Erst vor zwei Wochen hatte in Bonn Berlioz‘ Benvenuto Cellini Premiere. Jetzt eröffnete dasselbe Stück die Opernspielzeit in Köln – im neuen Interimsspielort, dem in Rekordzeit bespielbar gemachten Staatenhaus auf dem Deutzer Messegelände. Vorher ist das Stück an beiden Orten nie gespielt worden – ein merkwürdiger Zufall unkoordinierter Spielplanpolitik.
In Bonn hat die Choreographin Laura Scozzi mit großem Erfolg versucht, die Gegenwärtigkeit von Berlioz‘ Debütoper zu beweisen, indem sie seine statische Tableau-Dramaturgie dynamisiert und das für französische Oper typische Sentiment mit der gebotenen Eleganz ironisiert hat. In Köln geht das katalanische Performance-Kollektiv „La Fura dels Baus“ einen vollkommen anderen Weg. Sie sehen Benvenuto Cellini als Künstler-, vor allem als Kunstdrama.
Die Handlung wird nicht erzählt, sondern auf zwei widerstreitenden Kanälen illustriert
Auf die „Fura“-typische Art und Weise wird die gesellschaftliche Rolle der Kunst emblematisiert und nahezu bloßgestellt. Die Handlung wird nicht erzählt, sondern gleichsam auf zwei widerstreitenden Kanälen bebildert. Der erste speist sich aus denkbar naiven, von der Geschichte ausgelösten Illustrationen, der zweite bietet große, durch Gründeln im historischen und kulturellen Umfeld des Werkes gefundene Bilder. Diese interagieren mit der Musik, lassen sich aber kaum gedanklich nachvollziehen.
Da nehmen im großen Theatertableau vor der Pause plötzlich quallenartige, vom Kölner Ensemble „Angels Aerials“ virtuos an Seilen durch die Luft bewegte Mischwesen die Bühne ein. Und immer wieder drängen transparente Plastikschläuche ins Bild, die kriechende Kreaturen beherbergen, Figuren ausspeien und Kunststoffhaufen zum Einsturz bringen. Das ist eindrucksvoll, aber eben nicht sinnstiftend oder zielführend, gelegentlich gar beliebig, arbeitet dennoch die schon erwähnte Statik der Dramaturgie deutlich heraus.
Kölns neuer Generalmusikdirektor faltet die Musik mit extrem nuancierter Farbpalette auf
Francois-Xavier Roth, der neue Kölner Generalmusikdirektor, hat sich für sein erstes Kölner Operndirigat die Urfassung von Benvenuto Cellini ausgesucht, nahezu dreieinhalb Stunden Musik, die er mit extrem nuancierter Farbpalette ungemein stilsicher auffaltet. Die Tempi sind eher langsam, sodass an einigen Stellen, auch wegen des ausufernden Umfangs, die Spannung verloren zu gehen droht. Dafür spielt das Gürzenich-Orchester, singt der Chor so gut wie in der Oper lange nicht mehr.
Theatralisch erwacht die Titelfigur nicht zum Leben
Als zentrales Problem von Inszenierung und Fassung erweist sich die Titelfigur. Dieser Benvenuto Cellini – das historische Vorbild ist der älteste belegte Künstler-Autobiograph – ist eigentlich ungeheuer charmant und von sich und seinem Künstlertum so überzeugt, dass er sich absolut alles herausnimmt. Er entführt die Frau, die er begehrt, er bringt einen um, der ihm Widerstand leistet, er widerspricht dem Papst. In Köln lässt einen das alles kalt. Ferdinand von Bothmer nähert sich der mörderischen Partie musikalisch überaus geschmackvoll und wird ihr mit wunderschönem tiefem Tenorregister und schönen Falsetteffekten, trotz Problemen im Registerausgleich im Großen und Ganzen gerecht. Aber theatralisch erwacht die Figur nicht zum Leben – wofür der Interpret kaum verantwortlich zu machen ist.
Starke Sänger
Ausschließlich erfreuliches bei den anderen Sängern: Emily Hindrichs (Teresa) liefert als Objekt der Begierde im unvorteilhaften Einteiler eine fast perfekte femme fragile- Studie ab. Katrin Wundsam legt Cellinis Lehrling Ascanio überraschend damenhaft an und zieht ihm dann brillant die Hosen aus. Nikolay Didenko singt den Papst mit erzenen Basstönen nahezu rollensprengend, und Nikolay Borchev wertet Cellinis Gegenspieler Fieramosca mit höhenstarkem, differenziert und nicht selten witzig phrasiertem Bariton zur Hauptfigur auf.
Oper Köln im Staatenhaus
Berlioz: Benvenuto Cellini
Francois-Xavier Roth (Leitung), La Fura dels Baus: Carlus Padrissa (Regie), Roland Olbeter (Bühne), Chu Uroz (Kostüme); Ferdinand von Bothmer, Emily Hindrichs, Katrin Wundsam, Vincent Le Texier, Nikolay Borchev, Nikolay Didenko, Gürzenich-Orchester Köln, Chor und Extrachor der Oper Köln