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Opern-Kritik: Verbier Festival – Falstaff

Bryn Terfel, der große Verführer

(Verbier, 29.7.2016) Mit Verdis Falstaff zeigt das Verbier Festival, dass es mehr als sensationelle Konzerte mit Welt- und Nachwuchsstars zu bieten hat

vonPeter Krause,

Zwei Weinfässer, einen Wandschirm, einen Sessel und natürlich einen überdimensionalen Wäschekorb, in dem sich der dicke Ritter auf seiner Frauenjagd verstrecken kann – mehr braucht es gar nicht, um Verdis geniales Spätwerk auf die Bühne zu bringen. Die Bühne ist in diesem Fall die Salle des Combins, ein gigantisches Zelt, das dem Verbier Festival als seine größte Spielstätte dient. Parallel tritt an diesem Abend das Quatuor Ébène in der Kirche des Schweizer Bergdorfs auf, als Late Night bei freiem Eintritt sind daselbst exzellente Nachwuchsmusiker mit Kammermusik zu erleben, am Vormittag haben sich dort drei Weltstars zum spontanen Trio vereint: Geiger Leonidas Kavakos, Cellist Gautier Capuçon und Pianist Daniil Trifonov gaben Schumann, Rachmaninow und Smetana.

 

Die Shakespeare-Figur wird zu einem späten Don Giovanni

 

Top Act des Tages aber ist und bleibt die Aufführung des Falstaff. Die Titelpartie ist mit Bryn Terfel besetzt: Da ist also ein Waliser zu Gast im Wallis und genießt es sichtlich, im Urlaubsambiente dieser traumhaften Bergwelt seine Paraderolle zu geben. Singt der Bass-Bariton-Hühne in London oder München mit ausgestopftem Bauch den ältlichen und natürlich bitter scheiternden Frauenhelden, erhält die Figur bei aller Authentizität dieses grundsympathischen Genussmenschen dennoch etwas Peinliches. Das Falstaff-Klischee vom lächerlichen Fettwanst ist halt schwer zu umgehen. In Verbier freilich funktioniert eben dies. Denn die Reduktion von Kostümen und Requisiten auf das Wesentliche in Verbindung mit der gewieften Regie des einstigen Rossinisängers Claudio Desderi bewirkt, dass Falstaff bei allem Spaß auf Erden, der hier fugenfinal beschworen wird, sehr wohl eine ernst zu nehmende Gestalt und kein Ritter von der traurigen Gestalt ist. Die Shakespeare-Figur wird hier gleichsam zu einem späten Don Giovanni. Dem fließt sehr wohl noch Mannessaft in den Gliedern, so empört die zu verführenden Damen angesichts seiner Nachstellungen auch tun mögen, so sehr wäre sein Erfolg doch denkbar. Ja, man möchte diesem Falstaff durchaus gönnen, dass der eifersüchtige Gockel Ford doch einen echten Anlass hätte, sich gehörnt zu fühlen, wovon die Hörner im Orchester sehr wohl ein Lied singen können.

 

Falstaff ist das inkarnierte Lustprinzip

 

Bryn Terfel ist also das inkarnierte Lustprinzip. Man nimmt diesem Sanguiniker in jeder Faser seines Seins und jeder Phrase seines Singens ab, dass er ein großer Verführer ist. Terfel, diese genialische Rampensau, durchdringt die Partie mit einer stimmlichen Wucht und einer deklamatorischen Differenzierung, die er seit seiner CD-Einspielung noch immer weiter ausgefeilt hat und mit der er selbst große italienische Rollenvertreter von einst und heute in den Schatten stellt. Wenn er nach seiner Rettung aus der Themse bibbernd um ein Glas „vin caldo“, zu Deutsch „Glühwein“ bittet, macht Terfel zwischen „vin“ und „caldo“ ein Minipause, um die Bedeutung des Adjektivs zu betonen. Denn nur heute will er ja mal einen „warmen“ Wein. Ein echter Kerl wie er würde solches Gesöff sonst garantiert ablehnen.

 

Ein Tenorino wie aus dem Opernbilderbuch

 

Naturgemäß können nicht alle Sängerinnen und Sänger auf diesem einsamen Niveau mithalten. Auf Augenhöhe mit dem Dicken allerdings singt die Quickly der Yvonne Naef, die sich im tiefergelegten Altfach deutlich wohler fühlt als in den Tagen, als sie mit der Sieglinde vom Mezzo- ins Sopranfach aufsteigen wollte. Ihre Charakterisierungskunst ist schon ein Ereignis. Ebenso das junge Liebespaar des Stücks. Ying Fang zeigt als Nanetta, was den kleinen feinen Unterschied von der handelsüblichen Soubrette zu einer bedeutenden Sängerin ausmacht: Sie phrasiert einfach herrlich musikalisch und spielt so gewitzt wie anrührend. Als ihr angebeteter Fenton ist Atalla Ayan die reine Wonne: ein schmelzender Tenorino aus dem Opernbilderbuch. Er singt jungmännisch unschuldig wie der frühe Josè Bros und mit offenen Vokalen wie weiland Pavarotti. Eine Entdeckung.

 

Reines Opernglück

 

Das Verbier Festival Orchester, das exzellente Studierende aller Länder vereint, spielt unter Jesús Lopez Cobos einen Verdi der fast schon sinfonischen Üppigkeit. Zu Beginn hätte eine Spur mehr polyphone Zuspitzung nicht geschadet, immer mehr nehmen die tollen Nachwuchsmusiker dann freilich den szenischen Sog auf und tragen ihn ihrerseits entscheidend mit. Reines Opernglück ohne Regie-Reu.

 

Verbier Festival

Verdi: Falstaff

 

Jesús Lopez Cobos (Leitung), Claudio Desderi (Regie), Bryn Terfel, Luca Salsi, Erika Grimaldi, Ying Fang, Roxana Constantinescu, Yvonne Naef, Atalla Ayan, David Shipley, Carlo Bosi, Luca Casalin, Verbier Festival Orchester

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