Die Primadonna sitzt an ihrem Schminktisch und sinniert – über bessere Zeiten dieses sichtlich in Schieflage gekommenen Theaters. Die alte Truppe haust hier zwar noch, Vorstellungen finden freilich keine mehr statt. „Wüste Insel“ und verlassenes Theater spiegeln einander. Der Erste Weltkrieg ist ausgebrochen, wir erleben die Entstehungszeit der Oper. „Ein Schönes war“ singt Ariadne über die Vergangenheit mit ihrem einstigen Liebhaber Theseus: Hier beklagt nun auch die Sängerin – nicht nur die von ihr dargestellte Figur – ihr Schicksal: Das liegt nicht nur im Liebesverlust, sondern auch in der schwindenden Kreativität, die unsere Diva, in Depression versunken, seit dem Tod des Komponisten schmerzlich vermisst. Eine Frau sucht psycholanalytisch sich selbst, animiert auch die dauerkokette Zerbinetta dazu, die sie vor ihr Spieglein der Erkenntnis zerrt.
Regisseur Roman Hovenbitzer spielt turbulent, klug und witzig mit den Ebenen dieses Meisterwerks von Hofmannsthal und Strauss, er belässt es nicht beim vorgegebenen Spiel im Spiel, sondern spitzt die Versuchsanordnung dieser Oper über die Oper noch zu, deren wundervoll wahnsinniges Utopiepotenzial er am doch noch guten Ende als Rettung der Kunst durch die Welt zelebriert: Fürwahr auf dem Flügel des Gesangs entschwebt die Primadonna mit ihrem Tenorhelden, der in die Theaterbude als Kranfahrer mit einer Abrissbirne hineingeraten war. Wie im falschen Film gelandet erlebt er in der ihm gleichsam zugefallenen Liebe mit Ariadne die gegenseitige Verwandlung. Die beiden erkennen einander gar nicht, schreiben sich stattdessen neue Identitäten zu und entdecken in diesem Akt der genuin kreativen Konstruktion die gemeinsame Chance von „Ein Schönes wird“. Hofmannsthals philosophisch hochtrabende Idee der „allomatischen“ Verwandlung wird verblüffend einfach konkretisiert.
Szenisch ambitioniert und musikalisch geglückt
Dazu tönt aus dem Graben des Kieler Theaters ein Strauss-Zauber von berückender Wirkungsmacht. GMD Georg Fritzsch ist ein Strauss-Dirigent von Gnaden, ein Strauss-Enthusiast auch, der den Philharmonikern der Landeshauptstadt perfekt vermittelt hat, wie man in dieser Partitur hellwach punktgenau zwischen quicklebendig gackerndem Konversationston und blühender, von agogischer Generosität getragener Emphase umschalten muss. Den traumwandlerischen Wechsel von Buffo-Manier und Seria-Sehnsucht praktiziert auch das perfekt harmonierende, von Studienleiterin Bettina Rohrbeck höchst präzise vorbereitete Sängerensemble.
Schon im Vorspiel es ist eine Wonne, die scharfen Portraits der groß besetzten kleinen Partien zu genießen – dem bassgewichtigen Türsteher-Lakaien von Marek Wojciechowski oder dem charaktertenoral geschärften Tanzmeister des Fred Hofmann. Jörg Sabrowski ist ein baritoneloquent fürsorglicher Musiklehrer, seinen Schützling, den Komponisten, gibt Stephanie Atanosov mit anrührender Mezzowärme als herrlich burschikosen Sympathieträger. Hye Jung Lee singt eine koloraturenblitzend souveräne Zerbinetta. Lori Guilbeau gibt ihr fulminantes Deutschland-Debüt als jugendlich sopranflutende Ariadne – da ist eine Strauss-Stimme mit großem Potenzial zu bestaunen. Den Bacchus singt Sung Kyu Park mühelos tenorschmelzend mit feiner Differenzierungskunst. Diese Ariadne ist eine szenisch ambitionierte, musikalisch beglückende Feier zum 150. Jubeljahr des großen Richard Strauss.
Theater Kiel
Strauss: Ariadne auf Naxos
Georg Fritzsch (Leitung), Roman Hovenbitzer (Inszenierung), Norbert Ziermann (Bühne), Anna Siegrot (Kostüme), Lori Guilbeau, Hye Jung Lee, Stephanie Atanasov, Sung Kyu Park, Jörg Sabrowski
Weitere Termine: 25.5., 5., 12., 25. & 28.6.