind faszinierten ihn die Irrfahrten des Aeneas. Jahrelang träumte er von einer „großen Oper im shakespearischen Stil“ über dieses Thema. Doch es sollten Jahrzehnte vergehen, bevor eines der größten Musiktheaterwerke Premiere feiern konnte. Mit „Les Troyens“ erfüllte sich Hector Berlioz einen Traum, den er jedoch zu Lebzeiten nie genießen konnte und der zudem bittere Enttäuschungen für ihn bereithielt. Heute vor 150 Jahren ist der leidenschaftliche Komponist in Paris gestorben.
Geboren wurde Hecor Berlioz am 11. Dezember 1803 in La Côte-Saint-André, ein kleines Städtchen zwischen Lyon und Grenoble. Getauft wurde er auf den schon damals unüblichen Namen Hector, nach dem trojanischen Held aus Vergils „Aeneis“. Dafür war sicherlich sein Vater verantwortlich. Er war Arzt und Bürgermeister und zudem ein passionierter Leser, vor allem von seinen literarischen Hausgöttern Vergil, Shakespeare und Goethe, die er auch seinen Sohn gründlich studieren ließ.
Musik statt Medizin
Außerdem gehörten Lehrbücher der Anatomie zum Pflichtprogramm seines Erstgeborenen, der später einmal in die Fußstapfen seines Vaters als Arzt treten sollte. Doch letztendlich war die Liebe zur Oper stärker: Während der Aufführung einer Gluck-Oper fasste Berlioz den Entschluss, Komponist zu werden – ganz zum Leidwesen der Eltern, jedoch zum Jubel der Musikwelt.
Mit seiner „Symphonie fantastique“ gelang dem 26-jährigen Musikstudenten bereits ein Meisterwerk der musikalischen Weltliteratur, inspiriert von der Dichtung Goethes und der Sinfonik Beethovens. Es ist die „idée fixe“, die den Künstler in den Mittelpunkt rückt und der in verschiedenen inneren Gemütszuständen seine Geschichte durchläuft. Sie markiert den Beginn der „Neudeutschen Schule“, die das gesamte 19. Jahrhundert bis hin zu Richard Strauss dominieren sollte.
Hector Berlioz war auch Musikkritiker und wegen seiner spitzen Feder allerorts gefürchtet
Nach einer Aufführung der „Symphonie fantastique“ Ende 1833 lernte Berlioz den italienischer Starvirtuosen Niccolò Paganini kennen, der ihm den Kompositionsauftrag für „Harold en Italie“ gab – ein Violakonzert für seine neue Stradivari-Bratsche. Dank des Komponierens konnte Berlioz seinen Lebensunterhalt bereits einigermaßen finanzieren. Doch er lebte ohne feste Anstellung und musste sich daher bald Alternativen suchen: Er wurde Musikkritiker und war wegen seiner spitzen Feder bald schon allerorts gefürchtet.
1844 verfasste Berlioz die erste umfangreiche Instrumentierungskunde („Grand Traité d’instrumentation et d’orchestration modernes“), die 1904 von Richard Strauss revidiert wurde und teilweise bis heute noch aktuell ist. Berlioz war ein Neuerer sowie einer der visionärsten und kompromisslosesten Komponisten, ohne den die Musikgeschichte anders verlaufen wäre.
Lebenstraum Oper: „Les Troyens“
In Weimar konkretisierte er 1856 die Idee zu seinem Opernhauptwerk „Les Troyens“. Wie sein Antipode Richard Wagner, schrieb er das Libretto selbst. Die Oper war fertig, doch erst fünf Jahre später wurde eine gekürzte Version aus den letzten drei Akten aufgeführt. Statt eines Gesamtkunstwerks stand Berlioz vor den Trümmern seines Lebenswerks.
Die ersten beiden noch fehlenden Akte wurden erstmals 1879 aufgeführt. Allerdings auch nur konzertant – aber da war Berlioz schon zehn Jahre tot. Er starb am 8. März 1869 in Paris an den Folgen zweier Schlaganfälle und wurde auf dem Friedhof von Montmartre begraben. Bis zur ersten Gesamtaufführung am Hoftheater Karlsruhe – ebenfalls aufgeteilt auf zwei Abende – vergingen elf weitere Jahre.
Am 17. September 1969, also erst rund 80 Jahre später, erfolgte in London schließlich die eigentliche Uraufführung von Berlioz’ „großer Partitur“. Mehr als ein Jahrhundert schien die Musikwelt mit diesem Werk überfordert gewesen zu sein. Und in der Tat sind die Anforderungen, die dieses Werk an jedes Opernhaus stellt, monumental – alleine schon, was die Besetzung betrifft. Doch für Berlioz war einzig die fünfaktige Großform der Grand Opéra mit ihrem gewaltigen personellen, bühnentechnischen und musikalischen Aufwand geeignet, seinen Lebenstraum zu verwirklichen.
Joyce DiDonato interpretiert „Adieu Fière Cité“ aus Hector Berlioz‘ „Les Troyens“: