Just als die ersten blanken Busen das Privatfernsehen des fast vereinigten Deutschland zierten, brachte Harry Kupfer den Venusberg aus Wagners Tannhäuser als genialisch gewagte Mischung aus griechischer Antike und zeitgenössischem Strip auf die Bühne – mit einem wild wuselnden Bewegungschor, der in seinen Mythos und Sadomaso vereinenden Kostümen eindeutig zweideutig nahelegte: Die hohe Geistlichkeit und die strammen Militärs, die im Sängerkrieg des zweiten Aufzugs entrüstet auf Anstand und reine Liebe pochen und den fleischeslustigen Herrn Heinrich Tannhäuser verdammen, all jene doppelmoraligen Spießer also, sind des Nachts doch allzu gern im Venus-Puff weilende Gäste. Freilich maskiert und folglich unerkannt frönt man dort dem überreichen Angebot des Sexus, dem der dem mythischen Orpheus verwandte Künstler Tannhäuser längst gelangweilt sein „Zuviel, zuviel“ zuruft.
Kupfers Konzept geht grandios auf
Jetzt, ein Vierteljahrhundert später, steht die Inszenierung als Wiederaufnahme erneut auf dem Spielplan. Ein willkommener Aufreger sind die Billig-Videos im Venusberg heute auch für ältere Herren nicht mehr. Das Konzept von einst aber geht weiter grandios auf. Wagners dualistisches Weltbild aus Liebeshölle und Wartburgmoral wird im Lichte der Gegenwart gleichermaßen ernstgenommen wie klug gebrochen: Hans Schavernochs graue, wuchtige Wände bugsieren die Wanderer zwischen den Welten flugs hin und her. Hure und Heilige, Venus und Elisabeth, sind mit ihren nur in Nuancen variierten roten Perücken die beiden Seiten einer liebenden Frau. Zwischen Schuldigen und Unschuldigen ist kaum zu trennen. Nur Tannhäusers treuer Freund Wolfram ist in seinem feschen Kamelhaarmantel noch unberührt von den Qualen und Widersprüchen des Lebens, er ahnt mehr unbewusst, dass seine heimliche Liebe zu Elisabeth auch eine körperliche Komponente haben könnte: Mit seinem „Lied an den Abendstern“ besingt er schließlich ein Gestirn namens Venus.
Der Staatsopernchor strahlt wieder
Natürlich sind heute nicht mehr alle Nuancen der Regie sichtbar. Kupfers Können, szenische Impulse unmittelbar aus musikalischen Akzenten abzuleiten, ist aber immer noch zu erkennen. Stark wirkt auch jetzt noch die Höhen und Tiefen des Geschlechterkampfes auskostende Beziehungskiste zwischen Venus und Tannhäuser. Eine köstliche Vorführung von Gesellschaftsspielchen ist erneut der Einzug der Gäste. Dank des Wirkens von Bayreuths Chorchef Eberhard Friedrich stimmt hier zudem die musikalische Seite. An seiner Hamburger Wirkungsstätte sorgt Friedrich dafür, dass der Staatsopernchor nach schwächelnden Jahren wieder in homogener vokaler Pracht und Prallheit strahlt. Auch die Philharmoniker unter Bertrand de Billy haben einen guten Abend. Der Gastdirigent stellt eine selten so gehörte Balance zwischen Bühne und Graben her, aus dem viele fein phrasierte wie sängerfreundliche Wagnerwonnen kommen.
Hoch problematische Besetzung der Hauptpartien
Allein die Besetzung der Hauptpartien ist ein riesiges Problem. Denn eigentlich sind nur der blitzsauber intonierende Hirt von Opernstudio-Sopran Christina Gansch und der dynamisch differenzierende, jugendliche Landgraf von Wilhelm Schwinghammer dem Rang des Hauses würdig. Manuela Uhl rückt zwar ihre Elisabeth ins musikalische, szenische und seelische Zentrum des zweiten Aufzugs, wunderbar anrührend gestaltet sie eine ihrer selbst und ihrer Liebe sichere junge Frau. Doch für die zuvor gesungene Venus mangelt es ihr an erotisch glühenden und eben tiefer liegenden Mezzofarben. Der wackere und aufrichtige Lauri Vasar singt zwar grundehrlich und verständig, ihm fehlen nur leider fast gänzlich Wolframs Wärme, Wolframs Bariton-Balsam und Wolframs legatoströmende Lied-Innigkeit. Ensemblemitglied Vasar erspart der Staatsoper eine Gastgage – doch von dem hier zuletzt brillierenden Michael Volle oder den an vergleichbaren Häusern gastierenden Kollegen Gerhaher oder Goerne trennen ihnen Welten.
Und wie schlägt sich Bayreuths Siegfried Lance Ryan in der Titelpartie? Bewunderung lösen allein die höhensicheren, so unbequem liegenden „Erbarm Dich mein“-Rufe im Finale des zweiten Aufzugs aus. Ansonsten mogelt er sich zumindest geschickt und musikalisch intelligent durch die mörderische Partie. Seiner charaktertenoral quäkenden Stimme geht ein funktionierendes Piano und eine heldentenorale Mittellagengrundierung mittlerweile schmerzlich ab. Der von Richard Wagner einst erträumte „vaterländische Belcanto“ ist bei Lance Ryan – dem erst 43 Jahre jungen Sänger – einem unschönen „Bell-Canto“ gewichen.
Hamburgische Staatsoper
Wagner: Tannhäuser
Ausführende: Bertrand de Billy (Leitung), Harry Kupfer (Inszenierung), Hans Schavernoch (Bühne), Reinhard Heinrich (Kostüme), Manuela Uhl, Lance Ryan, Lauri Vasar, Wilhelm Schwinghammer, Christina Gansch, Philharmoniker Hamburg, Chor der Staatsoper Hamburg
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