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Opern-Kritik: Oper Frankfurt – Paul Bunyan

Böse neue Welt

(Frankfurt am Main, 9.10.2016) Brigitte Fassbaenders treffliche Inszenierung von Brittens Bühnen-Erstling

vonKirsten Liese,

Ein riesiger Mund, umflort von einem Stoppelbart, schwebt in einer Baumkrone unter dem Bühnenhimmel. Mehr ist von Amerikas mythischem Volkshelden Paul Bunyan, der angeblich mit seinem blauen Ochsen Babe übers Land zog, mit seinen Sieben-Meilen-Schritten die Seen in Minnesota – und mit seiner Riesenaxt den Grand Canyon schuf, nicht zu sehen. Kraft seiner Stimme leitet der Holzfäller-Riese eine Männergruppe an, ein neues Amerika zu errichten.

Zeitlose Aktualität: ein Übervater mit Allmachtsfantasien

Ohne weiteres ließen sich Verbindungen zwischen diesem Übervater und heutigen, von Allmachtsfantasien beherrschten Oligarchen wie Trump, Putin oder Erdogan aufzeigen, aber Brigitte Fassbaender ist klug beraten, in ihrer jüngsten, trefflichen Regiearbeit für die Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot auf solche konkreten Anspielungen zu verzichten. Das Stück ist, wiewohl bei der Uraufführung im New Yorker Exil im Jahr 1941 ein Misserfolg, mit seinen ambivalenten Betrachtungen über Amerika trotz märchenhaften Anflügen modern genug, mehr noch: zeitlos aktuell.

Die kulturlose Neue Welt

Jedenfalls schwebten Benjamin Britten und seinem Librettisten W.H. Auden in ihrem Bühnen-Erstling mitnichten ein reines Hohelied auf den amerikanischen Traum und die unternehmungslustigen Tüchtigen an. Sie selbst waren von der „Neuen Welt“, in die sie 1940 vor dem Krieg aus Europa geflohen waren, viel zu enttäuscht. Sie erschien ihnen kulturlos, chauvinistisch, oberflächlich und hässlich. Brigitte Fassbaender bringt diese unterschiedlichen Aspekte geschickt zusammen. Ihr Paul Bunyan ist zugleich Captain America, Big Brother und ein skrupelloser Waldvernichter. Vergnügt tanzen die Holzhacker in ihren Karohemden (Kostüme: Bettina Munzer) auf Johannes Leiackers Bühne zwischen Andy Warhols überdimensional großen, halb zerbeulten Suppendosen von Campbells. Das industrielle Massengut hat die Natur längst überformt.

Aufbegehren gegen die immergleiche Bohnensuppe

Bei aller Aufbruchstimmung bleiben aber auch Konflikte in der Kommune nicht aus. Die Männer begehren gegen die immergleiche Bohnensuppe auf, der Buchhalter träumt von europäischen Kulturwerten, der starke Vorarbeiter misst erfolglos seine Kräfte mit dem Allmächtigen. Die Verhältnisse ordnen sich erst wieder, als Bunyans Tochter und ein neuer Koch ein Paar werden. Am Ende avancieren die Lumberjacks zu braven Farmern, der Vorarbeiter Helsen wechselt in die Regierung und Buchhalter Inkslinger als Kreativer nach Hollywood. Bunyans Appell an die gesellschaftliche Verantwortung jedes Einzelnen verhallt beim ausgelassenen Weihnachtsschmaus.

Wunderbarer Zwitter des Musiktheaters

Als wertvolle Entdeckung empfiehlt sich Paul Bunyan unbedingt auch musikalisch. Anklänge an Bernstein, Gershwin, Copland und Weill finden sich in der patchworkartigen Partitur, daneben aber auch immer wieder komplexe Chorsätze, skurrile Bläsersoli und schwierige Ariosi. Und als wäre das noch nicht genug, kommt auch noch ein Balladensänger dazu, der mit Westerngitarre in Folk-Songs darlegt, wer dieser Paul Bunyan eigentlich ist. Eine Operette im klassischen Sinne ist dies nicht, vielmehr ein Zwitter zwischen zeitgenössischer Oper und Musical.

Tolles junges Ensemble

Die Sänger für ihr treffliches, homogenes, 32 -kopfstarkes Vokalensemble hat Brigitte Fassbaender überwiegend aus dem Opernstudio rekrutiert, rundum wunderbare Stimmen! Mit dem Tenor Michael McCown als nachdenklichem Buchhalter Johnny Inkslinger, dem Bariton Sebastian Geyer als Macho Hel Helson und der Sopranistin Elizabeth Sutphen als Bunyans Tochter Tiny waren zudem typensichere Protagonisten an Bord, die an der pointenreichen, skurrilen Produktion sichtlich ihren Spaß hatten. Den Rest an Frische bescherte zur Premiere das mit Verve aufspielende Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter Nikolai Petersen.

Oper Frankfurt

Britten: Paul Bunyan

Nikolai Petersen (Leitung), Brigitte Fassbaender (Regie), Johannes Leiacker (Bühne), Bettina Munzer (Kostüme), Biber Herrmann, Nathaniel Webster, Michael McCown, Elisabeth Sutphen, Michael Porter, Ingya Hwang, Jeremy Bowes, Sebastian Geyer, Mikolaj Trabka, Sydney Mancasola, Julia Dawson, Cecelia Hall, Ludwig Mittelhammer

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