Weil einstmals in der Fastenzeit keine Opern gespielt werden durften, wählte Ludwig van Beethoven für „Christus am Ölberge“ die Genrebezeichnung „Oratorium“. Verbirgt sich hinter diesem 1803 im Theater an der Wien uraufgeführten Werk womöglich ein kaum bekanntes Musiktheater des Komponisten? In Bonn geht man nun dieser Vermutung nach und lässt es in der Regie von Reinhild Hoffmann auf die Opernbühne bringen. Dies ist auf jeden Fall ein interessanter Versuch, der den diesjährigen Beethoven-Feierlichkeiten eine neue, eindrucksvolle Farbe hinzufügen wird. Das Oratorium entstand vermutlich im zeitlichen Umfeld seines „Heiligenstädter Testaments“, jenem legendären Brief an seine Brüder, den Beethoven allerdings nie abschickte und in dem er etwa sein sich rapid verschlechterndes Gehör beklagte. Ihm wird in der Neuproduktion ein anderer berühmter Brief gegenübergestellt, und zwar Hugo von Hofmannsthals Brief des Lord Chandos an Francis Bacon, der auf den August 1603 datiert ist, aber 1902 erschien.
„Christus am Ölberge“ und eine Uraufführung
Darin äußert sich der fiktive Lord, der für sein literarisches Frühwerk gefeiert wurde, über seine gravierende Schreibkrise. „Mein Fall ist, in Kürze, dieser“, heißt es darin etwa: „Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen.“ Dieser Text gilt als erstes Manifest der Sprachkritik und als richtungsweisendes Dokument zu einer Konzeption von Literatur im Zeitalter der beginnenden Moderne. Autobiografische Bezüge zu Hugo von Hofmannsthal und seinem Schaffen sind so beabsichtigt wie belegt. Als Auftragswerk der Oper Bonn hat Manfred Trojahn (Jahrgang 1949) daraus die „vermutlich längste Briefszene der Operngeschichte“ gemacht, wie er selbst sagt. Sie trägt den schlichten Titel „Ein Brief“ und ist als Bühnenwerk für Bariton, Streichquartett und Orchester gestaltet. Quasi als Prolog wird es zur szenischen Interpretation von „Christus am Ölberge“ uraufgeführt. So sind hier zwei Künstler in tiefen existentiellen Krisen zu erleben, die sich in ihrem jeweiligen Metier neu orientieren müssen, was ihnen zuerst einmal Verzweiflung, Leiden und Unsicherheit einbringt, ehe sie neues Terrain erobern, formen und dem Publikum erschließen.