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Opern-Feuilleton

Abschied von den Liebesgeschichten

Der Intendant der Ruhrtriennale, Heiner Goebbles, mahnt strukturelle Veränderungen der Opernproduktion an: Teil 5 der Reihe „Die Zukunft der Oper – die Oper der Zukunft“

vonAndreas Falentin,

Heiner Goebbels ist nicht nur Leiter eines der erfolgreichsten deutschen Theaterfestivals. Er ist Musiktheatermacher mit internationalem Renommee, Komponist von Stücken wie Landschaft mit entfernten Verwandten und Stifters Dinge und seit 1999 Professor am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Universität Gießen. Engagements an deutsche Opernhäuser lehnt er jedoch grundsätzlich ab. „Die Oper ist als Institutionsform viel zu arbeitsteilig, viel zu komplex und viel zu hierarchisch strukturiert, um als Labor zu taugen, in dem man etwas Neues erfinden kann.“ Goebbels sieht die Stadttheater auf dem Weg zu „Museen der Oper“ mit rein konservierender Funktion und betrachtet das Regietheater als „merkwürdigen Konkurrenzkampf zwischen der Partitur und den Ideen der Regisseure“, aber kaum als Ausweg aus der Stagnation.

Das Publikum ist wichtiger als die Ideen der Komponisten

„Wir müssen die Struktur ändern, uns von den Liebesgeschichten verabschieden und von den Identifikationen, die immer mit den Protagonisten stattfinden sollen. Wir müssen andere Klänge finden, vor allem aber andere Erzählformen, in denen die Wahrnehmung des Publikums wichtiger wird als der Ideenreichtum des Komponisten.“ Die dringend notwendige Erneuerung kann laut Heiner Goebbels nicht von einem „permanenten, oberflächlichen Uraufführungskarussell“ ausgehen, sondern von der „Beschäftigung mit den wegweisenden strukturverändernden Opernkonzepten des 20. Jahrhunderts“. So wird er bei der Ruhrtriennale auch in seinem letzten Intendantenjahr keine Musiktheateruraufführung anbieten. Goebbels lässt vielmehr Stücke spielen, die er von ihrer musikalischen und dramaturgischen Struktur her für wesentlich und vor allem für zukunftsfähig hält. Mit ihnen versucht er das Ideal einer totalen, aber nicht beliebigen Offenheit des Kunstwerks zu verwirklichen.

Das Ideal der totalen Offenheit des Kunstwerks

Ein großer Schritt in diese Richtung waren die 2012 produzierten Europeras. Der amerikanische Komponist John Cage dividiert hier die Komponenten von Opernproduktion auseinander. Sänger singen eine Arie, sind wie eine ganz andere Figur kostümiert und agieren in einem wieder anderen Bühnenbild. Auch die Musiker musizieren getrennt voneinander. Goebbels spann die Idee noch weiter, staffelte ständig mehrere Bühnenbilder in die Tiefe des Raumes der Bochumer Jahrhunderthalle und zeigte die Sänger sogar beim Kostümwechsel und beim Umschminken. Die Menge der gesetzten Reize nahm den Zuschauer in die Verantwortung. Er musste sich seine Bilder, seine Geschichten selektiv zusammenstellen. So sah wohl jeder einen anderen Theaterabend.

Und Heiner Goebbels wurde ergriffen vom faszinierenden Zentrum der Oper, dem Gesang. „Da habe ich die Opernstimme erst liebgewonnen. Ich habe gemerkt, es ist überhaupt nicht die Stimme, die mich von der Oper abhält. Es ist die Vervielfältigung von Illustration und Ausdruck, die durch Orchester, Figur, Kostüm, Gestik und Bühne auf vielen Ebenen gleichzeitig stattfindet und dem Zuschauer so wenig Raum lässt, dazwischen zu kommen.“

Eine neue Architektur: Musik baut Räume zum Nachdenken

2007, lange vor diesem Erlebnis, produzierte Goebbels mit Stifters Dinge sein wohl extremstes Musiktheater, eine musikalisch-kinetische Rauminstallation ohne Darsteller. Stifters Dinge wurde zum Welterfolg zwischen Neuseeland, Argentinien und der Ruhrtriennale. Wegen der totalen Offenheit, der Abwesenheit von definiertem Ausdruck? De Materie des Holländers Louis Andriessen, 1989 uraufgeführt, danach nie wieder inszeniert und 2014 Eröffnungsproduktion der Ruhrtriennale, knüpft daran an. „Eine stellenweise menschenleere Oper“, beschreibt Goebbels.

„Für mich ist die Musik dieser Oper wie Architektur, weil sie Räume baut, in denen wir nachdenken und empfinden können.“ Dagegen setzt er Feldmans Anti-Oper Neither und ein hochinteressantes Sängerprojekt: der Schweizer Theatermacher Boris Nikitin geht für Sänger ohne Schatten von den Biographien dreier Opernsänger aus und wird versuchen dieses dokumentarische Material der „Maschinerie des Theaters“ und den überkommenen Mitteln der Oper großformatig theatralisch aufzubereiten. Heiner Goebbels geht also seinen Weg der Idee eines sinnlichen, offenen Musiktheaters konsequent weiter, so unbeirrt wie lernwillig.

Die Festivaldaten im Überblick:

Zeitraum: 15.8. – 28.9.2014

Orte: Duisburg, Essen, Bochum, Gladbeck

Termine und weiterführende Infos finden Sie hier.

 

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