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Opern-Feuilleton

Oper als Lebensfeier

Die Festivals in Bregenz und Glyndebourne machen nicht Regietheater für die Presse, sondern Oper fürs Publikum

vonPeter Krause,

Zwei ältere Damen mit Hut haben sich die beschattete Parkbank als Pausen-Zuhause gewählt; an der Schaf-Weide hat ein junges Paar sein fein gedecktes Tischlein aufgestellt, während der rundliche Churchill-Typ im Dinner Jacket leicht gebeugt das Außen-Foyer abschreitet: So viel Individualismus wäre in Salzburg undenkbar. Doch in Glyndebourne lebt das Publikum eine kreative Kontrastdynamik – aus Smoking und Schottenrock, Champagner und Klappstühlchen, Opernfreaks und -neulingen. In den 90-minütigen Picknick-Pausen wird viel gelacht, man lustwandelt um den seerosenbeschirmten Teich oder lobt im Kreis der Freunde die mitgebrachten kulinarischen Köstlichkeiten.

Wer das führende Opernfestival auf der britischen Insel besucht, das uns in diesem Sommer schlichtweg als das beste der Welt vorkam, der gönnt sich eigentlich ein ausgelassenes Picknick auf dem Lande mit integrierter Opernvorstellung der Extraklasse. „Glyndebourne“ ist ein Zauberwort, das man – wie hierzulande nur für „Bayreuth“ üblich – auch ohne den Zusatz „Festival“ versteht. Und doch ist der volle Name vielsagend: „Glyndebourne Festival Opera“ und eben nicht „Opera Festival“ heißen die Festspiele – ein Produzent festlicher Oper. Diese Idee lenkt den Blick von den Spielern auf der Bühne auf das mitspielende Publikum, denn eine Party lebt nun einmal von der Generosität der Gastgeber wie von der Klasse ihrer Gäste – ihrer Persönlichkeit, ihrer Freude, sich gemeinsam eine Atempause vom Alltag zu gönnen: Festspiele als Lebensfeier.

 

Ohne Salzburger Star-Gewese

 

Vor 80 Jahren von John Christie und seiner singenden Gattin Audrey Mildmay auf ihrem Landgut im östlichen Sussex ins Leben gerufen, bestechen die in dritter Generation familiär verantworteten Festspiele durch ihr ganz eigenes Gepräge. Das Understatement des Publikums, das dem kontinentalen Sehen und Gesehen-Werden fast gar keine Bedeutung beimisst, findet sich im Selbstverständnis der Macher wieder: Hier gibt’s kein Salzburger Star-Gewese, hier wird das Fest selbst zum Ereignis. Die Sänger sind fulminant, aber meist noch Geheimtipps.

So wird Glyndebourne, da Salzburg in dieser Hinsicht gerade schwächelt, zum Mozart-Mekka. Das London Philharmonic Orchestra vermittelt unter Andrés Orozco-Estrada in jeder Pore der Don Giovanni-Partitur die Inspiriertheit der Oper aller Opern. Jonathan Kents Inszenierung erfindet das Wunderwerk nicht neu, er verlegt das Geschehen behutsam ins Umfeld des italienischen Kinos der späten 50er Jahre. In Mozarts pubertärer La finta giardiniera führt Frederic Wake-Walker die präzise Regie, macht das Schwanken des Frühwerks zwischen barocker Typenkomödie und Affektnatürlichkeit zum Konzept – und Musikdirektor Robin Ticciati und das Orchestra of the Age of Enlightenment betonen die Reinheit dieser Musik. Glyndebourne erobert sich locker die Deutungshoheit in Mozartdingen.

 

Klasse trifft Masse

 

Letzte interpretatorische Gültigkeit behauptet David Pountney bei den Bregenzer Festspielen nicht, wenn dort auch er auf Mozart setzt. Der sehr britische Intendant des österreichischen Festivals versöhnt in seiner Inszenierung der Zauberflöte dafür Klasse und Kasse: Sein Spiel auf dem See ist 29 Mal ausverkauft. Auch wenn der Stuntman-Aktionismus und die über dem Bodensee aufsteigenden Feuersblitze bald effektvoll verpuffen, ist sein Opern-Spektakel doch ein starkes volksnahes Vergnügen. Triumphal schafft der Festspielleiter es, das Populäre mit dem Gewagten zu verbinden – seine Absicht: Es solle das Normalste der Welt sein, in eine neukomponierte Oper zu gehen. Die jetzt aus der Taufe gehobenen Geschichten aus dem Wiener Wald setzen Pount-neys Ziel mustergültig in die Tat um. Der österreichische Universalmusiker HK Gruber, hier selbst am Pult der Wiener Symphoniker, hat auf Ödön von Horváths gleichnamiges Schauspiel eine tragikomische Oper ersonnen, die als heißer Kandidat für die „Uraufführung des Jahres“ gelten darf. Lukullisch und frech walzert es wieder in einer Oper, im Geiste eines Kurt Weill, nur natürlich viel verfremdungsfroher, als es sich Richard Strauss einst erlaubte. Die durch englische Handschriften geprägten Erlebnisse dieses Festspielsommers in seiner Balance aus Sinnenfreude und Anspruch sollten den kaum krisenfreien Konkurrenten in Bayreuth und Salzburg zu denken geben. Bregenz und Glyndebourne machen nicht Oper für die Presse, sondern Oper fürs Publikum, laden uns ein, gemeinsam ein Fest zu feiern.

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