Von einer solchen Gästeliste kann jeder Veranstalter nur träumen. Die versammelte wissenschaftliche Weltelite in Gestalt der Nobelpreisträger des Jahres 2016 mischt sich auf denkbar entspannte Weise mit den ganz normalen Begeisterten der Klassik. Nur ein Sessel im Art Deco-herrlichen Konzerthaus von Stockholm bleibt an diesem denkwürdigen Abend unbesetzt: jener des dichtenden Musikers, der zum Verdruss der Literaturkritik und bei Beglückung der Musikkritik doch tatsächlich mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde – Bob Dylan. An den Skandal des Nichterscheinens jenes Künstlers, der auf Preisgeld und Preis keineswegs verzichtet, allerdings auf die Teilnahme an dessen festlicher Überreichung, ja, an diesen Skandal haben sich die sympathisch weltzugewandten, offenen, lächelnden, so gar nicht auf Krawall gebürsteten Schweden schnell gewöhnt.
Königliche Schweden verleihen der Nobelpreis-Woche ihren musikalischen Höhepunkt
Sie feiern die Nobel Preis-Woche also ohne ihn, den ihnen ferngebliebenen Star aus Amerika. Und setzen ihrerseits ein besonderes musikalisches Zeichen – mit dem Nobelpreis-Konzert, das schon vor der offiziellen Preisverleihung am selben Ort demonstriert, wie weltklassig die Schweden nicht nur in Fragen des Designs sind, sondern in künstlerischen Dingen überhaupt. Das Royal Stockholm Philharmonic Orchestra spielte unter Gastdirigent Gianandrea Noseda und mit Stargeigerin Janine Jansen die „Pastorale“ von Beethoven, das Violinkonzert von Brahms und die Ouvertüre zu Wagners Oper „Der fliegende Holländer“.
Prall passionierte, packende Unbedingtheit
Die königlichen Schweden machten dabei so überwältigend bauchig gerundet Musik, mit so prall passionierter, packender Unbedingtheit und in einer scheinbar so ungekünstelten Naturverbundenheit, dass nicht nur die spontanen Standing Ovations der versammelten Intellektuellen am Ende des Abends wahrlich gerechtfertigt waren, sondern auch der oft langanhaltende Applaus zwischen den Sätzen, der nach der strengen Sitte der ernsten Klassik ja eigentlich verboten ist. Wenn es neuerdings auch einen Nobelpreis der Musik gäbe und das Publikum dieses Konzerts die Jury gewesen wäre: Dieses Orchester hätte ihn einstimmig zugesprochen bekommen.
Wenn die Musik für sich spricht
Seit 15 Jahren bereits rahmt dieses Konzertereignis in Anwesenheit aller Preisträger immer wieder das Ereignis der Preisübergabe festlich ein. Statt einer Laudatio nach der anderen und den obligat folgenden Dankesreden spricht hier allein die Musik, wie Maestro Noseda in wenigen Worten vor der Brahms-Zugabe kundtat. Der Italiener sprach von der Neugierde, die Musiker und Wissenschaftler zu Verwandten im Geiste mache, und dem gemeinsamen Vermögen, eine bessere Welt zu bauen.
Brahms mit Tiger-Sprengkraft
Frei von der Saturiertheit jener sattsam bekannten Klangkörper, die von einstiger Größe und Schönheit leben, erwiesen sich die Stockholmer Philharmoniker als beste Botschafter der Neugierde. Schon das romantische „Holländer“-Vorspiel gehen sie, an der Stuhlkante musizierend, so druckvoll und körperbetont an, als wollten sie sich in den Klang hineinlegen. Gemeinsam mit Janine Jansen verschreiben sie sich hernach einer grandios aufgerauten Brahms-Trotzigkeit. Wie eine wilde Tigerin springt die Niederländerin in den ersten Einsatz und gibt dem oft gehörten Stück seine gar nicht nordisch temperierte Erregtheit zurück. Sie ist keines jener Geigenmädchen, die sich am Oberflächenschönklang des Obertonzuckers fräuleinwunderbar und lieblich entlangzwitschern, sie will wissen, welche Sprengkräfte in diesem Brahms stecken, sie sucht nach Sinn hinter der Sinnlichkeit all der delikaten Doppelgriffe, muss dabei freilich nie zum Mittel der den Klang gefährdenden Dekonstruktion greifen. Ihr hoch persönlicher dramatischer Puls fußt auf dem Wissen der Partitur, nicht auf der Selbstdarstellung einer Interpretin, die schlauer sein will als das Werk. Wunderbar ausgeglichen ist die leidenschaftliche Innigkeit des Adagio, ideal ausgependelt Energie und Grazie des finalen Allegro Giocoso.
Saftige Sostenuto-Streicher
Gemessen am mitteleuropäischen Standard der historischen Informiertheit ist die bei Beethoven geübte Besetzungsüppigkeit der fulminanten Streichergruppen der Stockholmer dann durchaus ungewöhnlich. Mitreißender jedoch kann eine „Pastorale“ nicht klingen. Noseda lässt sie mit ausgeprägter emotionaler Anteilnahme und fein gestuften Crescendi spielen. Überwältigend sind die saftigen Sostenuto-Streicher, die einmal mehr den Rang eines der weltbesten Orchester unterstreichen. Aufregend ist die wuchtige Bass-Grundierung, die den Naturbildern der Sinfonie ihre ideale Erdung verleiht. Kleine Wunder entstehen, wenn die Oboensoli wie ein Naturlaut über das rein Musikalische hinausweisen.
Musik und Literatur perfekt versöhnt
Während Dylan-Vertreterin Patti Smith im offiziellen Festakt dann in Dylans alter Hymne „A Hard Rain’s a-Gonna Fall“ die Stimme versagte und die Worte fehlten, hatte sich im Konzert zuvor die Poesie des Musikalischen längst erfüllt – und dabei Musik und Literatur perfekt versöhnt. Niemand musste weinen über den einen leeren Platz und den fernen Bob vermissen. Fest steht freilich: Dylan hat mit diesem Konzert Großes verpasst.