Aus westlicher Perspektive – ohne Erfahrung damit, was Verfolgung, Todesangst und Bedrohung wirklich bedeuten – kann man sich eigentlich keine authentische Vorstellung davon bilden, was Dmitri Schostakowitsch zwei Jahre nach der Uraufführung seiner Lady Macbeth von Mzensk erlitt. 1934 vom Publikum frenetisch gefeiert, trat die emanzipatorische Geschichte um die in den Zwängen der russischen Feudalgesellschaft gefangene Katerina ihren ersten Siegeszug an, bis sie 1936 nach einem Opernbesuch Stalins in der Prawda unter dem berüchtigt gewordenen Titel „Chaos statt Musik“ verrissen wurde und für Jahrzehnte in der Versenkung verschwand. Diese Verbannung der extrem naturalistischen, konfliktreichen Tonsprache des noch jungen Schostakowitsch galt nicht nur seiner künstlerischen Natur als vermeintlicher „Formalist“ – sie ging auch einher mit einer echten Lebensgefahr. Täglich und über Jahre hinweg musste der Komponist mit seiner persönlichen Vernichtung oder wenigstens Verbannung rechnen. Dass hier und da Menschen verschwanden wegen weitaus geringerer „Vergehen“, konnte niemandem verborgen bleiben.
Mit seiner boshaften Satire auf einen chauvinistischen Polizeistaat bildet Schostakowtisch die Gegenwart der Uraufführung ab
Nachdem das Werk nicht zuletzt durch Donald Runnicles, den heutigen Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin, seit den 80er Jahren eine Renaissance erlebte, trug man stets dieser tragischen Entstehungsgeschichte Rechnung: Selbstverständlich wurden die gesellschaftlichen Parallelen zum Stalinismus der 30er Jahre nicht nur erkannt, sondern auch direkt verbildlicht, obwohl die Oper eigentlich in der Mitte des 19. Jahrhunderts spielt. Die grelle, boshafte Satire auf einen chauvinistischen Polizeistaat mit schwanzgesteuerten Machos und hampelmannhaften Moralisten war ja auch die Folie, auf der Schostakowitsch die Gegenwart der Uraufführungszeit abbildete. Aber er betonte auch stets, seiner tragischen Heldin Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, indem er ihr den letzten Rest Menschlichkeit in einer verrohten Gesellschaft zubilligte und damit ihre immerhin drei Morde quasi zum Akt des legitimen Widerstands erklärte.
Ole Anders Tandberg inszeniert die „Lady“ in eine norwegische Anglerkate hinein
Zunächst im September 2014 für die Osloer Oper und nun auch in Berlin inszenierte der hierzulande völlig unbekannte Ole Anders Tandberg die „Lady“ in eine norwegische Anglerkate hinein, in der Katerina als in jeder Hinsicht unbefriedigte Frau in einer seelenlosen Enge zwischen impotentem Ehemann, tyrannischem Schwiegervater und einer ganzen Horde rauer Fischer vor sich hin siecht. Als endlich ein als Don Juan bekannter neuer Knecht kommt, befreit sie sich von ihrem Joch ganz wie in einem dieser skandinavisch-düstren Filme schwarzen Humors, deren Figuren ihre Beglückung und Befriedung darin sehen, die unhaltbare Situation, in der sie sich befinden, wiederum mit Unrecht wettzumachen.
Sexismus ersetzt Gesellschaftskritik
Die gesellschaftskritische Komponente, die bei Schostakowitsch zum Beispiel in der Polizeiszene besonders grell aufleuchtet, reduziert Tandberg kausal reinweg auf Sexismus. Dass sich die Libido in Gestalt riesiger Dorsche ihren Weg bahnt, ist am Ende einfach nur peinlich – und bis an die Grenze der Dummheit oberflächlich. Denn wenn etwa Katerinas Schwiegervater Boris immerzu mit zwei Fischen in der Hand herumlaufen muss, karikiert das seine Figur eher, als sie zu ergründen. Lachen ist denn auch erlaubt – aber es erwächst aus immer wieder irritierenden Momenten der Konzeption, das gewaltsame Leben lediglich als Ausfluss von Notgeilheit zu sehen. Das geht spätestens im letzten Akt nicht mehr auf: Hier wird Katerinas Schicksal ja nicht nur auf dem Weg in die Verbannung, sondern vor allem auf dem Schafott ihrer enttäuschten Liebe entschieden. Die grauenvolle Entmenschlichung hat nun auch von ihr Besitz ergriffen. All das findet in Berlin nicht statt. Der Fisch stinkt also vom Kopf.
Donald Runnicles beweist seine große Liebe und Erfahrung mit dieser unglaublichen Partitur
Gott sei Dank hat er auch noch Flossen: Wie Donald Runnicles durch die scharfen Kontraste dieser unglaublichen Partitur navigiert, beweist einerseits seine große Erfahrung mit und andererseits seine große Liebe zu diesem Stück. Das Orchester der Deutschen Oper verbeißt sich mit ungeahnter Präzision und Tiefenschärfe in all der Grellheit, die es für diese Oper braucht. Der hauseigene Chor steht dieser großartigen musikalischen Leistung nur wenig nach, von der allerdings sein allzu hölzern hingestelltes Agieren ablenkt.
Die triumphale Evelin Herlitzius gibt den seltsamsten Anweisungen des Regisseurs eigene Größe
Und da ist natürlich Evelin Herlitzius, die gefeierte Dresdner Elektra und sensationelle Sängerdarstellerin. Man muss ihr wagenradgroßes Vibrato mögen, aber gestalterisch macht dieser Katerina kaum einer etwas vor. Sie schafft es sogar, den seltsamen Anweisungen ihres Regisseurs eigene Größe zu geben, sie entwickelt ihre Figur stets gestisch aus der Musik. Beeindruckend auch John Tomlinson als Boris, der wenigstens stimmlich dem verbiesterten Alten die charakterliche Würze verleiht, die der Regisseur ihm versagt. Mimisch wirkt er fast schon wie ein eher wunderlicher, Mitleid erregender Alter – eine Personenführung, die wie auch die des blassen Sergej (Maxim Aksenov) daneben trifft, weil sie den scharfen Kanten der Musik keine Härte entgegensetzt, sondern nur eine lauwarme Weichteilfarce. Bleibt allein die großartige Musik, die beweist, dass Lady Macbeth von Mzensk auch von einer mittelmäßigen Regie nicht kaputtzumachen ist.
Deutsche Oper Berlin
Schostakowtisch: Lady Macbeth von Mzensk
Ausführende: Donald Runnicles (Leitung), Ole Anders Tandberg (Inszenierung), Erlend Birkeland (Bühne), Maria Geber (Kostüme), John Tomlinson, Thomas Blondelle, Evelyn Herlitzius, Maxim Aksenov, Nadine Secunde, Burkhard Ulrich, Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
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